Die Rede sollte etwas abschließen. Stattdessen hat sie etwas aufgewühlt. Durch die Worte, die Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) wählte, um seinen verstorbenen Vorvorgänger Hans Filbinger zu würdigen, ist die Diskussion um dessen NS-Vergangenheit wieder voll entbrannt. Und Oettinger sieht sich einem Sturm der Entrüstung gegenüber. Der „furchtbare Jurist“ Filbinger als „Gegner“ des NS-Regimes?
Filbinger sei ein „sadistischer Nazi“ gewesen, empört sich der Schriftsteller Rolf Hochhuth, der Filbinger mit seinen Enthüllungen über das Wirken des NS-Marinerichters 1978 politisch zu Fall brachte. Die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, spricht von einer „gefährlichen Perversion der historischen Realität“. Baden-Württembergs SPD-Chefin Ute Vogt wirft Oettinger Geschichtsklitterung vor. Er versuche, Filbinger zu rehabilitieren, „offenbar um sich mit dem konservativen Lager seiner Partei besserzustellen“.
Oettinger, der im März mit einer warmherzigen Rede dem einst aus Deutschland geflohenen Juden Henry Kissinger die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg verlieh, streichelt nun die Unionsrechte? Diese Interpretation teilt auch der ehemalige Landesrabbiner von Baden-Württemberg, Joel Berger. Oettinger müsse schon „verdammt gute Belege haben“, wenn er Filbinger als NS-Gegner bezeichne, sagt Berger dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die „Verharmlosung“ sei dem Vollblutpolitiker nicht herausgerutscht. „Das macht er bewusst.“
Offenbar mit Erfolg. Die CDU steht geschlossen hinter dem Ministerpräsidenten. Selbst aus der Jungen Union hört man kein kritisches Wort. Steffen Bilger, Landesvorsitzender der CDU-Nachwuchsorganisation, zeigt sich „verwundert“ über die Debatte. Er ist einer der 700 Trauergäste in Freiburg gewesen. „Viele haben es als befreiend empfunden, dass Oettinger einige Dinge mal klar- gestellt hat“, sagt Bilger. Und Oettinger beharrt, er habe nicht die Absicht „diese Kampagne von Rot und Grün aufzugreifen, sondern die Würde des Toten zu wahren.“
Der Tote, Hans Filbinger, geboren 1913, ist ein Musterbeispiel eines erfolgreichen deutschen Lebenslaufs seiner Generation, möglich durch ein hohes Maß an vorauseilendem Gehorsam und nacheilender Verdrängung. Die Würde des Matrosen Walter Gröger, als Deserteur am 16. März 1945 erschossen, hat an Filbingers Grab keinen Platz.
Der Freiburger Historiker Wolfram Wette ist dem Fall Gröger minutiös nachgegangen. Demnach ist unstrittig, dass Filbinger als Ankläger Grögers Hinrichtung verlangt hatte. Zwar folgte er damit bloß der Forderung seines Vorgesetzten, aber die vorhandenen Möglichkeiten, sich für ein milderes Urteil einzusetzen, habe Filbinger nicht genutzt. Dennoch formulierte Oettinger auf der Trauerfeier: „Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte.“ Der Satz ist nicht von ihm. Filbingers Anwalt Gerhard Hammerstein habe ihn 1995 in einem Leserbrief an die „Badische Zeitung“ verwendet, so Wette. Schon damals war die Formulierung ein Kunstgriff.
„Filbinger war Verfahrensbeteiligter beim Todesurteil gegen Gröger“, sagt Manfred Krause, Vorsitzender des Forums Justizgeschichte und Präsident des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts. „Ich weiß nicht, wie Oettinger zu dieser grotesken Verschleierung kommt.“ Filbinger sei bestenfalls ein „sehr aktiver Mitläufer“ gewesen, der 1937 in die NSDAP eingetreten sei und noch im Juni 45 Urteile gegen Deserteure verhängt habe.
„Mit dem Tod des langjährigen Ministerpräsidenten sollten auch reflexartige Diskussionen zu seiner Person enden“, sagt der baden-württembergische CDU-Landtagsfraktionschef Stefan Mappus. Dass Oettingers Rede das Gegenteil bewirkt hat, sagt er nicht.
Kölner Stadt-Anzeiger, 13.4.07, Seite 3