Von Matthias Dietze
Der Ruf nach Neuanfang ist bis zu Frau Merkel durchgedrungen. Personell wie inhaltlich soll er erfolgen, und gute Ratschläge gibt es zu Hauf. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, empfiehlt: „Wir brauchen Angela Merkel an der Spitze von Regierung und Partei. Aber in der zweiten und dritten Reihe brauchen wir neue Gesichter.“
Das ist, als ob man einem abstiegsbedrohten Fußballklub den Rat gibt, statt des Trainers erstmal die Mannschaft zu wechseln. Es wundert nicht, dass Frau Merkel diesem schmeichelhaften Rat folgt und munter beginnt, Posten durchzuwechseln. Der Parteisoldat Thomas de Maizière war erstes Opfer, ihm folgt Peter Tauber als Generalsekretär der CDU. Als Nachfolgerin wurde von Frau Merkel überraschend Annegret Kramp-Karrenbauer designiert, die vor allem mit kritischen Tönen in Richtung Kanzleramt aufgefallen ist. Wer die Kanzlerin kritisieren darf, bestimmt immer noch die Kanzlerin selbst.
Auch das hat sie von der SPD gelernt: Ihr Kampfauftrag lautet: Volkspartei bleiben, Wähler zurückgewinnen. Die klassische Klientel der CDU sieht sich nicht mehr von der Partei vertreten, was es zu ändern gilt. Die Lösung von Frau Kramp-Karrenbauer ist nun eine basisorientierte, umfassende Programmdebatte. Das derzeit gültige Grundsatzprogramm stammt schließlich noch aus dem Jahre 2007 und hat ein wenig Staub angesetzt. Das ist also die vermeintliche Wurzel allen Übels.
Man sieht den Protestwähler regelrecht vor sich, wie er sich, nach gewissenhafter Lektüre der auf 121 Seiten dargelegten 369 Grundsätze und reiflicher Erwägung, gegen die Partei entscheidet. Wenn jemand tatsächlich die Mühe nicht scheut, das richtungsweisende Papier zu lesen, der würde mit Gedanken wie dem Grundsatz 304 belohnt:
„Wir brauchen eine kontrollierte Zuwanderung von gut ausgebildeten, leistungsbereiten und integrationswilligen Menschen, die bei uns leben, arbeiten, unsere Werte und unser Land als ihre Heimat annehmen wollen.“
Oder Grundsatz 142:
„Die Soziale Marktwirtschaft vereint Leistungswillen und Solidarität. Einrichtungen der Solidarität dürfen nicht den Leistungswillen des Einzelnen lähmen.“
Das unbequeme Ergebnis der Meinungsforscher
Das weckt sicher bei dem einen oder anderen Erinnerungen an Zeiten, als man bei der CDU sein Kreuz setzte und tatsächlich CDU bekam. Die Ausgabe der Kanzlerin scheint jedenfalls bei den Koalitionsverhandlungen vergilbt und ungenutzt im Regal stehen geblieben zu sein. Es ist ja auch schon über zehn Jahre her, dass es verfasst wurde. Fraglos lohnt sich daher auch der Blick, ob einige Grundsätze ein Lifting vertragen. Die Ursache für den Wählerschwund ist das wertkonservative Programm aber sicher nicht.
Zur Erhellung der Ursachen für das rätselhafte Wahlverhalten lohnt es, den Blick zu weiten und die Frage in den Raum zu stellen, was bewegt die Wähler, der CDU den Rücken zu kehren und sich der AfD zuzuwenden? Eine Studie des Meinungsforschungsinstituts IM Field aus Leipzig hat die Antwort parat. Hauptgrund, der AfD die Stimme bei der Bundestagswahl 2017 zu geben, war die Flüchtlingspolitik. Wie gut, das hochqualifizierte und professionelle Soziologen mit der Forschung beauftragt wurden, wie wären wir sonst nur zu dieser Erkenntnis gekommen?
Was fängt der Kopf der CDU mit dieser verblüffenden Antwort an? Gravierende Fehler bei der unkontrollierten Aufnahme von Zuwanderern eingestehen? Korrektur der Flüchtlingspolitik? Konsequente Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern? Anpassung der sozialen Leistungen an die finanziellen Möglichkeiten? Nein, die Lösung ist ein auf zusätzliche 220.000 Flüchtlinge jährlich reduziertes „Weiter-so!“ und eben jene Debatte zum Positionspapier.
Der Fisch stinkt vom Kopf her! Diese norddeutsche Weisheit kannte schon Schröder, Frau Merkel kennt sie leider nicht. Denn sonst wüsste sie, dass der personelle und inhaltliche Neuanfang eben bei jenem Kopf beginnen muss und nicht in der zweiten und dritten Reihe.
Matthias Dietze ist als Gymnasiallehrer und Fachausbildungsleiter für die Fächer Politik, Geschichte und Philosophie tätig. Publikationen im Bereich Fachdidaktik. Er ist Mitglied der CDU.