Hannes Stein / 04.05.2008 / 06:04 / 0 / Seite ausdrucken

Ist Wagners Musik groß oder grauenhaft?

Hier ein Ausschnitt aus dem Inhaltsverzeichnis von meinem neuen Buch:


Kulturelle Entscheidungen

Urlaub am Meer
Urlaub in den Bergen

Die Beatles sind die Größten
Die Stones sind die Größten

Hoch die Fleischeslust
Für eine strikt vegetarische Ernährung

Sean Connery: der einzige James Bond
Roger Moore: kein anderer 007

Es wird alles immer schlimmer
Es wird alles immer besser

Bequem anziehen!
Kleide dich modisch!

Goethe war der Beste
Schiller war viel besser

SMS: voll cool
SMS: voll daneben

Wein ist fein
Bei Bier schrei´n alle hier

Wagners Musik ist groß
Wagners Musik ist grauenhaft

Vive la France
À bas la France

Viererkette!
Dreierkette!

Der schönste aller Planeten: der kriegerische Mars
Der schönste aller Planeten: die friedliche Venus

Rauchen macht schlank
Ohne Rauch geht´s auch

Kultur!
Zivilisation!

Mmmmmmm, Kaffee
Mmmmmmm, Tee

 

 


Wirtschaftliche Erwägungen


Steuern soll man hinterziehen
Steuern soll man bezahlen

Bargeld ist schick
Kreditkarten sind Trumpf

Hoch das Sparbuch
Hoch das Aktienpaket

Für den Altruismus
Für den Egoismus

Nichts geht über eine Eigentumswohnung
Nichts geht übers Mietezahlen

Der Kommunismus ist eine tolle Idee
Der Kommunismus war keine so tolle Idee

 


Politische Diskussionen


Es lebe die bürgerliche Demokratie
Für eine Herrschaft der Mandarine

Amerika ist eine prima Supermacht
China wäre als Führungsmacht viel besser

Atomkraft? Nein danke
Atomkraft? Ja bitte

Demografiedebatten sind notwendig
Demografiedebatten sind rassistisch

Feministinnen sind doof
Der Feminismus, er lebe dreimal hoch

Folter ist manchmal leider notwendig
Folter ist immer falsch

Der menschgemachte Treibhauseffekt: eine wissenschaftlich nachgewiesene Tatsache
Der menschgemachte Treibhauseffekt: ein ausgewiesener Blödsinn

Israel müsste nach Deutschland verlegt werden
Der Palästinenserstaat müsste im Iran gegründet werden

 


Religionsfragen

Argumente für Gott
Argumente gegen Gott

Aktive Sterbehilfe ist gnädig
Euthanasie ist ein Verbrechen

Das Chaos ist gut
Die Ordnung ist schön

Hier spricht der Muslim
Hier spricht der Ungläubige

Sehr gerecht: die Todesstrafe
Die Todesstrafe ist widerlich

Ich liebe Windows
Ich liebe Macintosh

Abtreibung ist Mord
Abtreibung ist keine Sünde

Auf den Hund
Für die Katz

Wir brauchen mehr Yin
Wir brauchen mehr Yang

 


Sexuelle Ausschweifungen

Hässliche Menschen sind besser im Bett
Schöne Menschen sind besser im Bett

Mehr Romantik beim Liebesakt, bitte
Für mehr sexuelle Sportlichkeit

In der Sauna gucken ist verwerflich
Wer in der Saune nicht guckt, ist uncharmant

Argumente für die Polygamie
Argumente gegen die Polygamie

Zu mir
Zu dir

 

Und hier noch ein kleiner Schlagabtausch als Exempel:


WAGNERS MUSIK IST GROSS

Woran erkennt man große Kunstwerke? Daran, dass sie einen nicht unverwandelt zurücklassen: Es gibt ein klares „Davor“, als man ihnen noch
nicht begegnet war, und ein „Danach“ – man wird bis ins Innere seiner Existenz von ihnen erschüttert.

Das gilt etwa für das monumentale Eingangsportal von Bachs Matthäuspassion („Töchter Zions, helft mir klagen“), das gilt für Mozarts „Requiem“. Und es gilt für Richard Wagners „Rheingold“: Nehmen wir die Stelle, wo Wotan und Loge sich nach Nebelheim begeben und die Musik lautmalerisch nachmacht, wie die Zwerge mit Hämmern auf Ambosse schlagen. Und plötzlich kapiert der Hörer: Das, was hier in Musik gegossen wurde, ist der Anfang der Industrialisierung – wie überhaupt „Der Ring des Nibelungen“ eine einzige grandiose Parabel auf die Moderne ist. Dazu gleich mehr.

Doch zuvor sollte eines der primitivsten Vorurteile gegen Wagner ausgeräumt werden: das Vorurteil nämlich, er habe sich ausschließlich aufs Lautstarke, Bombastische verstanden. Das können nur Leute behaupten, die außer dem „Ritt der Walküren“ nichts anderes von ihm kennen. (Der ist nun wirklich grässlich, taugt aber immerhin noch als effektvolle Filmmusik.) Derjenige, dem sich Wagners Opernwelt einmal geöffnet hat, weiß: Dieser Komponist wusste Musik von einer Zärtlichkeit zu schaffen, dass dem Hörer kaltheiße Schauer über das Rückgrat laufen. Denken wir an den zweiten Akt von „Tristan und Isolde“, wo die Heldin am Morgen darauf wartet, dass die Jagd endlich vorbei sein soll – und Wagner nun die Dämmerung in Szene setzt. Es ist die zarteste Versuchung, seit es Harmonien gibt.

