Redaktion / 04.05.2024 / 13:00 / 7 / Seite ausdrucken

Leserkommentar der Woche: Maßlos harmoniesüchtig?

Besonders erfreulich sind Leserkommentare, die eigentlich selbst eigene kleine Texte sind. Und damit sie nicht alle in der Menge untergehen, veröffentlichen wir an dieser Stelle regelmäßig den „Leserkommentar der Woche“.

Leserkommentare dienen nicht nur dem Gedankenaustausch, sondern ergänzen mitunter die dazugehörigen Texte um neue Aspekte und geben ein Bild der Stimmungslage. Leserkommentare sind dabei nicht repräsentativ für die Leserschaft, viele Achgut-Leser stehen beispielsweise im Berufsleben und haben gar keine Zeit oder haben Scheu, sich öffentlich zu äußern. Umso mehr freuen uns sachliche und im Ton konziliante Zuschriften, die entsprechend unserer Netiquette ruhig kritisch sein können, aber nicht verletzend sind. Die Redaktion freut sich dabei ganz besonders über Kommentare, die eigentlich selbst eigene, kleine Texte sind.

Und damit diese entsprechend gewürdigt werden, veröffentlichen wir an dieser Stelle regelmäßig „Leserkommentare der Woche“. Diesmal ist es ein Kommentar zu Ulrich Schödlbauers Beitrag „‚Der Deutsche‘ ist des Deutschen liebster Feind“, in dem er die Infantilisierung der Gesellschaft anprangert. Harald Hotz schreibt:

Der Deutsche ist des Deutschen liebster Feind. - Hm, vielleicht liegt die Seuche darin, daß wir so maßlos harmoniesüchtig sind, wir verstehen unterschiedliche Ansichten im allgemeinen nicht als Bereicherung oder als Anregung, sondern sehnen uns eher nach Geschunkel und Gemütlichkeit. Wer die Harmonie stört, ist schnell als Störenfried,  Querkopf, Trotzkopf und Querulant ausgemacht. Wir nennen Ministerpräsidenten liebevoll “Landesvater” und Kanzlerinnen “Mutti”. Wir sind gerne “Landeskinder”. Die Obrigkeit findet das natürlich toll und schreibt Bücher über das “Wir”, ernennt das “Wir” gar zum höchsten Staatsziel. - Warum tut sich also der Deutsche so schwer mit dem Erwachsensein? Vielleicht ist es der Umstand, daß wir alles so perfekt organisieren, so perfekt, daß wir von der Wiege bis zur Bahre stets umsorgt und behütet werden? Nichts kann unseren Eigensinn und unsere Verantwortung für das eigene Leben wecken. Das gilt zumindest für den gutgestellten und wahlrelevanten Teil der Bevölkerung. Die einen finden das gräßlich, die Mehrheit findet es aber wunderbar, weil alle sagen, daß es wunderbar sei, und alle Politiker stets versprechen, daß sie alles für uns wunderbar machen werden, wenn wir sie nur wählen. Das ist wohl auch in anderen Ländern so, wenn auch nicht so ausgeprägt, der Unterschied ist aber vielleicht der: in anderen Ländern können sich diejenigen, die nicht in der Masse untergehen wollen, trotzdem entfalten und kreativ werden und z.B. Unternehmen gründen, bei uns gilt Kreativität und Begabung dagegen inzwischen schon per se als verdächtig, weil sie das “Wir” stört, sie ist exklusiv statt inklusiv. Das war aber nicht immer so, über weite Strecken des 19. Jhdt. bis 1933 war Deutschland ein durchaus inspirierender Ort für Erfinder, Wissenschaftler, Künstler und auch Journalisten, die selbst über den preußischen Militarismus witzeln konnten, und sich das ab und an sogar auch trauten.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

netiquette:

Sabine Drewes / 04.05.2024

Herr Niersberger, wenn man die deutsche, die europäische und die transatlantische Geschichte einmal gänzlich ohne Scheuklappen betrachten würde, was bedeutete, auch den Deutschen das Positive ebensowenig abzusprechen wie den anderen, dann könnte man sich schwer der Einsicht entziehen, dass eben NICHT die Deutschen die Neidhammel waren, sondern dass umgekehrt die anderen sehr viel häufiger früher oder später den Deutschen ihren Fleiß und ihren Erfolg geneidet haben – nicht zuletzt dort, wo sie auch außerhalb ihres Kernlandes Herausragendes geschaffen hatten. Zuvor hatte man die Deutschen gerade deshalb nicht selten in abgelegene Landstriche gerufen, wo sie bedeutende Ortschaften und Städte mit repräsentativen Bauwerken errichteten und für Handel, florierendes Handwerk und Arbeit sorgten sowie die neu besiedelten Regionen kulturell prägten.—- Wussten Sie zum Beispiel, dass die Prager Universität nicht nur bis 1945 eine deutsche Universität war, sondern dass sie überhaupt die älteste deutsche Hochschule (gegründet 1348!) ist? Dass etwa die Karlsbrücke und der Veitsdom in dieser Stadt an der Moldau von einem Deutschen aus Schwäbisch-Gmünd, nämlich von Peter Parler, errichtet wurde? Dass er auch die Burg Karlstein vollendete? Parler kam 1356 nach Böhmen.—- Genauso wenig kann ich persönlich den Eindruck bestätigen, die Deutschen seien im Vergleich zu anderen Völkern ganz besonders harmoniesüchtig und obrigkeitsgläubig. Dann hätten sie niemals so durchschlagenden Erfolg auf so vielen Gebieten gehabt, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Denken Sie nur an das Auto und seine abenteuerliche Geschichte. Doch wenn man Behauptungen, die nur Negatives über die Deutschen transportieren, oft genug wiederholt, über Jahrzehnte gar, besteht die Gefahr einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung.

