Natürlich hat die Debatte um den Umzug des Suhrkamp-Verlages von Frankfurt nach Berlin etwas Absurdes. Ökonomisch ist kaum etwas Irrelevanter als der Transfer dieses bestenfalls mittelständischen Betriebes. Suhrkamp hat in etwa die Größe einer gut gehenden Tankstelle. Eine weitere wahrscheinlich hochsubventionierte Ansiedlung eines kleinen Medienhauses, die die hauptstädtische Medienszene begeistert und Berlin dennoch nicht aus der Armut berfreien wird. Und finanziert, das kritisiert Bloggerkollege David Harnasch zurecht, wird der Umzug schätzungsweise aus wirtschaftlich erfolgreicheren Landesteilen.
Trotzdem - und da widerspreche ich dem Kollegen - spielt gerade bei einem Wissensbetrieb wie einem Verlag der Sitz natürlich eine Rolle. Wissensarbeiter lassen sich von ihrem Umfeld inspirieren. Ulf Poschardt, der wenig überraschend den Umzug super findet, verweist in der Wams zurecht darauf, dass für Intellektuelle Städte schon immer denkprägend waren. Und mit der Hauptstadtwerdung Berlins hat sich das intellektuelle Leben dieses Landes tatsächlich verändert.
Allerdings nicht nur zum Guten. Poschardt verweist selbst darauf, dass in Berlin zu wenig gedacht wird. Die frühere Weltzentrale arbeitsloser Philosophen ist heute die Weltzentrale arbeitsloser Projektemacher, die den Habitus des Philosophen als ästhetisches Statement pflegen. Berlin inszeniert semiintellektuelle, durchbohemisierte Lebensstile. Dafür liebt das Land ja seine Hauptstadt. Weil sie so einfach zu erobern ist. Weil jeder Wochenendbesucher per Latte Macchiato-Konsum zur intellektuellen Avantgarde aufschließen kann. Die Dichte bemerkenswerter Buchläden mit originellem Sortiment hingegen ist im Prenzlauer Berg ebenso wie in Mitte deprimierend niedrig. Berlin ist eben vor allem die Hauptstadt der Simulationen. Intellektualität wird genauso simuliert wie ökonomischer Boom, New-York-Haftigkeit, historische Kontinuität oder Bürgertum. Gerade angesichts dieser Berliner Mischung aus Simulationsfreude und Denkfaulheit ist der Suhrkamp-Umzug aber ein gutes Signal. Denn wenn die Suhrkempen eines können, dann denken. Hoffen wir, dass etwas davon auf die Hauptstadt abfärbt.
Zugleich wird der Druck auf den Verlag, neue, originelle Denkrichtungen hervorzubringen, größer. Die Frankfurter Schule macht sich gut als philosophische Speerspitze einer Frankfurter Verlages. Für einen Berliner Verlag stellt die Abwesenheit einer Berliner Schule jedoch ein Positionierungsproblem dar - zumal es in anderen Kulturzweigen, dem Film etwa, durchaus eine Berliner Schule gibt. Also, liebe Suhrkamp-Entscheider: Wäre nett, wenn Ihr nicht nur ein Verlag in Berlin würdet, sondern ein Berliner Verlag.