Tobias Kaufmann / 13.04.2007 / 17:14 / 0 / Seite ausdrucken

Falsche Worte zur unrechten Zeit

Die Rede sollte etwas abschließen. Stattdessen hat sie etwas aufgewühlt. Durch die Worte, die Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) wählte, um seinen verstorbenen Vorvorgänger Hans Filbinger zu würdigen, ist die Diskussion um dessen NS-Vergangenheit wieder voll entbrannt. Und Oettinger sieht sich einem Sturm der Entrüstung gegenüber. Der „furchtbare Jurist“ Filbinger als „Gegner“ des NS-Regimes?

Filbinger sei ein „sadistischer Nazi“ gewesen, empört sich der Schriftsteller Rolf Hochhuth, der Filbinger mit seinen Enthüllungen über das Wirken des NS-Marinerichters 1978 politisch zu Fall brachte. Die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, spricht von einer „gefährlichen Perversion der historischen Realität“. Baden-Württembergs SPD-Chefin Ute Vogt wirft Oettinger Geschichtsklitterung vor. Er versuche, Filbinger zu rehabilitieren, „offenbar um sich mit dem konservativen Lager seiner Partei besserzustellen“.

Oettinger, der im März mit einer warmherzigen Rede dem einst aus Deutschland geflohenen Juden Henry Kissinger die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg verlieh, streichelt nun die Unionsrechte? Diese Interpretation teilt auch der ehemalige Landesrabbiner von Baden-Württemberg, Joel Berger. Oettinger müsse schon „verdammt gute Belege haben“, wenn er Filbinger als NS-Gegner bezeichne, sagt Berger dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die „Verharmlosung“ sei dem Vollblutpolitiker nicht herausgerutscht. „Das macht er bewusst.“

Offenbar mit Erfolg. Die CDU steht geschlossen hinter dem Ministerpräsidenten. Selbst aus der Jungen Union hört man kein kritisches Wort. Steffen Bilger, Landesvorsitzender der CDU-Nachwuchsorganisation, zeigt sich „verwundert“ über die Debatte. Er ist einer der 700 Trauergäste in Freiburg gewesen. „Viele haben es als befreiend empfunden, dass Oettinger einige Dinge mal klar- gestellt hat“, sagt Bilger. Und Oettinger beharrt, er habe nicht die Absicht „diese Kampagne von Rot und Grün aufzugreifen, sondern die Würde des Toten zu wahren.“

Der Tote, Hans Filbinger, geboren 1913, ist ein Musterbeispiel eines erfolgreichen deutschen Lebenslaufs seiner Generation, möglich durch ein hohes Maß an vorauseilendem Gehorsam und nacheilender Verdrängung. Die Würde des Matrosen Walter Gröger, als Deserteur am 16. März 1945 erschossen, hat an Filbingers Grab keinen Platz.

Der Freiburger Historiker Wolfram Wette ist dem Fall Gröger minutiös nachgegangen. Demnach ist unstrittig, dass Filbinger als Ankläger Grögers Hinrichtung verlangt hatte. Zwar folgte er damit bloß der Forderung seines Vorgesetzten, aber die vorhandenen Möglichkeiten, sich für ein milderes Urteil einzusetzen, habe Filbinger nicht genutzt. Dennoch formulierte Oettinger auf der Trauerfeier: „Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte.“ Der Satz ist nicht von ihm. Filbingers Anwalt Gerhard Hammerstein habe ihn 1995 in einem Leserbrief an die „Badische Zeitung“ verwendet, so Wette. Schon damals war die Formulierung ein Kunstgriff.

„Filbinger war Verfahrensbeteiligter beim Todesurteil gegen Gröger“, sagt Manfred Krause, Vorsitzender des Forums Justizgeschichte und Präsident des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts. „Ich weiß nicht, wie Oettinger zu dieser grotesken Verschleierung kommt.“ Filbinger sei bestenfalls ein „sehr aktiver Mitläufer“ gewesen, der 1937 in die NSDAP eingetreten sei und noch im Juni 45 Urteile gegen Deserteure verhängt habe.

„Mit dem Tod des langjährigen Ministerpräsidenten sollten auch reflexartige Diskussionen zu seiner Person enden“, sagt der baden-württembergische CDU-Landtagsfraktionschef Stefan Mappus. Dass Oettingers Rede das Gegenteil bewirkt hat, sagt er nicht.

Kölner Stadt-Anzeiger, 13.4.07, Seite 3

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Tobias Kaufmann / 02.05.2013 / 09:47 / 0

Grüne Umverteilung

Steuererhöhungen, wie sie die Grünen beschlossen haben, sollen Deutschland sozialer machen. In Wirklichkeit machen sie das Land ärmer. / mehr

Tobias Kaufmann / 08.04.2013 / 00:32 / 0

Widerspruch

Die Morde der NSU sind ein Beleg für einen schleichenden Völkermord an geschäftetreibenden Türken in Deutschland. Jene Neonazi-Schlägertrupps mit christlichem Hintergrund, die sich von Rostock…/ mehr

Tobias Kaufmann / 20.03.2013 / 10:59 / 0

Wir armen Täter

“Unsere Mütter, unsere Väter”, kurz #umuv, wird als Spielfilmvariante der deutschen Vergangenheitsbewältigung hoch gelobt. Und zwar völlig zu Unrecht. Denn dieser Film beantwortet die entscheidenden…/ mehr

Tobias Kaufmann / 19.02.2013 / 10:07 / 0

Böses, böses Pferdefleisch!

Die kriminelle Energie hinter dem Pferdefleisch-Skandal ist empörend. Doch solche Skandale sind kein Grund, die moderne Lebensmittelindustrie zu verdammen. Eher im Gegenteil. / mehr

Tobias Kaufmann / 31.01.2013 / 12:48 / 0

Das Unwort des Monats: Leihstimme

Wenn man den fehlenden Respekt vieler Politiker und politischer Journalisten gegenüber den Wählern illustrieren will, dann eignet sich dieses Wort perfekt. Leihstimme. Denn man kann…/ mehr

Tobias Kaufmann / 24.01.2013 / 14:30 / 0

Witz mit Brüderle

Ist Rainer Brüderle ein Lustmolch? Ein Herrenwitz? Und wenn ja: Was hat das mit seinem politischen Amt zu tun? Die Geschichte des „Stern“ ist mindestens…/ mehr

Tobias Kaufmann / 04.01.2013 / 13:18 / 0

Augstein – Im Zweifel ahnungslos

Frank Olbert hat im Kölner Stadt-Anzeiger das getan, was die meisten Verteidiger Augsteins bisher aus gutem Grund unterlassen – Er hat ihn zitiert. Herausgekommen ist…/ mehr

Tobias Kaufmann / 02.07.2012 / 13:03 / 0

Volkes Stimme gegen Beschneidung

Aus der Rubrik Flaschenpost – eine fast repräsentative Auswahl von Leserzuschriften als Reaktion auf das Beschneidungsverbot-Urteil des Kölner Landgerichts bzw. meine Kommentare dazu. Nach Lektüre…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com