Thilo Spahl, Gastautor / 21.07.2016 / 07:56 / Foto: Clay Junell / 5 / Seite ausdrucken

Nonsense-Studien: Machen Obst und Gemüse glücklich?

Von Thilo Spahl.

Es fing Anfang der 1990er Jahre an. Mehr Obst und Gemüse solle man essen. Am besten fünf Stück am Tag. Das schütze vor Krebs. Von einem um 50 Prozent gesenkten Risiko war die Rede. Mir kam es gelegen, ich esse gerne ein schönes Ratatouille. Aber stimmte es auch? Das sollte die groß angelegte EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) mit Daten einer halben Million Menschen aus zehn Ländern herausfinden. 2010 wurden die ernüchternden zusammengefassten Ergebnisse veröffentlicht: Es konnte kein signifikanter Effekt belegt werden. Das Gleiche gilt für weitere große Studien. In einer Stellungnahme zum Thema schreibt das Deutsche Institut für Ernährungsforschung:

„Die Auswertung der beiden amerikanischen Kohorten Nurses Health Study und Health Professional Study (insgesamt 109,000 Teilnehmer, 2500 Krebsfälle) zeigte keinen Einfluss des Obst- und Gemüseverzehrs auf das gesamte Krebsrisiko. (…) Die Daten der prospektiven Kohortenstudien zeigen übereinstimmend, dass zwischen dem Verzehr von Obst und Gemüse und dem Risiko einer Brustkrebserkrankung keine Assoziation besteht. (…)

Die Daten zur Rolle des Obst- und Gemüseverzehrs in der Entstehung des Colon- / Rectum-Carcinom sind bislang inkonsistent, zeigen geringe Effekte und zum Teil nur in Subgruppen der Studienpopulationen. (…) Nach der jetzigen Datenlage ist also das vermutete Krebs-präventive Potenzial von Obst und Gemüse geringer als bislang angenommen und auf wenige Krebsarten beschränkt.“

Die Fachwelt hat sich also damit abgefunden, dass Fünf am Tag keinen nennenswerten Beitrag zur Krebsprävention leistet. Aber was soll’s! Das heißt ja noch lange nicht, dass viel Obst und Gemüse zu essen nicht trotzdem gesund sein könnte. Die Kampagne 5 am Tag unter der gemeinsamen Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Bundesministeriums für Gesundheit läuft deshalb munter weiter.

Eine neue Variante zur Rettung des „Obst und Gemüse“-Regimes

Eine neue Variante zur Rettung der Legitimation des „Obst und Gemüse“-Regimes haben nun Forscher der Universität von Warwick vorgelegt. Es geht um Acht am Tag, um Glück und Zufriedenheit. In der Pressemitteilung erfahren wir: „Die in Kürze im angesehenen American Journal of Public Health erscheinende Studie ist einer der ersten bedeutenden wissenschaftlichen Versuche, jenseits der traditionellen Befunde, dass Obst und Gemüse das Risiko für Krebs und Herzinfarkte reduzieren können, das psychologische Wohlbefinden zu erforschen.“ Den Forschern geht es vor allem um die motivationalen Aspekte. Hier sehen sie klare Vorteile für professionelle Ernährungsaufklärer: „Vielleicht werden unsere Resultate effektiver sein als die traditionellen Botschaften, wenn es darum geht, Menschen davon zu überzeugen, sich gesund zu ernähren. Obst und Gemüse lohnen sich psychologisch sofort – nicht erst durch geringere Gesundheitsrisiken Jahrzehnte später.“

Liebe Forscher! Kann es vielleicht sein, dass das Essen und Erforschen des Essens von Obst und Gemüse zu Störungen in der Realitätswahrnehmung führen? Das Problem ist, dass man den Leuten ja erst mal verklickern muss, wie viel Freude sie durch Obst und Gemüse haben werden, das sie bisher offenbar aus Unkenntnis verschmähten. Ob das wirklich so einfach ist? Nehmen wir mal an, ich bin zu einer Grill-Party eingeladen und treffe in freudiger Erwartung saftiger Steaks und knuspriger Hähnchenflügel am Ort des Geschehens ein. Der Gastgeber zieht zur allgemeinen Überraschung das American Journal of Public Health hervor, um in heiterer Erregung (er hat schon etliche Tomaten intus) uns nichts ahnenden Gästen die frohe Botschaft zu überbringen. Ein glückliches Leben erwarte uns, und hier und heute nehme es seinen Ausgang. 80 Stück Obst und Gemüse liegen bereit.

Ich weiß nicht, ob die Schrecksekunde ausreichen würde, um mir eine höflich lustige Reaktion einfallen zu lassen. Ich zweifle auch, dass ich beim nächsten Wocheneinkauf für die Familie, tatsächlich 280 Stück Obst und Gemüse in die Einkaufswagen laden würde im festen Glauben an die wissenschaftlich wie auch immer ermittelte beglückende Wirkung.

