Heute Abend findet in Berlin der Bundespresseball statt. Für den aus der Bundespressekonferenz herausgemobbten Boris Reitschuster ein Anlass, die Veranstaltung und ihre Ausrichter ein wenig kritischer zu würdigen als man es dort gerne sieht.
Ebenso wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht die Bundespressekonferenz (BPK) für eine hervorragende Idee, die mit der Zeit pervertiert wurde und sich ins Gegenteil verkehrte. Die Grundidee hinter der BPK bestand darin, dass nicht die Journalisten zu Gast sind bei den Pressekonferenzen von Politikern, sondern einen eigenen Verein gründen, der dann die Politiker einlädt. Damit die Journalisten selbst das Hausrecht haben und die Politiker nicht „aussortieren“ können, wen sie zu Pressekonferenzen einladen und wen nicht.
Herausgekommen ist nach vielen Jahrzehnten genau das Gegenteil: Die BPK übernimmt jetzt für die Politik, quasi im Outsourcing, das Aussortieren kritischer Journalisten. Ich wurde unter einem absurden Vorwand ausgeschlossen, Henryk M. Broder von der Achse, jungen Autoren von Tichy sowie Florian Warweg (früher RT, jetzt Nachdenkseiten) wird der Eintritt verweigert. Zugelassen wird dafür so gut wie jeder von den „etablierten Medien“, der einen Schreibblock halten kann, egal, ob er die Voraussetzungen erfüllt oder nicht (siehe hier und hier).
Faktisch hat sich die Bundespressekonferenz zu einer Zensur-Institution und zu einer Casting-Show braver Hofberichterstatter für Posten als Regierungssprecher entwickelt. Dazu änderte sie sogar ihre Satzung, um künftig kritische Journalisten draußen zu halten – es wurde der Gummi-Paragraf aufgenommen, dass nur „sachliche Information“ und eine „faire Vermittlung“ gestattet ist. Wer politisch nicht ins Konzept passt wie ich und gar wagte, die Regierung kritisch zu befragen (laut Bundespressekonferenz „bloßstellen“), der wird Zielobjekt von Hass, Hetze und Mobbing der Bundespressekonferenz und ihrer Mitglieder. Zustände wie in einem autoritären Staat.
Umso herzlicher musste ich lachen, als mir jetzt ein empörter Kollege die Einladung zum diesjährigen Bundespresseball zuschickte. Der wird exklusiv von der Bundespressekonferenz organisiert und ist für viele Mitglieder der wichtigste Grund für die Mitgliedschaft und der einzige BPK-Termin im Jahr, bei dem sie sich sehen lassen. Den Ball heute Abend hat der BPK-Vorstand – man glaubt es kaum – unter das Motto „Pressefreiheit“ gestellt.
Warum in die Ferne schweifen, liegt das Schlechte doch so nah...
Alle Gäste bekommen vorab die Fibel „Gloria“ zur 70. Bundespresseballnacht. In deren Einleitung steht: „Unter dem Motto ‚Für die Pressefreiheit‘ nutzen wir den Ball, um die Freiheit der Berichterstattung zu fördern.“ In diesem Jahr sei die Aufmerksamkeit auf kritische Journalisten im Iran gerichtet, die dort verfolgt werden.
„Deutschland scheint für die Gastgeber kein Schwerpunkt zu sein“, schrieb mir der Kollege, der anonym bleiben möchte, aber um den Hinweis bittet, dass er sich „sehr um die aktuelle Pressefreiheit in Deutschland und nicht im Iran sorgt“. Und im Hinblick auf meine Rolle hinzufügte: „Die BPK müsste sich für die Stigmatisierung Ihrer richtigen Corona-Fragen eigentlich entschuldigen".
Statt dessen bekommt Thomas Wiegold den „Preis der Bundespressekonferenz 2023“ verliehen. Der SPD-nahe Kollege unterhält einen bundeswehrkritischen Blog und ist stramm linientreu. Er ist einer der Unterzeichner eines Hetzbriefes aus den Reihen der Bundespressekonferenz gegen Florian Warweg und mich, der am „Tag der Pressefreiheit“ 2021 veröffentlicht wurde (siehe hier). 58 Mitglieder der Bundespressekonferenz (BPK) hatten einen „offenen Brief“ veröffentlicht, in dem sie sich gegen Journalisten-Kollegen wenden, die angeblich „Verschwörungsmythen und Desinformation“ verbreiten würden. Persönlich hat mich Wiegold, obwohl wir gemeinsam beim „Focus“ arbeiteten, nie angesprochen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die Frau des Vorsitzenden der Bundespressekonferenz, Regina Kramer, sowie der Vorsitzende Mathis Feldhoff vom ZDF und Elke Büdenbender, die Ehefrau des Bundespräsidenten, eröffnen den Ball der Eliten um 21 Uhr wie immer mit dem Walzer im großen Saal. Allen Gästen wurde noch eine Karte in der Einladung beigelegt, mit einem Spruch des amerikanischen Journalisten Stewart Alsop:
„Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewisse Leute nicht die Freiheit haben, alles zu tun.“
Dabei hätte man aus heutiger Sicht im Hinblick auf die Bundespressekonferenz eher mahnen können: „Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu fragen …“ Denn genau das versucht die Bundespressekonferenz meiner Erfahrung nach ja zu verhindern.
