Hannes Stein / 12.12.2008 / 15:36 / 0 / Seite ausdrucken

Brecht und ich in Hollywood (plus Leserbrief)

Ich hatte grad in Hollywood zu tun und schrieb nebenbei dies hier. Dazu erreichte mich folgender Leserbrief von Wolf Biermann, der vielleicht nicht nur mich interessiert:


hallo Hannes,
las eben Deine Nebenbei-Sottise gegen das Weltgenie. Es ist gemein, was Du da schreibst, aber Du hast vollkommen recht, ich sehe den rabenschwarzen Undank der deutschen Edel-Emigranten Brecht, Bloch, Feuchtwanger, Heinrich (nicht Thomas) Mann, Gerhard und Hilde und Hanns Eisler genau so.  Zwei Hauptgründe für diesen schoflen Undank: der zum Kommunismus konvertierte bürgerliche Brecht wollte sich seinen grau in grau angeschminkten pathetischen Heilsglauben der revolutionären Arbeiterklasse nicht rauben lassen, schon gar nicht von den bunten Super-Kapitalisten im lebensfrohen Kalifornien.
Auch der Edelkommunist Brecht verdankte diesen großherzigen Amerikanern mehr als wohl ein Mensch seelisch aushalten kann. Brecht sah keine Chance, sich jemals bei seinen Lebensrettern zu revanchieren. Also tat er, was auch jeder hochkarätige Kleinscheißer tut: Er redete sich und anderen diese genossene Wohltat des Klassenfeindes klein und dessen Motive schlecht.  Und ähnlich ging es auch - im verschiedenen Grade der Selbstverlogenheit -  vielen seiner linksalternaiven Schicksalsgenossen, die sich vor den Nazis in dieses irdische Paradies der Freiheit gerettet hatten.
Nur ein kleiner Fehler in Deinem Artikel:  Das legendäre Arbeiterkind Margarete Steffin hat der Brecht nicht sterbend in Wladiwostok zurückgelassen - das ist anders gewesen. Die Steffin starb in Moskau.
Sie hatte in Finnland zusammen mit Hella Wuolijoki in Marlebäck dem Brecht das Material für das Puntila-Stück vorgearbeitet. Sie hatte ihn und Helene Weigel und die Kinder Steff und Barbara und die neue dänische Kebse Ruth Berlau auf dem Weg von Svendborg nach Schweden und dann nach Finnland begleitet und floh dann auch mit in die SU. 
Die Weigel war wütend auf diese plebejische Konkurrentin aus Berlin, und mehr noch auf Brecht. Sie verbot ihm, die beiden Kinder zu küssen. Helene Weigel ertrug Brechts erotischen Eskapaden wie ein gehorsamer Partei-Eunuche, aber sie wollte nicht, daß Brecht ihre Kids mit der Tuberkulose der Nebenfrau ansteckte. In Moskau kam die Steffin todkrank ins Krankenhaus: ihre alte TBC hatte sich nun dramatisch verschlimmert. 
Brecht hinterlegte in Moskau noch eine Summe Gold-Valuta zur Bestreitung der Krankenhauskosten und kaufte sich so auch moralisch frei.  Brecht machte sich ohne Verzug -  und ich vermute: ohne schlechtes Gewissen -  mit den zwei Frauen und zwei Kindern auf die Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn.  Das paßte zur neueroberten revolutionären Moral aus dem Stück “Die Maßnahme”.
Margarete Steffin, von der mir Lou Eisler in Wien mal sagte, sie sei die einzige Frau gewesen, die er wirklich geliebt habe, schrieb über Brecht: “Ich liebe ihn so sehr, daß ich daran sterben werde.” 
Die Steffin hatte die Gründe für Brechts Eile wohl tapfer eingesehn, denn sie war nicht transportfähig und offenbar medizinisch nicht mehr zu retten. Außerdem wird auch Brecht gewußt haben, daß die US-Amerikaner keine Emigranten mit TBC ins Land ließen. 
Und die internationale Situation spitzte sich zu. Der Freundschaftspakt Stalin Hitler galt noch für immer und ewig. Aber die exilgebrannten Menschenkinder spürten wahrscheinlich, daß es besser sei, so schnell wie möglich, das Welt-Heimatland aller Werktätigen zu verlassen.
Brecht verlor also keinen einzigen Tag.  Und genau diese scheinbar brutale Vernunft rettete ihm das Leben, das schreibst Du ganz richtig.  Der berühmte Brecht war den Stalinisten immer als ein dekadenter Bourgeois suspekt. Er wäre wohl nach dem 22. Juni 1941 nicht mehr raus gekommen. Und er hätte sich wohl auch - schon aus Hochmut und Stolz - nicht arrangiert wie der parteistramme Friedrich Wolf, oder der kindliche Weinert und die Canaille Johannes R. Becher. Brecht wäre höchstwahrscheinlich krepiert im GULag.  Zumindest will ich das zu Brechts Ehre als Groß-Dichter der Menschheit wie Homer, Dante, Shakespeare, Goethe, Hölderlin, Büchner, Heine annehmen.
Die Reise damals - gegen die Sonnenbahn durch etliche Zeitzonen -  muß  Wochen gedauert haben.  Unterwegs immer wieder kleine Aufenthalte. Zum Glück ging die sozialistische Lokomotive nicht kaputt.  Kurz vor dem Erreichen des tausende Kilometer entfernten Hafens Wladiwostok an der Pacific-Küste, erhielt Brecht bei einem Halt in einem kleinen Ort per Telegraph die Nachricht, daß Margarete Steffin gestorben ist. Sie war, glaube ich, nur 32 Jahre alt geworden.  Unser deutscher Dichter verfaßte zwei Texte: Erstens telegraphierte er sofort nach Moskau, daß man ihm den Rest der Gold-Summe zurück überweisen solle - das war die Prosa.  Zweitens die Poesie: Brecht schrieb im kühlknappen Stil jener Jahre ein herzzerreißend kaltherziges Gedicht. Kennst Du es?
    Mein General ist gefallen
    Mein Soldat ist gefallen
    Mein Lehrer ist weggegangen
    Mein Schüler ist weggegangen
    Mein Pfleger ist weg
    Mein Pflegling ist weg.
Dann erwischte er mit seinen vier Menschlein das letzte Schiff, das noch abging nach USA, ich weiß nicht genau, glaube aber, es war ein schwedisches Schiff “Karin”. Und das sollte man wissen:  Nur wenige Tage später marschierte Stalins Herzensfreund Hitler über die Grenze, die er grade vorher mit seinem Verbündeten durch das besetzte Polen gezogen hatte. Die Wehrmacht stach dann wie ein heißen Messer in die sowjetische Butter. 

                                                Wolf am 9. 12. 08 in Altona

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