Andrea Lorenz / 04.05.2024

Etwas Verbindendes kommt noch hinzu: Die Deutschen sind politisch hoffnungslos unbegabt.

T.Brecht / 04.05.2024

Wir nennen Ministerpräsidenten liebevoll “Landesvater” und Kanzlerinnen “Mutti”. Ich bin jetzt nicht ganz jung aber das habe ich nie gemacht die meisten Politiker so ab 2005 sind für mich einfach nur wie eine üble chonische Krankheit allen voran die Gemerkelte mit ihrer gut getarnten SED Gesinnung. Die war Kohls größter Fehler und Honekers perfekte Rache für den Untergang der miesen DDR.

Thomas Szabó / 04.05.2024

Ein inspirierender Leserkommentar.

Helmut Driesel / 04.05.2024

  Wenn die Idee die Massen ergreift und damit zur materiellen Gewalt wird, das schließt nicht aus, das die Idee zuletzt grandios scheitert. Im Moment scheint das die Demokratie zu betreffen. Aber da den Deutschen die neuen Ideen ausgegangen sind, erinnert man sich lieber an die alten.

Karsten Dörre / 04.05.2024

Demokratie ist in der Menschheitsgeschichte keineswegs ein Erfolgsmodell. Zeitlich betrachtet ist es in der Evolution der Menschheit ein Fliegenschiss. Demokratie setzt voraus, dass das Volk Bescheid weiß und “richtig” wählt. Hier beginnt bereits das Problem der Demokratie. Diejenigen, die die Demokratie besonders gut verteidigen und retten wollen, sind keineswegs besser, als die “Falschgewählten”. Jede Wahl in der Demokratie ist und bleibt eine Bauchentscheidung, da kein Wähler und auch nicht die Gewählten die “richtige” Zukunft kennen. Irgendwann ist jedes Wahlergebnis unerträglich, da die Unzufriedenen auf allen Seiten immer mehr von sich überzeugt sind, sie seien die einzig richtigen Demokratieverteidiger. Dann bricht die Natur durch und Autokratie, Parteiendiktatur, Diktatur, oder Ausnahmezustand bzw. Militärputsch folgen.

Rainer Niersberger / 04.05.2024

Ob ” der Deutsche” harminiesuechtug ist, weiss ich nicht. Richtig ist, dass er mit Konflikten bzw ihrer angemessenen Austragung und dem Aushalten von Unterschieden groessere Probleme hat. Er ist etwas extrem, in beide Richtungen und vor allem neigt er zum angepassten, konfirmistischen Kollektivismus, was ihn fuer gewisse Ideen oder Ideologien fuer die Masse anfällig macht. An sich nichts Dramatisches, aber unter entsprechenden Bedingungen, Machthabern und Narrative, und von den Machthabern genutzten Pathologien ( diverse Neurosen) tödlich.  Die besondere Anfälligkeit fuer Autoritarismus plus Totalitarismus ist kein Zufall. Interessant, wie hartnäckig sich diese Anfaelligkeiten, basierend auf bestimmten Eigenheiten, halten. Kommen dann noch die ( erzeugten bzw gepflegten) Neurosen dazu, kann es bei entsprechendem Missbrauch nur dramatisch werden. Diese Neurosen und sicher auch die Fragen des ” keiner schert aus der Reihe aus” - Konformismus und der ” alle Menschen werden Brueder (und Schwestern) - Sehnsucht” werden nicht immer aktiv ausgelebt, sorgen aber leider dafuer, dass die Taeter mit ihren Planen und Zielen regelmaessig erfolgreich sind.  Wobei eine weitere Eigenschaft ” des Deutschen”, sein tendenziell neidvoller Blick auf den naechsten Nachbarn, nicht vergessen werden sollte. Bei den “Fernsten” wird er, schuldbeladen, ruehrselig, beim Naechsten ganz sicher nicht, und bei Machthabern gelten zu deren Freude und Sicherheit ohnehin immer sehr spezielle “Beurteilungsmassstaebe.” Die koennen kriminell oder auch dumm wie Stroh sein, man ruehrt sie nicht wirklich an. Allenfalls ein bisschen vielleicht. Dann ist es aber auch wieder “gut” .

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