Hannes Stein / 15.12.2008 / 05:46 / 0 / Seite ausdrucken

Comandante Che Guevara

Das „Ziegfeld Theatre“ in Manhattan ist ein schönes altes Kino, das so tut, als sei es ein richtiges Theater: weite Treppenaufgänge, Messingknöpfe, ein riesengroßer Kinosaal, der bestimmt mehrere hundert Menschen fasst.
An diesem Freitagabend ist das Kino voll bis auf die letzten Reihen. Gezeigt wird „Che“, ein Film von Steven Soderbergh über das Leben des Guerillakämpfers und Revolutionsführers Ernesto Guevara. Der Film hat zwei Teile, jeder Teil ist 129 Minuten lang, auf die Zuschauer wartet also ein Kinoerlebnis von geradezu Wagner´schen Dimensionen.
     

Soderberghs Film beginnt mit ein bisschen Geografieunterricht: Auf der Leinwand erscheint eine Landkarte von Kuba, verschiedene Landstriche und Städte leuchten auf. Spontaner Applaus im Saal…
Che Guevara ist bei Steven Soderbergh ein netter Kumpel mit Maschinenpistole im grünen Kampfanzug. Ein Arzt, der sich rührend um die Armen kümmert, dabei selbst an Astma leidet. Der Film zelebriert die Erhabenheit der tropischen Ladschaft: das satte Grün der Wälder und Wiesen, der ungeheure Himmel darüber. Dazwischen sind nachgespielte Szenen von Che Guevaras legendärem offiziellem Besuch in New York geschnitten. Diese Szenen sind schwarzweiß. Die Herrlichkeit und Einfachheit des Leben der Guerilleros kontrastiert auf diese Weise sinnfällig mit dem dekadenten Dasein in der westlichen Metropole. Besonders deutlich an einer Stelle, wo ein Festbankett in New York gezeigt wird: Alle Leute um Guevara herum schlemmen. Der Revolutionär aber zeigt der Dekadenz, dem westlichen Luxus, die kalte uniformierte Schulter.
Leni Riefenstahl hätte an diesem Filmkunstwerk ihre helle Freude gehabt.
Es ist nicht so, dass alles Problematische ausgespart wird. So werden wir Zeugen einer Exekution, die Guevara befehligt. Allerdings sind die beiden Leute, die Guevara erschießen lässt, Räuber und Vergewaltiger, d.h. der Zuschauer muss das Gefühl haben: Recht geschieht ihnen.
Mit der Wahrheit hat das ungefähr so viel zu tun wie Josef Stalins „Kurze Lebensbeschreibung“ mit der Realität der Großen Säuberungen. Ich zitiere aus Gerd Koenens biografischem Essay „Traumpfade der Weltrevolution – Das Guevara-Projekt“:
„Umso härter war der Umgang der Rebellenarmee mit den sogenannten `chivatos´, den Informanten der Landpolizei oder Patteigängern des Regimes, die ihnen in die Hände fielen; vor allem aber mit Verrätern und Delinquenten unter den Bauern oder in den eigenen Reihen. In dem Berggebiet, das die Guerilla verteidigte und beherrschte, wurde eine Sonderjustiz etabliert, die sich mangels Gefängnissen auf die Alternative von sofortiger Hinrichtung oder Freispruch auf Bewährung reduzierte. Sehr bald gewann diese Praxis einen zug systematischen Terrors, der im Verlauf der beiden Jahre womöglich so viele Tote fodern sollte wie die Gefechte in der Sierra.“ (Koenen, p. 171)
Hier eine originale Tagebucheintragung von Che Guevara:
„Die Situation war für die Männer und für ihn unangenehm, also machte ich dem Ganzen ein Ende und schoss ihm mit einer 32-er Pistole in die rechte Gehirnhälfte mit Austrittsloch am rechten Schläfenbein… Als ich ihm seine Habseligkeiten abnehmen wollte, konnte ich seine Uhr… nicht losmachen, und da sprach er zu mir mit ruhiger Stimme, aus einer Ferne jenseits der Angst: Reiß sie ab, Junge, was spielt das noch für eine Rolle… Und das tat ich, und seine Habseligkeiten waren mein.“ (Koenen, p. 172)
Die Menschenfreundlichkeit eines Hannibal Lecter.
Der Zufall hatte mir Koenens jüngste Veröffentlichung in die Hände gelegt, kurz bevor ich mich für 14 Stunden ins Flugzeug nach Israel setzte. Ich habe sein Buch dann buchstäblich im Fluge durchgelesen und möchte an dieser Stelle ausdrücklich Werbung dafür machen.
