Alan Posener (Gastautor) / 30.04.2009 / 10:26 / 0 / Seite ausdrucken

Gestern abend im Wedding

Gestern abend habe ich einen schönen Abend im Wedding verlebt. Es ging um das “Sprint”-Projekt, das in diesem “Problembezirk” (das ist für Sozialpolitiker das, was ein Problembär für einen Ministerpräsidenten darstellt: man möchte das Ding am liebsten weghaben) großartige Arbeit leistet. Die Idee von “Sprint” ist, kurz gesagt, dass angehende Lehrerstudenten als Nachhilfelehrer ausgebildet und an den Schulen des Bezirks eingesetzt werden, vor allem im Fach “DAZ” (Deutsch als Zweitsprache). Die “Problemschüler” (s.o.) haben etwas davon; die “Problemschulen” (s.o.) haben etwas davon, und die Studenten haben etwas davon, da ihre Unis (die natürlich keine “Problemunis” sind) ihnen nichts von Problembezirken, Problemschulen und Problemschülern erzählen, dafür umso mehr über Gender Mainstreaming usw. “Sprint” stellte seine Arbeit in einem Film vor, zu dem ich ale Ehemann einer der Hauptdarstellerinnen eingeladen war, meiner Frau nämlich, die an ihrer Schule DAZ in einer so genannten “Förderklasse” (sprich Problemschülerklasse) unterrichtet, eine Schülerbibiliothek aufgebaut und mit dem Sprint-Projekt Kontakt aufgenommen hat. Der Film ist wirklich sehr schön. Er beweist vor allem eins: von mangelndem Bildungswillen der Zuwanderer reden kann man ganz bestimmt nicht.
Nach dem Film gab es eine Diksussion mit Vertretern der Parteien. Die war sehr schön. Vera Lengsfeld von der CDU erzählte, dass man endlich die Zuwanderung als Bereicherung begreifen und nicht als Bedrohung hinstellen dürfe; Rainer-Maria Fritsch von der Linkspartei stimmte zu und forderte, dass man den Zusatz “NDH” (“nichtdeutscher Herkunft”; manche sagen “nur die Hälfte” wert) aus seinem Denken und Sprechen verbannen sollte; Frau Lengsfeld zollte Herrn Fritsch Beifall, Herr Fritsch zollte Frau Lengsfeld Beifall, dazwischen fanden auch FDP, Grüne und SPD, dass es ein Skandal sei, wie lange schon die Integrationsarbeit und vor allem die Förderung von DAZ von der Politik vernachlässigt worden sei. Voller Lob war man von links bis rechts für den privaten Förderer, der “Sprint” mittels Spenden am Leben erhält (Mercator), und voller Sorge, dass “Sprint” 2011, wenn die gegenwärtige Förderung aus einem Sondertopf für “freiwillige soziale Leistungen” (!) ausläuft, die Arbeit einstellen muss. So weit, so Berlin und so sehr schön. In der Tat ist es so: je näher man an die Basis, also an die wirklichen Probleme herankommt, desto einiger sind sich die Politiker. In Berlin-Mitte kommen CDU und Linkspartei auf kommunaler Ebene prima miteinander aus, während in den Parteizentralen Zeter und Mordio - “Kommunisten!” / “Reaktionäre!” - geschrien wird. Und die Sprache ist das Problem, das A und O der Integration.
Die Einigkeit der Nicht-Kontrahenten störte mich freilich ein wenig. Gerade hat Berlin eine schulpolitische Debatte beendet (hoffentlich), die über Monate hinweg die Gemüter erhitzt, die Leitartikler beschäftigt, und bei den Unterlegenen teiweise ein schwelendes Ressentiment hinterlassen hat. Und worum ging es? Um DAZ? Nein, um den Religionsunterricht. Hätte man mit einem vergleichbaren Aufwand an Zeit, Geld, Emotion und B-Prominenz (Günter Jauch z.B.) für eine Verbesserung des Sprachunterrichts und für die Förderung solcher Projekte wie “Sprint” geworben, stünden diejenigen, die gestern in einem Hinterhof in der Prinzenallee ihre Arbeit vorstellten, besser da. Stattdessen konnte eine Minderheit von 14 Prozent ihre Kulturkanpf-Agenda den restlichen 86 Prozent aufzwingen. Wozu sie selbstverständlich das Recht hatten; Demokratie ist nichts ohne Minderheitenschutz. Freilich müssen diejenigen, die so viel von Werteerziehung daherschwadronieren, sich fragen lassen, woran sich Werte messen lassen. “An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen”, sagte ein kluger Mann aus Nazareth einmal; und die Früchte der ProReli-Kampagne sind sauer. Jedenfalls denke ich, dass ein Student, der bei “Sprint” mitmacht, Werte vorlebt und vermittelt, von denen andere nur reden.
Die CDU, die eigentlich gegen plebiszitäre Elemente ist (wie ich finde, zu Recht), hat nun mit zwei Scheindebatten - Pro Tempelhof und Pro Reli - die Berliner davon abgehalten, über die für ihre Stadt wichtigen Dinge zu reden. Dabei machte sie, wie mir ein prominenter Bundes-CDUler sagte, bei Tempelhof die Erfahrung, dass die Berliner automatisch mit Ablehnung reagieren, wenn sie das Gefühl haben, dahinter stecke die Union. Deshalb hat sie bei ProReli ihre Unterstützung zu verstecken versucht. Verrückte Welt. Aber vielleicht steckt darin eine Lehre für die CDU Berlin, die einmal - unter Eberhard Diepgen - eine (vielleicht korrupte, aber hey, das hier ist Berlin!) Volkspartei war. Weniger Demagogie. Weniger 68er Guerillataktik. Mehr Sacharbeit. Bessere Gesichter. Dann kann sie in Berlin vielleicht wieder zur politischen Kraft werden. Die Integration ist DAS Thema einer Stadt, in der die Hälfte der Schulkinder (sorry, Herr Fritsch) NDH sind. Mit der weltoffenen Einstellung, die Frau Lengsfeld gestern im Wedding an den Tag legte, könnte die CDU punkten, wenn sie sich des Themas ernsthaft annehmen wollte. Freilich war Frau Lengsfeld nur deshalb auf dem Weddinger Podium (sie kandidiert eigentlich in Kreuzberg für den Bundestag), weil kein Bildungspolitiker der CDU Zeit hatte. QED.
 

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