Gastautor / 22.09.2016 / 06:00 / Foto: David Hume / 2 / Seite ausdrucken

Henry Kissinger: Da war auch Licht

Von Ralf Ostner.

Ein neues Buch portraitiert Henry Kissinger vor allem als Kriegsverbrecher, Fürst der Finsternis aus einem düsteren Reich der Schatten und Unmenschen: Kissingers langer Schatten von Greg Grandin (C.H. Beck Verlag). Zugegeben war Kissinger ein Realpolitiker, der keine Skrupel hatte bezüglich Kriegen, Militärdiktaturen, Putschen, Attentaten. Nur: Er war da bei weitem nicht der einzige Politiker, der dieses normale Instrumentarium der Politik draufhatte und deswegen dabei keineswegs so herausstechen würde, wäre er nicht Außenminister der größten Weltmacht, der USA gewesen, zumal die Sowjetunion und ihr KGB da noch viel skrupelloser agierten und Frankreich, Großbritannien und viele asiatische und nahöstliche Regime auch nicht ohne waren und sind bei der Wahl ihrer Mittel.

Dennoch muss man sehen, dass Kissinger für die Beziehung zwischen China und den USA und für die Chinesen eine wertvolle Rolle spielte. Im BR lief eine Dokumentation,  in der klar wurde, wo China 1976 zu Maos Tod stand. Keiner wusste, wo es hinging. Die Viererbande um Jiang Qing erwägte die Kulturrevolution wiederzubeleben, besuchte Pol Pot in Kambodscha und überlegte öffentlich in der Volkszeitung nun das Geld abzuschaffen und die Städte zu evakuieren. Sie dachte den kambodschanischen genozidalen Weg an.

Ohne den Kissinger/Nixonbesuch hätte China kaum eine Perspektive gehabt, aus seiner außenpolitischen Isolation herauszukommen. Deng Xiaoping war dann die Konsequenz dieser Politik Kissingers: Mehr Freiheit als unter Mao, gleichzeitig Wirtschaftsreformen und Annäherung an den Westen. Das war Kissingers historisches Verdienst. Man stelle sich demgegenüber ein Pol-Pot-mässiges China vor. Das sind die Geschichten, die in dem Kissinger-bashenden Buch nicht geschrieben werden.
 
Desweiteren war es Kissingers Shuttlediplomatie zwischen Israel und den arabischen Staaten, vor allem Ägypten, die zu einem Ende des Yom-Kippurkriegs führten und die Weichen für Camp David, also dem Friedensschluss zwischen Ägypten und Israel führten.Also, wenn man Kissinger beurteilt, sollte man dies zum einen vor dem Hintergrund des kalten Krieges tun, wie auch seine Aktionen in Indochina, Chile, Osttimor, Angola, Portugal und Spanien.
 
Auch war Kissinger ein Unterstützer der Ostpolitik und des KSZE-Prozesses, die solche Gruppen wie Charta, Solidarnosc und alle Menschenrechtsgruppen im Ostblock die Wurzeln schlagen liessen, die dann unter Reagans Konfrontationspolitik mit der Sowjetunion Früchte trugen. Kritker Kissingers in den USA kommen zudem zumeist aus der rechten Ecke, die ihm seine Entspannungspolitik, den “Verrat an Taiwan und Vietnam”vorwerfen, behaupteten, dass er "soft on communism" gewesen wäre und zumal auch auf seine jüdische Herkunft anspielen und antisemitisch rumhetzen, wie auch seine allseits bekannten Verbindungen zu David Rockefeller, den Bilderbergern, der Chase Manhattan Bank und dem Council on Foreign Relations zu verschwörungstheoretischen Geschichten aufblasen. Kissinger ist da für Linke der Faschist und Unmensch und für Rechte die jüdisch-liberal-kommunistische Weltverschwörung in persona. Kissinger ist mehr eine Chiffre für diese Kritiker, denn der Realpolitiker, der er war.

Ralf Ostner, 51, Diplompolitologe, Open-Source-Analyst, arbeitet als Übersetzer für Englisch und Chinesisch. Mehr vom Autor finden Sie hier

Foto: David Hume Kennerly G.R. Ford P.L.A.M via Wikimedia

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C. H. Christmann / 22.09.2016

Nicht zu vergessen: Kissinger ist der einzige Träger des Friedensnobelpreises, der tatsächlich einen Frieden zustande gebracht hat.

Torsten P.Neumann / 22.09.2016

Die Frage ist wohl eher was justiziabel ist, und was politisch entschuldbar ist.  Ich würde sagen der Völkermord 1966 in Indonesien fällt sicher unter Verbrechen.  Damals hatte Kissinger dem Diktator Suharto grünes Licht gegeben die “Kommunisten” (=Chinesen) auszurotten, nebenbei wurden auch die Christen in Indonesien ausgerottet. Als einzige christliche Enklave blieb die Insel Flores.  Alle anderen umstrittenen Entscheidungen Kissingers haben immer eine (wenn auch oft fragwürdige), politische Begründung in der Realität des kalten Krieges.  Trotzdem muß man feststellen, daß Kissinger als ein moderner Richelieu agierte - unsinnige Kriege hat er nie geführt; gefühlsbetonte Politik war mit ihm nie zu machen.  Auf den Gedanken den Arabern die Demokratie zu bringen, kam er deshalb nie.  Und auch die Willkommenskultur von Angela Merkel hat er wohl eher amüsiert zur Kenntnis genommen.  Seine Politik hat den USA keinen dauerhaften Schaden zugefügt.  Darin unterscheidet er sich vom nachfolgenden politischen Personal in USA und EU.

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