Fred Viebahn / 17.02.2007 / 10:52 / 0 / Seite ausdrucken

Von Rosenaffen, Schokoladenherzen und einem kopflosen Heiligen

Das Telefon klingelt. Ich sehe auf dem Display, daß es Gabe ist, seit anderthalb Jahrzehnten mein bester Freund hier in Charlottesville, Virginia. “Ok, wie wär’s in einer Stunde”, sage ich, ohne erstmal auf seine Stimme zu warten. Fast jeden Tag treffen wir uns im Fitnesszentrum, um uns eine Stunde lang relativ gemächlich nebeneinander auf Stehbikes abzustrampeln und in Maßen Gewichte zu stemmen, wobei wir des öfteren einhalten, um abseits des Rauschens der Räder oder muskelschmerzinduzierten Stöhnens unser gegenseitiges Gequassele über Gott (dem wir beide einhellig die Anerkennung verweigern) und die Welt (die wir regelmäßig anzweifeln) verstehen zu können.

“Moment”, sagt er, “heute kann ich nicht, hab einen wichtigen Termin.”

“Ok, dann geh ich halt allein, komm ich endlich mal richtig ins Schwitzen, du alter Schwanz”, rufe ich munter und warte darauf, daß er wie üblich “Fuck you!” erwidert. Wir reden immer so erfrischend miteinander; nur Neuzugezogene lassen sich davon noch schockieren, denn Gabe ist hier, wie’s so schön heißt, “bekannt wie ein bunter Hund”. Ihm gehört die halbe Innenstadt, darunter vor allem eine Reihe von Gebäuden, die die besten Lokale und schicksten Läden beherbergen, und er legt sich gern mit Stadtrat und Stadtverwaltung an, wenn’s um Baugenehmigungen für seine idiosynkratischen Konstruktionsideen geht.

Wider Erwarten ist er diesmal aber ganz zahm und fragt mich: “Na, in welches Restaurant führst du heute abend Rita aus?” Ich bin verblüfft. Es ist ein Mittwoch, der Mittwoch vor Weiberfastnacht, aber davon weiß hier eh keiner was, in Virginia wird doch kein Fasching gefeiert—warum sollte ich da meine Frau “ausführen”?

“Valentinstag—hellooo?” sagt Gabe und fängt an zu lachen. “Du verdammter Teutone, weißt du nach all den Jahren in Gottes eigenem Land immer noch nicht, daß am 14. Februar Valentinstag ist? Muß ich dich dauernd erst in den Arsch treten?”

“Oh my god!” sage ich. “Schon wieder vergessen.” Dann fange ich mich und nehme Defensivhaltung ein. “Letztes Wochenende waren wir wie jedes Jahr auf dem Valentinsball im Country Club, damit ist für mich die Sache gegessen. Und überhaupt—was hab ich mit einem christlichen Schutzpatron am Hut? Gerade du mußt die Klappe aufreißen, du mexikanischer Jude…oder jüdischer Mexikaner…” Gabe wurde 1940 in Mexiko geboren, bevor es seinen Eltern auf der Flucht von Polen gelang, in Los Angeles Zuflucht zu finden, und seit fünfzehn Jahren sticheln wir einander scherzhaft mit ethnischen Anzüglichkeiten.

“Quatsch nicht blöd”, sagt er. “Dummes Zeug, mit dem Ball. Heute ist Valentinstag, nicht letztes Wochenende. Laß dir was einfallen. Kauf wenigstens ein Dutzend rote Rosen.”

“Das machen alle. Du weißt doch, ich mach nicht gern, was alle machen. Und ich hasse teure Schnittblumen, die einem im Nu melancholisch dahinwelken. Außerdem ist schon Mittag, die sind bestimmt inzwischen ausverkauft.”

”Ich hab Karen immer am Valentinstag ausgeführt”, sagt Gabe. Plötzliche Stille. Karen, mit der Gabe 35 Jahre lang verheiratet war, Mutter seiner längst erwachsenen Töchter, ist vor zwei Jahren an einem Gehirntumor gestorben, und hinter seiner frechen Klappe und seinem provokativen Gebaren verschanzt er seine Trauer und Depressionen, die ihm seit Karens Tod schlaflose Nächte bereiten. “Ok, benimm dich anständig”, sagt er schließlich; “ruf mich morgen an.” Und bevor er aufhängt, ist er wieder ganz der alte Schlawiner: “Dem armen Valentin wurde von den Römern der Kopf abgeschlagen, weil er junge Leute zum Bumsen animierte, oder so ähnlich. Damit ist er für mich jüdischer Ehrenheiliger.”