Wagner konnte mit einem Orchester nicht nur Sturm und Getöse nachahmen, sondern auch den rosigen Morgennebel. Und er wusste alles über die Liebe und die vielfältig-interessanten Weisen, wie sie scheitern kann.

„Der Ring des Nibelungen“ ist eine Oper, die gründlich missverstanden wurde: Viele Hörer glaubten nämlich, Wagner habe hier ein abschließendes Urteil über die Moderne gesprochen. Die Musik wurde dann so gehört, als bedaure Wagner das Ende der mythisch-magischen Welt oder als rufe er dazu auf, möglichst viele Helden nach dem Vorbild des blonden Recken Siegfried zu erschaffen. Tatsächlich lässt Wagner die Sache in der Schwebe. Er ist nicht für die Moderne, aber er ist auch nicht gegen sie.

Sicher ist nur eines: Siegfried kann auf keinen Fall als Idealgestalt gesehen werden (auch wenn die Nazis es gern so gehabt hätten). Schließlich ist er ein „tumber Tor“, nicht mehr. Ungeheuer ansprechend ist diese Riesenoper nicht nur für das Gefühl, sondern auch für den kühlen Verstand des Zuhörers. Denn was bei Bach noch ein geschlossenes Universum war – der Kosmos der Theologie –, das bricht bei Wagner nun auseinander in die Sphären der Politik, der Soziologie, der Ökonomie, und man findet hier mehr als nur erste Spuren der Psychoanalyse.

Im Jargon der Nazis zu sprechen: Wenn es je einen „Kulturbolschewisten“ and „Asphaltliteraten“ gegeben hat, dann diesen. Insofern ist es ein schlechter Witz, dass Wagner ausgerechnet von den Granden des Dritten Reiches posthum vereinnahmt wurde.


WAGNERS MUSIK IST GRAUENHAFT

Es wäre ausgesprochen unfein, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass Wagner ein stinkender Antisemit, ein Parvenü, ein gescheiterter Revoluzzer, ein chronischer Schnorrer – kurzum: in fast jedem Detail die Vor- oder Urform eines Nazi war.

Also lassen wir das. Es hat schon so viele Antisemiten gegeben, die große Klangkunstwerke geschaffen haben und es waren schon so viele miese Typen unvergleichliche Dichter, dass das im Ernst kein Argument sein kann. Nein, gegen Richard Wagner sprechen einzig und allein seine rundherum grässlichen Opern!

Mark Twain hat zwar einmal angemerkt, Wagners Musik sei besser, als sie sich anhört, aber das war leider gelogen. Es ist alles wirklich so schauderschlecht: Note um Note und Takt für langweiligen Takt. Wahrscheinlich hat der musikalisch eher unbegabte Wagner irgendwann einfach aufgehört, sich auch nur die geringste Mühe zu geben. Er versuchte also nicht mehr, tönende Schönheit zu schaffen und den Ohren mit Harmonien zu schmeicheln; statt dessen wollte er die brutale Überwältigung des Publikums. Dafür setzte er den ganzen künstlerischen Reichtum ein, den er gar nicht hatte, dafür war ihm jedes Mittel recht.

Deshalb tat Wagner so, als gäbe es in seiner Musik unglaublich viel zu ahnen, als täten sich da laufend Abgründe von Bedeutung auf – in Wahrheit ist die Sache aber nur hohl. Es ist der pure Bombast, in dem dann nichts zur Erscheinung kommt: kein Gedanke, keine Haltung, keine Substanz.

Wagners Musik erinnert an die gespreizten Verse eines Stefan George, in denen auch dauernd so getan wird, als ließe sich dahinter Gott weiß welcher Tiefsinn vermuten, aber wenn man genau hinschaut, ist die Gespreiztheit schon der ganze poetische Gehalt.

Lässt sich über Wagner also gar nichts Positives vermelden? Doch: Er verstand es, seine Werke hübsch und geschickt zu instrumentieren. Das ist seine künstlerische Leistung, das war es schon. Und jetzt müssen wir – auch wenn es sich nicht gehört – doch noch einmal auf Wagners Antisemitismus zu sprechen kommen.

In seinem niederträchtigen Pamphlet „Über das Judentum in der Musik“, das zeigt, dass Hitlers Liebe zu Wagner nicht auf einem Missverständnis beruhte, spricht dieser Komponist den Juden ja die Fähigkeit zu wahren Empfindungen ab. Nur der voll im Deutschtum verwurzelte Künstler sei imstande, echte, tief empfundene Leidenschaften zu gestalten, während der Jude nur oberflächliches Larifari in Töne zu setzen vermöge. –

Interessant ist dieser Befund nur aus einem Grund: Er macht wieder einmal klar, wie mächtig das ist, was die Psychoanalytiker „Abspaltung und Projektion“ nennen. Denn tatsächlich war es ja Wagner selbst, der ständig seine Unfähigkeit bewies, Gefühle zu gestalten. Er war es, der in seinen Opern mit hängender Zunge der echten Leidenschaft manisch hinterher hechelte.

Darum benötigte er auch so viel Hoihottaho und Tschingderassabumm, und seine Begabung erschöpfte sich im Wesentlichen darin, für die Vortäuschung von Gefühlen die passenden Instrumente auszuwählen.

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