Soderberghs Mammutfilm endet kurz vor dem Einzug von Fidel Castros Guerillatruppen in Havanna. Das ist natürlich ungemein praktisch, weil er sich dem Kapitel „Che Guevara an der Macht“ gar nicht stellen muss. Keine Szene dieses Films zeigt also die Hinrichtungen, die sofort nach der Machtübernahme begannen, Hinrichtungen, die Guevara befehligte und die nicht nur Batista-Anhänger das Leben kosteten. Von Anfang wurden auch Batista-Gegner an die Wand gestellt, die Castro und Genossen schlicht nicht passten. Auch die Konzentrationslager sehen wir nicht, die Che Guevara für Regimegegner und Homosexuelle errichten ließ. In einer Filmpassage läuft es dem Zuschauer kalt den Rücken hinunter: Che Guevara hält dort eine Rede vor seiner Guerillatruppe und fragt, ob vielleicht irgendwelche „Schwuchteln“ nachhause gehen wollten? Kein Wort darüber, was den Schwulen unter seinem Regime angetan wurde.
An einer anderen Stelle gerät Soderberghs Film schlicht verlogen: Wir sehen, wie Guevara einen jungen Genossen zurechtweist, der einen Sportwagen geklaut hat – nach dem Motto: Du fährst sofort zurück und übergibst das Auto seinem rechtmäßigen Eigentümer! Bei Koenen aber lese ich über die Zeit nach dem Einmarsch in Havanna: „In kurzer Zeit verfügte das anschwellende Korps der neuen Milizionäre über eine ganze Armada requirierter Buicks, Fords und Chevrolets. Einer von Ches halbwüchsigen Soldaten… berichtet in seinen Erinnerungen, ihm hätten `nach dem Triumph der Revolution zwei Wagen gehört: ein Cadillac 59, den mir Camilo geschenkt hatte, und ein Chrysler 58, den ich zufällig gefunden hatte´. Castro würde anderthalb Jahre nach der Machteroberung in einer ungeschützten Redepassage sagen, dass mittlerweile mehr seiner Soldaten bei ungeschützten Unfällen mit `beschlagnahmten´ Autos umgekommen seien als beim Kampf in der Sierra.“ (Koenen, p. 189)
Ich sage es kurz und so einfach, wie es ist: Steven Soderberghs „Che“ ist ein lachhafter Propagandafilm. Eigentlich kann ich mich nicht mal darüber aufregen. Das Einzige, was man zu Soderberghs Gunsten annehmen könnte, wäre, dass er vom kubanischen Regime bezahlt wurde. Ich fürchte aber, er hat diesen Mist ganz freiwillig gedreht, aus reinem Idealismus.
Übrigens muss ich zugeben, dass ich irgendwann im zweiten Teil gegangen bin. Im zweiten Teil wird langatmig aufgerollt, wie Che Guevara in Bolivien die Weltrevolution starten wollte – mir war so furchtbar fad, und ich hatte kein Popcorn dabei. Der Moment, in dem ich meine Siebensachen zusammenraffte und das schöne „Ziegfeld Theatre“ verließ, war genau der, in dem die unbegabteste aller deutschen Schauspielerinnen, also Franka Potente, den Mund aufmache. Beim Hinausgehen fragte ich mich Folgendes…
Doch zunächst zwei Guevara-Zitate. Nach der Raketenkrise von 1962, bei der die Aufstellung sowjetischer Massenvernichtungswaffen auf Kuba die Welt an den Rand eines Dritten Weltkrieges geführt hatte, sagte Che Guevara in einem Interview: „Wenn sie uns angreifen, werden wir bis zum Ende kämpfen. Wären die Raketen hiergeblieben, hätten wir sie bei unserer Verteidigung gegen die Aggression alle eingesetzt und sie direkt auf das Herz der USA gerichtet, sogar auf New York.“ Und in einem Zeitungsartikel behauptete Che, die Kubaner lieferten „das erregende Beispiel eines Volkes, das bereit war, sich im nuklearen Krieg aufzuopfern, damit seine Asche als Fundament für eine neue Gesellschaft diene“. (Koenen, pp. 285 ff.)
Hier also die Frage, die ich mir selbst beim Verlassen des Kinos vorlegte. Ist es ein Zeichen für Stärke, dass just in der Stadt, die Che Guevara liebend gern zerstört hätte, ein Film gezeigt wird, der ihn verherrlicht? Ist es ein Symbol von Liberalität, in gewissem Sinn auch Signum einer großartigen Wurschtigkeit (weil es letztlich eben wirklich wurscht ist)? Oder stellt es nicht vielmehr ein Symptom extremer Schwäche dar, dass so etwas einfach „durchgeht“, ohne Gegendemonstrationen, ohne jeglichen Skandal? Werden morgen im selben Lichtspielhaus Filme zur Verherrlichung von Bin Laden gezeigt? Und: Hat es jemals eine Zivilisation gegeben, die sich selbst so gründlich gehasst hat wie die unsere?
Mir fiel beim Hinausgehen auch ein Wort von Vladimir Nabokov ein. Der ärgerte sich, wenn seine ahnungslosen amerikanischen Freunde ihm die Güte Lenins anpriesen, und sagte irgendwann, die Güte Lenins sei wie eine Kanne voller Milch, auf deren Boden eine tote Ratte liege.         

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