Gerd Held / 31.01.2015 / 09:01 / 5 / Seite ausdrucken

Etwas geht zu Ende (Teil 1)

Den Pegida-Demonstrationen scheint vorerst die Spitze abgebrochen zu sein und in Berlin-Neukölln tritt der SPD-Realo Buschkowski zurück. Der Mainstream der Wohlgesinnten und Schönsprecher im Lande jubelt. Dort denkt man, dass man nun alles, was in den letzten Wochen an neuen Tönen in der Republik hörbar war, begraben kann. Und doch hat hier ein Lehrstück stattgefunden: Die Dresdener Demonstrationen haben gezeigt, dass es jenseits der etablierten Politik nicht nur eine stumme und stumpfe Masse von orientierungslosen „Nichtwählern“ gibt. Nein, es ist deutlich geworden, dass es hier ein Anliegen gibt. Es ist allerdings ein Anliegen, das ungewohnt ist. Es ist konservativ. Man fordert verlässliche Regeln und die Wahrung der Errungenschaften dieses Landes. Größere konservative Demonstrationen, die außerparlamentarisch aus der Bevölkerung heraus entstanden, hat man in der Bundesrepublik bisher selten gesehen. Im Grunde sind sie etwas Neues in ihrer Geschichte. Nun zeigt sich, dass konservative Anliegen eine bedeutende Zahl von Menschen mobilisieren können. Das zu wissen, ist gut. Die Menschen werden darauf zurückkommen.

Ein noch größeres Lehrstück wurde allerdings auf der Gegenseite aufgeführt. Man hätte ja erwarten können, dass die Öffentlichkeit und ihre prominenten Akteure den Neuankömmlingen mit einem Mindestmaß an Interesse begegnen. Das gehört eigentlich zur Meinungskultur einer offenen Gesellschaft. Doch stattdessen ist etwas geschehen, was für die Bundesrepublik mindestens so ungewohnt ist wie die Dresdener Demonstrationen selber: Die Reaktionen waren fast durchweg negativ, sogar schroff abweisend - warnend, zensierend, verdrehend, blockierend, verdunkelnd, verdächtigend, bevormundend. Man wollte einfach nicht zuhören. Man wollte sich nicht in seinen Ansichten irritieren lassen und versuchte, die Demonstranten mit diffamierenden Begriffen („Rassismus“, „Neonazis“) ins Abseits zu stellen oder mit psychologischen Diagnosen („Angstbürger“) zum Arzt zu schicken. Selten hat man so plumpe Versuche gesehen, öffentlich (und friedlich) geäußerte Meinungen abzufertigen. Und noch nie hat man einen solchen Schulterschluss gesehen, mit der diese plumpen Mittel eingesetzt werden. Es bildete sich eine Art heilige Allianz: die Regierungskoalition, die Parteien der parlamentarischen Opposition, die Gewerkschaften, die Unternehmensverbände, die Kirchen – niemand wollte bei diesem Ritual der Selbstbestätigung fehlen. Und die wichtigsten Medien sahen ganz unverkennbar ihre Aufgabe darin, die Negativreaktionen zu verstärken und zu ermutigen. Dass dies durch die öffentlich-rechtlichen Medien geschah, die schon durch ihre Besetzung den Mainstream abbilden, war nicht erstaunlich. Aber auch eine so maßgebende, unabhängige Instanz wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung machte mit. 

Hier wurden Zeichen gesetzt, die ihren Platz in der Geschichte der Bundesrepublik finden werden: Der Bundesjustizminister lässt sich in Berlin vor einem Transparent „Stoppt Neonazis“ fotografieren und dies Bild, das jeder Betrachter als Beleg für eine neue NS-Gefahr in Deutschland ansehen muss, geht um die Welt. Gleichzeitig lassen Stadtverwaltungen, öffentliche Einrichtungen und Kirchen während der missliebigen Demonstrationen die Beleuchtung von Gebäuden und Straßen abschalten. Während jede demokratische Öffentlichkeit auf die heilsame Wirkung von „mehr Licht!“ setzt, setzen sie auf das Dunkel, das schon immer das Mittel der Gegenaufklärung war. Und dann ist da die Neujahrsansprache der deutschen Bundeskanzlerin. Sie wird in die Geschichte der Bundesrepublik als die erste Ansprache eingehen, die die Bürger von der Teilnahme an einer Demonstration abzuhalten versuchte.

Es gibt gegenwärtig eine merkwürdige Gezwungenheit in Deutschland.

Bei diesem Augen-Zu-Und-Weiter-So liegt der Verdacht nahe, dass etwas mit der Realentwicklung des Landes schief läuft und die Akteure, die es bisher geführt haben, nicht die Kraft aufbringen, dem offen ins Auge zu sehen. Dabei sollte man nicht gleich an eine große Krise denken oder gar an einen dramatischen Zusammenbruch. Eher wäre zu prüfen, ob es nicht ein allmähliches Erlahmen der Kräfte gibt; eine wachsende Abhängigkeit von Förder- und Dopingmitteln; eine zunehmende Zähigkeit der Verhältnisse; einen wachsenden Mitteleinsatz, um immer kleinere Fortschritte zu erzielen.

