Volker Seitz / 26.03.2024 / 16:00 / Foto: Ourysow92 / 10 / Seite ausdrucken

Die grausame Diktatur des Ahmed Sékou Touré

Vor 40 Jahren starb Guineas Diktator Sékou Touré. Er verstand sich als Sozialist und errichtete eine Schreckensherrschaft, über die immer noch kaum gesprochen wird.

Der erste Präsident Guineas, Ahmed Sékou Touré, regierte nach der Unabhängigkeit 1958 von Frankreich mit Unterstützung des Militärs bis zu seinem Tode 1984. 1960, 1969, 1973, nach vermeintlichen Umsturzplänen, wurden Militärs, Beamte und Leute aus dem Umkreis des Diktators exekutiert. Während seiner Regierungszeit gab es immer wieder Verhaftungswellen. Das Folter- und Todeslager Boiro ist bis heute in dunkler Erinnerung der Bevölkerung. Sein Terrorregime hinterließ über 50.000 Tote. Zwei Millionen Guineer, ein Viertel der Bevölkerung, ging ins Exil. Meist in die Côte d’Ivoire und in den Senegal.

Tierno Monénembo (eigentlich Tierno Saidou Diallo) verlässt 1969 Guinea. Er flüchtet zu Fuß ins Nachbarland Senegal. Später hat er in Biochemie in Lyon promoviert. Seit 1979 arbeitet er als Schriftsteller in Frankreich. Sein umfangreiches Werk, bis heute 14 Bücher, zählt zu den wichtigen Stimmen in der afrikanischen Literatur. In seinem aktuellen Roman „Indigo Blau“, Hammer Verlag, 2024 (Sahararienne Indigo, Seuil, 2022) gibt der Autor den Opfern der grausamen Diktatur Sékou Tourés eine Stimme. 

Ich zitiere ein vom Autor möglicherweise erfundenes Opfer. Vielleicht auch nicht erfunden. (Ich habe in dieser Zeit vier Jahre als junger Diplomat in Guinea gearbeitet und hörte oft ähnliche Geschichten.) „Erst hatte er die Leitung der Konservenfabrik in Mamou, dann der Saftfabrik in Forecariah und schließlich der Brauerei Sobragui übernommen. Zum Schluss hatte ihn Sékou Touré, der ihn sehr schätzte, zum Minister für Wirtschaft und Finanzen ernannt. Am Vorabend seiner Verhaftung hatte er noch im Präsidentenpalais zu Abend gegessen. Sékou Touré war eiskalt: Erst lud er seine Minister zum Essen ein, dann ließ er sie ins Camp B werfen. Die armen Teufel waren vollkommen überrascht, wenn die Soldaten bei ihnen mit Stiefeln die Türen eintraten: Was! Ich, ein Verschwörer? Weiß Sékou Touré davon? Ruft ihn an, dann seht ihr, dass es ein Missverständnis ist.“  

Unter Sékou Touré stellte man die „Schuldigen“ vor ein Mikrofon – und nicht vor ein Gericht –, man zeichnete ihre per Elektroschock erpressten Geständnisse auf, ließ sie im Radio abspielen, und der Prozess war zu Ende. Die Unglücklichen hatten nicht die Gelegenheit, sich zu verteidigen.

Das Folter-Camp Boiro

Es war natürlich kein Missverständnis. Das Camp B war das berüchtigte Camp Boiro, in dem politische Gefangene von 1960 bis 1984 verschwanden und oft zu Tode gefoltert wurden. Mir bekannte Gefangene waren der Schriftsteller Keita Fodéba, der Erzbischof von Conakry Raymond-Maria Tchidimbo und der Aachener Braumeister der Brauerei Sobragui, Adolf Marx. Letzterer kam nach vier Jahren mit erheblichen gesundheitlichen Schäden frei. Er berichtete, dass Ehefrauen und Töchter vor den Augen ihrer gefesselten Männer bzw. Väter vergewaltigt wurden. Bei den Folterungen sei meistens ein Familienmitglied des Präsidenten anwesend gewesen. (Nach meiner Erinnerung war das meist der Bruder des Präsidenten und Chefankläger im Camp B, Ismael Touré.)

Tierno Monénembo ergänzt: „Seine Nachforschungen hatten ergeben, dass im Camp B mehrere Babys zur Welt gekommen waren, die von den Folterknechten ihrer Eltern adoptiert wurden.“ In dem oft auch burlesken Roman suchen die hinterbliebenen Kinder nach ihrer Identität.