“Epikuräisch-hedonistischer Ehrenheiliger!” rufe ich Gabe ins Telefon nach.

Feiertage, die mir nicht aus der Kindheit vertraut sind, bedeuten mir wenig. Nicht, daß mir Feiertage, die mir aus der Kindheit vertraut sind, viel bedeuten—doch immerhin stoßen die mir, wenn sich ihr Datum nähert, ganz von selbst auf, und es ergeben sich nostalgische Verknotungen. Aber der Valentinstag? Noch heute assoziiere ich bei dem Namen zunächst mal den gefuchsten bajuwarischen Komiker Karl Valentin und im Hinterkopf vielleicht auch noch Rudolfo Valentinos Sturm und Drang. Dank Google.de erfahre ich nun zu meiner Verblüffung, daß es die Blumenhändler und Chocolatiers in den Jahrzehnten, seit ich zum letztenmal nach Deutschland eine Winterreise machte, tatsächlich geschafft haben, den Termin in jüngeren deutschen Herzen fest zu verankern, während er mir weiter unvertraut bleibt.

Mit dem Valentinstag ging es mir immer so wie mit Baseball und American Football: Er berührte mich nicht, und Rita schien es egal zu sein—bis wir Mitte Februar 1984 zufällig in New York weilten. Wir wohnten in Greenwich Village bei unserer Freundin Aviva, Tochter des US-Repräsentanten der Histradrut. Fünf Jahre zuvor war sie eine Zeitlang unsere Nachbarin in Mishkenot Sha’ananim, dem Gästehaus der Stadt Jerusalem, gewesen und inzwischen Namenspatin unserer Tochter Aviva geworden; zur einfachen Unterscheidung nennen wir sie seitdem Aviva major. Am späten Nachmittag jenes klirrend kalten 14. Februar holten wir Aviva major in ihrem Büro bei einer Werbefirma auf der Madison Avenue ab, da wir alle von ihren Eltern auf die Upper East Side zum Essen eingeladen waren. “Just a minute”, sagte Aviva major und zerrte uns unversehens in einen Süßigkeitenladen. “Ich muß meinen Eltern doch was zum Valentinstag schenken.” Sie entschied sich für eine rote Pralinenschachtel in Herzform, und da meine Frau gerade von unserer Elefant im Porzellanladen zu spielen versuchenden Tochter abgelenkt wurde, flüsterte sie mir zu: “Hast du eigentlich ein Valentinsgeschenk für Rita?”

“Wie? Was? Wozu?” Ich geriet ins Stammeln. Rita und ich waren verehelicht, und ich wiegte mich im falschen Glauben, der Valentinstag habe höchstens eine Bedeutung fürs “Verliebt, verlobt…”, aber nicht fürs “...verheiratet”. Daß Aviva major ihren israelischen Eltern etwas Herziges schenken wollte, hatte mich bereits in stummes Erstaunen versetzt. Nun warf sie mir einen mißbilligenden Blick zu; vielleicht trat sie auch demonstrativ auf meinen Fuß—so genau erinnere ich mich nicht. Doch ehe ich’s mich versah, drückte sie mir ein Schokoladenherz in die Hand. “Hier—kauf wenigstens eine Kleinigkeit und schenk’s ihr, das gehört sich einfach!”

So schlitterte ich zum erstenmal ins kommerzielle Netz dieses Feiertages, der seinen Namen einem im dritten Jahrhundert u.Z. (unserer Zeitrechnung) von Kaiser Claudius ums ungehorsame Haupt gebrachten Heiligen verdankt. In den folgenden Jahren vergaß ich jedoch den ollen Valentin meistens wieder. Wir lebten damals in Phoenix, Arizona, wo es mir das ewige Sommerwetter leicht machte, den unvermeidlichen Blumen- und Schokoladenherzenrummel, der Mitte Februar die Malls und Supermärkte überschwemmt und die Fernsehreklame dominiert, nicht persönlich zu nehmen, vor allem, da vonseiten unserer Tochter sowas wie Erwartungsdruck und Traditionsbewußtsein fehlte. Sie ging in den Kindergarten der jüdischen Gemeinde, wo man christlich angehauchte Feiertage verschmähte und konsequenterweise auch dem Bischof Valentin keine Reverenz erwies; stattdessen bereitete man sich dort im Februar und März enthusiastisch auf den karnevalsähnlichen Zoff des Purimfestes vor.