Gewiss kann darauf verwiesen werden, dass die Bilanzen des Landes noch stimmen – wenn man nur auf das schaut, was dort unterm Strich steht (Beschäftigtenzahl, Außenhandel, „schwarze Null“ beim Bundeshaushalt). Doch verschlechtert sich das Bild, wenn man auf das schaut, was über dem Strich steht. Wenn man auf den wachsenden Aufwand schaut, der nötig ist, um die Resultate zu erreichen: Auf die Arbeit in den Betrieben und auf die wachsenden Anforderungen, um ein Unternehmen am Laufen zu halten; auf das zähe Vorankommen auf vielen kleinen und großen Baustellen; auf die Erschwernisse bei der Energieversorgung oder den Engpässen im Verkehr; auf die nachlassende Fähigkeit von Schulen und Hochschulen, berufsbereite Absolventen zu bilden; auf die Ausfälle im Pflegealltag der Altenheime und der ambulanten Versorgung; auf die Tatsache, dass Unternehmensgründungen vor allem auf geförderten Märkten stattfinden; auf die ernüchternde Erfahrung, dass zwei große „Zukunftsprojekte“ – Energiewende und Mindestlohn – sich nicht als Befreiungsschläge erweisen, sondern teure und zerstörerische Dauerbaustellen. 

Noch etwas ist unübersehbar. Die guten Zahlen ändern nichts daran, dass elementare Dinge des Lebens immer schwerer gelingen: die Stabilität der Familien und ihre Bereitschaft, Kinder zu bekommen und aufzuziehen, ist nicht sehr groß – trotz eines immer größeren Förder- und Beratungsaufwands. Offenbar können die sich immer höher auftürmenden Förderkulissen des Sozialstaats kein hinreichendes Motiv bilden, damit die Menschen mit Freude ihren Alltag angehen und Nachkommen in die Welt setzen.

Wenn die elementaren Dinge des Lebens als belastend empfunden werden, ist das ein Indiz, dass etwas zu Ende geht. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass die großen „Aufbrüche“ immer kürzere Halbwertszeiten des Verfalls haben. Und nun kommt die griechische Krise zurück und zeigt, dass diese Erschöpfungskrise im europäischen Maßstab stattfindet. Die Strategie „Rettungskredite gegen Reformzusagen“ hat sich festgefahren. Auf einmal sind wir Geisel der Kredite, die wir als Vorleistung erbracht haben. Und ist es nicht ganz ähnlich im eigenen Land, wo zum Beispiel in der Bildungspolitik alle möglichen Lockerungen eingeführt wurden, aber die versprochene Leistungssteigerung ausbleibt. Auch hier hat sich etwas festgefahren, was als großer Aufbruch begann. So geht gegenwärtig an vielen Fronten etwas zu Ende, das die Geschäftsgrundlage der letzten Jahre und Jahrzehnte war. 

Vor diesem Hintergrund ist die wachsende Forciertheit des „Zeichen-Setzens“, mit der die Politik gegenwärtig die Öffentlichkeit zu besetzen versucht, im Grunde ein Zeichen der Schwäche. Die Appelle an den „Mut“ und andere moralische Antriebsmittel klingen nach Pfeifen im Walde. Und die „Geschlossenheit“ der etablierten Kräfte, die auf den ersten Blick so einschüchternd wirkt, zeigt nur, wie weit sich diese Kräfte von den Realentwicklungen im Lande abgeschlossen haben. 

( Im zweiten Teil dieses Beitrags soll gezeigt werden, dass nicht die Ordnungselemente einer modernen Wirtschaft und eines freiheitlich-demokratischen Staates am Ende sind, sondern der Versuch, ohne diese Ordnung auszukommen)

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Leserpost

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Falk Mrazek / 01.02.2015

Eine Einschätzung, die die Entwicklung in Deutschland und Europa auf den Punkt bringt. Klasse. Auch mir drängt sich der Eindruck auf, dass gerade diejenigen Demokratie und Freiheit verraten, die vorgeben, sie zu verteidigen und das auch noch verlogen auf ihre Fahnen geschrieben haben. Es ist etwas ins Rutschen gekommen und das merken die Menschen. Sie haben dafür einen feineren Fühler als die sturen, vernagelten Stützen und Verteidiger einer zur Mutti- oder Demokratur mut(t)ierten demokratischen Gesellschaft freier, unabhängiger Individuen. Ich fürchte, in ein/zwei Jahren werden wir ein ganz anderes Deutschland, ein anderes Europa haben, als wir es bisher gewohnt sind. Und ich hoffe ehrlich, dass ich mich irre.