Auch Maryse Condé berichtet, dass in Guinea die Masse der Bevölkerung unter grausamen Verhältnissen lebte. Sie schämte sich, weil sie Keita Fodéba, einem der wichtigsten Stützen des Diktators Sékou Touré, gegenübersaß und ihn nicht beschimpft hatte. „Wegen eines Stromausfalls hatten wir eine Spirituslampe angezündet. Wir tranken Ersatzkaffee, in dem unaufgelöste russische Zuckerwürfel schwammen. Die tschechischen Minzkekse unseres frugalen Imbisses waren hart wie kleine Steine. Aber das war nicht das Schlimmste. Jeder musste inzwischen um sein Leben fürchten. Völlig unbescholtene Leute verschwanden, wurden ohne ersichtlichen Grund ins Gefängnis geworfen.“ 

Der „Mann in Weiß“

Sie berichtet allerdings nicht, dass Keita Fodéba nicht nur Schriftsteller, sondern auch von 1961 bis 1969 Verteidigung- und Sicherheitsminister war und für Sékou Touré vermeintliche Komplotte gegen den Präsidenten aufdeckte. 1969 geriet er selbst in Verdacht und verschwand im Camp B. Nach vollständigem Nahrung- und Flüssigkeitsentzug („diète noir“) wurde er im Mai 1969 erschossen.

Der ivorische Schriftsteller Ahmadou Kourouma beschreibt in seinem immer noch lesenswerten scharfzüngigen Bestseller „Die Nächte des großen Jägers“ („En attendant le vote des betes sauvages“) Sékou Touré als den „Mann in Weiß“, weil er stets die traditionelle Kleidung Westafrikas, den weißen Boubou und eine weiße Kopfbedeckung trug. „Der Mann in Weiß war Sozialist und genoss die Schmeicheleien, die Bewunderung und die Unterstützung des Ostens.“ „Oberster Verantwortlicher (dies war der Ehrenname, den der Diktator … am liebsten hörte). Er galt als der Weise, der Unbestechliche, der niemals einen Tropfen menschlichen Blutes vergoss, und so fort. Der Mann in Weiß hingegen stand in seiner ganzen unverhüllten Nacktheit da als der grausame, größenwahnsinnige, fanatische, tribalistische, sadistische Diktator, der er war, der Mann, der sein Land ausblutete.“

„Bis heute ist Camp B in Conakry ein kollektives Tabu. Darüber zu sprechen ist nicht möglich, vergessen ist nicht erlaubt“, schreibt Tierno Monénembo.

Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „ Afrika wird armregiert“, dtv 11. Auflage 2021

Foto: Ourysow92 CC BY-SA 4.0, Link

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Rolf Menzen / 26.03.2024

Sekou Touré war halt der typische afrikanische Big Man. So wie Idi Amin oder Bokassa.

Lao Wei / 26.03.2024

Den Sozialismus - aller Schattierungen - in seinem (mörderischen) Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf!

Rainer Nicolaisen / 26.03.2024

zu@St. Marek—also in bester Nähe zu Merkel bzw. umgekehrt.

L. Luhmann / 26.03.2024

Die Republik Guinea hat einen durchschnittlichen IQ von ungefähr 56. Und wenn man diesen IQ mit den Schierlingsbechern Sozialismus und Islam mischt, dann ist es doch sehr bemerkenswert, dass es nur etwa 50.000 Tote gab. Aber wahrscheinlich war die Vernichtungsgeschicklichkeit dieses sozialistischen Mohammedaners einfach nicht auf dem Niveau z. B. der Khmer Rouge?(Durchschnittlicher IQ Kambodscha etwa 99!)

Lutz Herrmann / 26.03.2024

Wird vielleicht mal verfilmt mit Forest Whitaker, und er kriegt dafür noch ‘n Oscar.

Volker Seitz / 26.03.2024

@Emil Meins. Der Name Toure ist in allen Ländern Westafrika verbreitet. Darüberhinaus finden Sie ihn in über 100 Ländern weltweit.

Volker Franzen / 26.03.2024

Sind diese unvorstellbaren Gräueltaten eigentlich vergessen? Es wäre gut, wenn sich die Afrikaner selbst mit diesen Taten auseinandersetzen würden. Nur so kann man daraus lernen.

jan blank / 26.03.2024

Soviel zur gern von der progressiven Linken geschmähten “Bürgerlichkeit”. Die gibt es in Afrika nämlich nicht. Vielleicht ist man deshalb hierzulande so scharf drauf, möglichst viele Afrikaner reinzuholen. Ich finde unsere progressive Linke sollte die Umgangskultur dieser “herrlich unverbildeten Naturmenschen” vor Ort geniessen dürfen. Ohne Rückflugticket. Wegen Klima und so.

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