Michael Miersch / 05.10.2007 / 22:51 / 0 / Seite ausdrucken

Lücke im Loch

Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 05.10.2007

Was macht eigentlich das Ozonloch? Berichte darüber sind rar geworden. Mit der Größe des Lochs hat dies offenkundig nicht viel zu tun, noch 2006 dünnte das Ozon über der Antarktis auf einer Rekordfläche von 27,5 Millionen Quadratkilometern aus. Weniger Ozon lässt mehr aggressive ultraviolette Strahlung auf die Erde durchdringen, die Hautkrebs und viele andere Schäden verursachen kann. Was vor zwei Jahrzehnten noch zu höchster Beunruhigung führte, wird inzwischen mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich stattdessen auf andere Befürchtungen, allen voran die Klimaerwärmung.

Vielleicht gibt das Ozonloch auch deshalb nichts mehr her, weil irgendwie alles klar zu sein scheint. Mitte der achtziger Jahre wurde das Ozonloch entdeckt und eine Reihe von chemischen Verbindungen als Hauptverursacher ausgemacht, darunter vor allem die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW). Die Wissenschaft zu den Vorgängen in der Stratosphäre konnte klarer und zweifelsfreier nicht sein. Die Politik handelte erfreulich schnell und vereinbarte im Montreal-Protokoll, ein schrittweises Verbot dieser Stoffe. Dieses Abkommen gilt seither als Musterbeispiel einer gelungenen internationalen Umweltschutz-Politik. Ende September dieses Jahres setzten die Unterzeichner zum 20. Geburtstag des Protokolls sogar noch eins drauf, in dem sie den Ausstieg aus dem Kühlmittel HFCKW noch einmal um zehn Jahre vorzogen. Das Ozonloch sollte sich irgendwann wieder schließen, sagen die Experten. Eine Erfolgsgeschichte.

Umso brisanter ist eine Meldung, die die Wissenschaftszeitschrift „nature“ dieser Tage veröffentlichte. Neue Messungen und ihre Auswertung haben ergeben, dass die bisherige Theorie zur Entstehung des Ozonloches so nicht stimmen kann. „Unser Verständnis von der Chemie der Chlorverbindungen wurde in die Luft gesprengt,“ sagt der Ozonforscher John Crowley. Und der Atmosphärenforscher Neil Harris meint: „Es ist, als ob plötzlich ein Stück aus einer Brücke gerissen wird. Bisher schien alles so schön zusammenzupassen.“

Der Mann der den ganzen Aufruhr auslöste, heißt Markus Rex und arbeitet in Potsdam am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Er analysierte die Ergebnisse neuer hochgenauer Messungen zur Wirkung von Dichlorperoxid. Dabei stellte sich heraus, dass der Einfluss des FCKW-Abbauproduktes zehnmal kleiner ist, als er nach den bisherigen Theorien sein müsste um die Ozonlöcher an den Polen zu verursachen. Die Forschung steht wieder am Anfang. „Wenn die neuen Messungen richtig sind, wissen wir, das wir nicht wissen, wie der Abbauprozess funktioniert,“ sagt Rex.

Dies heißt nicht, dass die einschlägig verdächtigten chemischen Verbindungen wie FCKW, Bromide und Halone jetzt aus dem Schneider sind. Sie gelten nach wie vor als dringend tatverdächtig. Allerdings haben sie möglicherweise eine andere Arbeitsteilung oder nagen auf eine andere Weise an der Ozonschicht, als gedacht. Für unser Verständnis der Vorgänge am Himmel wird es wichtig sein, herauszufinden, was tatsächlich vor sich geht. Die Sache ist geradezu ein Lehrstück über das Wesen von Wissenschaft. Die Forscher hätten es ja auch gut sein lassen können. Motto: Ist doch alles bestens, die FCKW sind verboten, wir haben erreicht, was wir wollten, das öffentliche Interesse lässt nach, wir schließen den Fall ab.

So funktioniert Wissenschaft gottlob nicht. Respekt vor etablierten Lehrmeinungen oder anerkannten Theorien ist ihr wesensfremd, eine Hypothese gilt nur so lange bis jemand sie falsifiziert, auch wenn das manchmal weh tut. Kein Konsens kann unverstellte Neugierde und Skepsis ersetzen, sie sind Motor des Erkenntnisgewinns und verdienen viel mehr Beifall, als ihnen oft zu Teil wird. Etwas mehr davon wäre auch in diesem Fall zu wünschen: Kaum einem deutschen Medium war die sensationelle Entdeckung von Markus Rex einen Bericht wert.

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