Pressefreiheit nur für die „richtigen“ Journalisten?
In der Fibel zur Pressefreiheit steht:
„Weltweit geraten Journalistinnen und Journalisten jedes Jahr mehr unter Druck. Eine freie und unabhängige Berichterstattung gilt längst nicht überall als selbstverständlich. Mehr denn je muss die Pressefreiheit verteidigt und weiter gestärkt werden. Wir haben bei Vertretern aus Politik und Medien nachgefragt: Was bedeutet Pressefreiheit und welche Herausforderungen bringt sie mit sich?“
Regierungssprecher Steffen Hebestreit, nach meinen Informationen eine treibende Kraft hinter meinem Ausschluss, Duzfreund des BPK-Vorsitzenden und früher selbst im Vorstand des Vereins, erklärt in der „Fibel“ Pressefreiheit wie folgt:
„Ein Grundrecht, das konstitutiv ist für unsere Demokratie. Demokratie ist gar nicht vorstellbar ohne eine freie und unabhängige Presse, die politische Prozesse kritisch begleitet, politische Positionen ausleuchtet und so zur Meinungsbildung beiträgt. Eine Presse, die sich selbst in sehr aufgeregten Zeiten die Freiheit nimmt, einen coolen Kopf zu behalten und eine abwägende Grundhaltung.“
Wenigstens im letzten Satz deutet Hebestreit an, dass die Pressefreiheit in seinen Augen nur für die „richtigen“ Journalisten gilt. Die „abwägenden“ – also diejenigen, die allenfalls sanft und durch die Blume die Regierung kritisieren.
Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni, der oft mehr wie ein Regierungssprecher denn als Journalist agiert, und dessen Senderkette dafür sorgte, dass ich zur Fahndung ausgeschrieben wurde durch die Polizei, schreibt in der BPK-Broschüre, Pressefreiheit sei für ihn…
„das Privileg, Journalismus ohne Angst um Gesundheit oder gar Leben ausüben zu können. Als Pfeiler einer freiheitlichen Demokratie ist sie ein Grundrecht, aber leider eines, das in so vielen Ländern der Welt alles andere als selbstverständlich ist. Das Bewusstsein um dieses Privileg muss uns die Pressefreiheit verteidigen lassen, wo wir nur können.“
Was für eine Heuchelei. Genauso wie die Antwort von Katarina Barley, SPD, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments:
„…das Fundament einer funktionierenden Demokratie. Eine freie und unabhängige Presse kontrolliert die Macht und ist deshalb unentbehrlich für einen demokratischen Rechtsstaat. Journalist*innen müssen ihre Arbeit frei und unbehindert ausüben können – überall auf der Welt.“
Offenbar gilt ihre Forderung nur nicht in Deutschland.
In sitze gerade über einem Buch, in dem ich den Vorhang lichten werde, wie dreist die Bundespressekonferenz hinter den Kulissen gegen die Pressefreiheit kämpft. Und mit welchen unglaublichen Schikanen und welchem Psychoterror man als kritischer Journalist in Deutschland leben muss: bis hin zur Ausschreibung zur Fahndung und physischen Angriffen durch die Polizei und durch Dritte, die von der Polizei demonstrativ nicht verfolgt werden. Mich hat der Dauerstress krank gemacht, bis hin zu einer Not-Operation (siehe hier und hier).
Vielleicht sollte man mein Buch beim nächsten Bundespresseball statt der „Fibel“ verteilen. Und dann mal vor der eigenen Haustüre kehren statt im Ausland. Und man könnte sich ehrlich machen und die Veranstaltung umbenennen: in „Bundesheuchlerball der Bundespropagandakonferenz“. Entschuldigen Sie, wenn ich hier solch harsche Worte wähle – aber weniger harsche wären diesem Ausmaß an Doppelmoral und Zynismus einfach nicht angemessen
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Boris Reitschuster.de