Maxeiner & Miersch / 22.05.2009 / 19:03 / 0 / Seite ausdrucken

Lieber passiv altern

Diese Woche fiel uns eine Broschüre in die Hände, in der es um „erfolgreiches Altern“ geht. Von „Altern als Aufgabe“ war darin die Rede und von „Strategien gelingenden Alterns“.  Etwas zögerlich blätterten wie darin herum, kommen wir doch langsam in die Jahre, wo man übers Älterwerden Gedanken macht. Doch offenbar haben wir völlig falsche Vorstellungen davon. Wir dachten eigentlich mehr daran, völlig passiv vor uns hin zu altern. Beispielsweise in Straßencafés rumzusitzen und Spatzen zu füttern. Aber da haben wir die Rechung ohne die Altersforscher und die Beraterindustrie gemacht. Gelassenheit gilt nicht. Der Alterungsprozess verlangt Einsatz, Motivation und viel Disziplin.

Es ist immer das gleiche mit unserer Babyboomer-Generation. Jede ihrer stinknormalen Lebensphase wird zum welthistorischen Ereignis hochgejazzt. Als sie sich verpaarte, brach eine endlose Beziehungsdiskussion aus. Als die ersten Kinder kamen, wurden sie mit einer stürmischen Erziehungsdebatte empfangen. Die erste Scheidungswelle beförderte Selbstverwirklichung und Singledasein zu Großthemen. In jeder Lebensphase der Babyboomer mussten die Buchläden ein neues Regal mit Ratgeberliteratur anbauen. Nie war etwas selbstverständlich oder einfach nur Geschmacksfrage. Immer ging es um die einzig korrekte, bewusste und emanzipierte Art zu Lieben, Familie zu haben, allein zu sein oder was auch immer. Jeder Menge Beziehungsarbeit und Erziehungsarbeit musste geleistet werden. Alles auf großer Bühne.

Hängt das vielleicht mit dem ansonsten recht guten Leben unsere Generation zusammen? Frieden, Freiheit und Wohlstand von der Geburt bis zum Ruhestand, das hat es nie zuvor gegeben. Manchen fehlt das Heroische, das große blutige Drama. Umso emsiger werden die kleinen Dramen inszeniert. Ständig gilt es immer besser zu werden: durch Psychotherapie, durch Körpertraining, durch Diät. Der Anspruch aus allem etwas herauszuholen lässt sogar Reisen und Lesen zur Arbeit werden. Auch Sex allein genügt nicht mehr, es muss schon, „guter Sex“ sein.

Wer jetzt gehofft hatte, das Selbstoptimierungsprogramm auf seine alten Tage hinter sich lassen zu können, dem zeigen die „Neuen Alten“, die „Silver Generation“ und die „Best Ager“ wo der Hammer hängt: Yogakurs, Städtereisen, Fitnessstudio, Philosophie-Gesprächskreis, Trommeln, kreatives Gestalten. Altersarbeit verlangt vollen Einsatz. Wenn das „erfolgreiche Altern“ so toll ist, warum sind dann auf Postkarten,  auf Kalendern und in Bildbänden diese traditionellen Großmütter und Großväter abgebildet. Dunkel gekleidet, auf einer Bank vorm Haus sitzend und zufrieden in die Sonne blinzelnd? Siebzigjährige Sportskanonen in bunten Trainingsanzügen lösen keine romantischen Phantasien vom zufriedenen Lebensabend aus, höchsten schlechtes Gewissen. Mal sehen was wir Babyboomer nach dem Power-Altern zum Trend erklären. Da bleibt eigentlich nur eins: Fit und erfolgreich sterben.

Erschien in DIE WELT am 22.05.2009

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