Nach dem Telefongespräch mit Gabe leiste ich noch ein klein wenig inneren Widerstand gegen den “ganzen Quatsch”, wie mir der Dämon meiner säkularen Irreverenz einflüstert. Ich beobachte, wie unser Briefträger seinen Postjeep in unsere Auffahrt steuert, und renne zur Haustür. Neben dem Päckchen, das nicht in unseren Briefkasten paßt, drückt er mir zwei herzige Valentinskarten in die Hand, je eine Karte für Rita und mich, beide von unserer Tochter, die in Rochester, New York an ihrer Doktorarbeit über Liebesfreuden in Fernsehserien schreibt (oder so ähnlich—der eigentliche Titel ihrer Dissertation ist viel vollmundiger). Ich denke daran, wie in Köln, der Stadt, in der ich aufwuchs, dieses Wochenende der Karneval auf volle Touren kommt, und wie ich in meiner Kindheit als Cowboy oder Indianer mitmischte. Ab Weiberfastnacht hatten wir nichts anderes mehr im Sinn, und die letzten beiden Karnevalstage war schulfrei; beim Rosenmontagszug lasen wir im Geschunkel sich besaufender Erwachsener pfundweise die von den Prunkwagen geschleuderten Kamelle von der Straße auf, um uns anschließend in begeisterter Freßgier den Magen zu verderben. Zum letztenmal war ich 1980 dabei, da saßen meine Frau und ich allerdings als Gäste des Kölner Stadt-Anzeiger auf der Pressetribüne über dem Gewühl und Geschrei und schnappten hübsch verpackte Pralinen auf, mit denen uns die offiziellen Jecke auf den Wagen keck anzielten. Bauchschmerzen verspürten wir nachher keine. Eines Tages möchte ich meiner Tochter Aviva das Spektakel des kölschen Karnevals bieten. “Es ist wie Purim, damals im Kindergarten”, könnte ich sagen, “nur viel, viel größer. Und verrückter. Ein judäo-christliches Heidenfest par excellence!”

Verflixt, hätte Gabe nur nix gesagt! Ich rufe ein paar unserer Lieblingslokale an, um einen Tisch für zwei zu reservieren. No way—alles ist ausgebucht: It’s Valentine’s Day, stupid! Angenagt vom Schuldgefühl (schuldig für was?) springe ich ins Auto, nicht um zum Fitnesszentrum zu fahren, sondern in Geschäften nach was “Entsprechendem” zu stöbern.

Als Rita gegen Abend heimkommt, hab ich mich in einem seltenen Anfall kulinarischer Kreativität daran gemacht, eine thailändisch inspirierte Krabbensuppe zu kochen. Hinter ihrem Teller habe ich einen nicht gerade realistischen grünen Pelzfrosch mit herzförmiger Gitarre plaziert, der, wenn man ihm den Froschschenkel drückt, mit zitternder Unterlippe vom “achy breaky heart” tönt. Made in China—wie all die Valentinsfiguren, die ich mir am Nachmittag angeschaut hatte.

“Wie süß”, sagt meine Frau und gibt mir gerührt einen Kuß. “Du hast tatsächlich an den Valentinstag gedacht!”

“Mir blieb keine Wahl.”

Sie geht auf meine kryptischen Worte nicht ein. “Hier”, sagt sie und zieht aus der Einkaufstüte ein verschmitztes Affenpaar, dasselbe, auf das ich ein paar Stunden zuvor im Laden zunächst ebenfalls ein Auge geworfen hatte; das Affenweibchen hält ein rotes Herzkissen gegen das schwarze Fell gedrückt. “Ich dachte, du kehrst dich sowieso mal wieder einen Dreck drum, und ich könnte dich überraschen.” Sie drückt dem nur mit roter Fliege bekleideten Affenmännchen die Plastikhand, in der es eine Rose hält. “I got you, babe”, quäkt die Sonny and Cher-Imitation aus dem Affenbauch, wobei dem Pärchen die Lippen genauso herzbewegend zittern wie dem Country & Western-Frosch. Man könnte sich von diesen fabelhaften chinesischen Fabrikationen zu fantastischen Karnevalskostümen inspirieren lassen. Als Rosenaffen beim Rosenmontag, die Symbiose von Fasching und Valentin. Oder warum nicht gleich als Sankt V. verkleidet in die Bütt steigen, in frühchristlicher Bischofskutte, mit abnehmbarem Kopf, den man im nächsten Jahr nochmal für ein Kostüm als Johannes der Täufer oder Marie Antoinette nutzen könnte? Den närrischen Inspirationen sind keine Grenzen gesetzt, wenn man einmal den richtigen Anstoß bekommen hat.

Danke, Gabe—manchmal muß ich einfach in den Hintern getreten werden. Und ich werde mich schon zu revanchieren wissen.

Kölle Alaaf!

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