Oder anders erforscht, einfach mal so durch Nachdenken (ohne dass 12 000 Leute Ernährungstagebücher führen müssen): Kann es vielleicht sein, dass sich die Leute deshalb nicht die allüberall empfohlenen üppigen Grünzeugmengen einverleiben, weil es ihnen mehr Freude bereitet, Schnitzel, Schokolade, Spaghetti, Wurst, Käse und Kartoffelchips zu essen? Und kann es diese alltägliche Freude am Essen unter Umständen in psychohygienischer Hinsicht mit dem durch maximalen Obst und Gemüseverzehr evozierten Glücksgefühlen der Bekehrten aufnehmen? Ich glaube, die Antwort lautet: Ja!

Weitere Nonsense-Studie für das ultimative Glück der Bürger

Die Wissenschaft hat also festgestellt, dass Obst und Gemüse glücklich machen. Und zwar mächtig glücklich. Wer es von praktisch Null auf Acht am Tag schafft, bei dem wurde ein Verglücklichungseffekt ermittelt, der dem Übergang von der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung entspricht, teilen uns die Autoren mit.

Aber wie? Wie schafft es das Gemüse, die Menschen glücklich zu machen? Ist es das Gefühl der moralischen Überlegenheit der ernährungswissenschaftlich Geläuterten? Das gute Gefühl, die schwere Aufgabe geschafft zu haben? Disziplin beim Frühstück, Mittag- und Abendessen und, nicht zu vergessen, bei den Snacks zwischendurch bewiesen zu haben? Die Autoren wissen es nicht. Das Wie war nicht Gegenstand ihrer Forschung. Aber sie äußern doch immerhin eine Vermutung: Mit den Carotinoiden möge es vielleicht zu tun haben. Es gebe da Hinweise hinsichtlich eines Zusammenhangs zwischen den Carotinoidwerten im Blut und Optimismus. Herrje, noch mehr unsinnige Studien!

Hier sei aber weitere Forschung vonnöten. Mit diesem Satz enden fast alle Arbeiten, in denen es in erster Linie darum geht, Geld für weitere nutzlose Forschung einzuwerben. Wer wollte es ihnen verwehren, verfolgen sie doch die gute Sache der Besserung des Menschen?! Schon 2012 kamen sie zu ähnlichen Ergebnissen und empfahlen „Regierungen, denen am ultimativen Glück ihrer Bürger liegt“, weitere Studien zu finanzieren. Es scheint geklappt zu haben. Und vielleicht springt ja auch noch eine Lösung des gesellschaftlichen Problems der negativen Folgen der Arbeitslosigkeit dabei heraus.

Thilo Spahl ist Diplom-Psychologe und lebt in Berlin. Er ist freier Wissenschaftsautor, Mitgründer des Freiblickinstituts und Novo-Redakteur. Dieser Beitrag erschien zuerst auf Novo-Argumente hier.

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Andreas Rochow / 22.07.2016

Nicht 5, gefühlte 50 Stück (Süßkirschen) haben mich kürzlich überglücklich gemacht. Dieser exzessive Konsum führte zu genüsslicher Behaglichkeit und rief Erinnerungen an meinen ersten Armbruch nach Sturz aus Nachbars Kirschbaum wach. Trotzdem möchte ich betonen, dass Studien, die mit so hochpräzisen Dosierungen wie “5 Stück” arbeiten und dabei nicht ernsthaft gegen die Verwechslung von Äpfeln und Birnen argumentieren, einfach nur zum Lachen sind.

Herman Renz / 22.07.2016

Obst macht definitiv glücklich, wenn man es flüssig in vergorener Form zu sich nimmt. Ich bevorzuge hier Trauben

Roland Winkhart / 21.07.2016

Mich macht eine Semmel mit warmem Leberkäse glüchklich.

Petra Wilhelmi / 21.07.2016

Wenn ich unsere Industrieäpfel sehe, bin ich eher unglücklich und ich meide sie wie die Pest. Sie schmecken nach nicht viel und werden auch nur noch selten bräunlich bis gar nicht mehr, wenn man sie aufschneidet und sie duften auch kaum noch. Ein Apfel ist das nicht mehr. Das unreif gepflückte andere Obst ist auch nicht viel besser und wird auch durch Liegenlassen nicht schmackhafter. Glück? Fehlanzeige! So könnte man immer weiter fortfahren.

Klaus Klinner / 21.07.2016

Ihr Beitrag trifft den pseudo-akademischen Wahnsinn wie die Faust das Auge. Die Forschung früherer Jahre, kaprizierte sich (meist) auf tatsächlich wichtige Dinge. Bei jungen Kollegen heute habe ich häufig das Gefühl, dass es darum geht Statistik zu betreiben um der Statistik willen.

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