Frank Murnau / 01.02.2015

Vielen Dank, bin gespannt auf den 2. Teil! Gern würde ich in puncto “Wutbürger” anmerken: - Völliger Vertrauensverlust in Kernversprechen führender Politiker, wie: “Die Rente ist sicher”, “Der Euro wird so sicher wie die D-Mark”, “Die EU wird NIEMALS eine Transferunion”, “Mit MIR wird es keine Pkw-Maut geben”, usw., immer frei nach dem Motto “Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?” - Große Existenzsorgen: Keine Zinsen mehr auf Sparbücher usw. Wie kann man überhaupt noch gegen Altersarmut vorsorgen? Keinerlei Planungssicherheit mehr, im Gegenteil. Kein Ansprechpartner in der Politik dafür, keine Antworten. - Vielfach sieht/erlebt man hauptsächlich wilde, starke junge Männer sowie absolut integrationsunwillige, sich sehr schlecht + kriminell benehmende Ankömmlinge, die überhaupt nicht den Anschein von armen, traumatisierten Kriegsflüchtlingen erwecken, sondern einfach profitieren wollen. Man möchte das ansprechen, aber findet keinen Ansprechpartner dafür. Versucht man es trotzdem, wird man in die Neo-Nazi-Ecke gestellt. - Politisch korrekt sind die, die Plakate schwingen “JEDER ist bei uns willkommen!” Aber wo sollen all die Neuankömmlinge zukünftig noch untergebracht werden? Schon jetzt sind alle Kapazitäten fast erschöpft. Wo sollen all die vielen Jobs für all diese Menschen herkommen? Wie viele nicht deutsch sprechende Kinder können noch in unsere Klassenzimmer kommen, ohne dass regulärer Unterricht ganz unmöglich wird? Wie viele Neuankömmlinge will Deutschland denn überhaupt aufnehmen? Warum konnten die Dublin-Verträge einfach so gebrochen werden? Keine Antwort aus der Politik und den Medien, nur Schweigen und Ausweichen. - Vor ca. 10 Jahren schrieb Altbundeskanzler Helmut Schmidt noch unangefochten: „Die Zuwanderung von Menschen aus dem Osten Anatoliens oder aus Schwarzafrika löst das Problem nicht, schafft nur ein dickes zusätzliches Problem“. ... „Wer die Zahl der Moslems in Deutschland erhöhen will, nimmt eine zunehmende Gefährdung unseres inneren Friedens in Kauf“. Heinz Buschkowsky, Angela Merkel: “Multikulti ist gescheitert”. usw. Heute wird man für solche Aussagen als “Neo-Nazi” verunglimpft, bedroht und beworfen, während die Mainstream-Medien dies noch fördern und gutheißen. - Zunehmende Islamisierung bzw. Angst/Wegducken/ vorauseilende Unterwürfigkeit vor möglichen islamischen Erwartungen/Forderungen Diese Liste ließe sich noch fast ewig fortführen. Politiker und Medien geben keine Antworten auf solch höchst dringliche, wichtige Fragen, das ist das große Problem. Ich würde mich freuen, wenn einige dieser Punkte (und auch viele weitere) in Ihrem nächsten Beitrag angesprochen werden.  

Johannes Fritz / 31.01.2015

Zutreffende Beschreibungen, beileibe jedoch nicht neu. Dass der europäische Innovations- und Leistungselan erlahmt, konnte man schon vor 5 Jahren oder mehr in ausländischen Publikationen lesen. Dass die Reaktionen auf Leute, die halt keine rechte Islamlust verspüren, (was auch seit locker 5-10 Jahren vorhergesagt wird) negativ ausfallen, überrascht auch kaum, wenn man die Entwicklung der deitschen Diskussionsunkultur verfolgt hat. Interessant ist jedoch die gute Beobachtung Herrn Helds, dass es immer mehr Aufwand braucht, um immer kleinere, immer kürzer anhaltende, immer erbärmlichere “Erfolge” feiern zu können. Das ist bezeichnend. It’s going down, baby.  Bin gespannt auf den zweiten Teil!

Bernd Naumann / 31.01.2015

Lieber Herr Held, danke für diese inhaltlich sehr interessanten Zeilen. Leider stelle ich auch auf der Achse fest, dass das “Neusprech” auch hier hin und wieder zum Vorschein kommt. Es ist unsinnig von “Zeichen setzen” zu schreiben oder zu sprechen, wenn es darum geht, anderen etwas mitzuteilen. Der Schriftsetzer hat seine Zeichen in seinen Kasten gesetzt, in der entsprechenden Reihenfolge. Das hat, außer ihm, mit Verlaub, keine S… interessiert. Wenn man andere auf etwas aufmerksam machen wollte, hat man ein Zeichen gegeben, mit Hand, Flaggen, Rauch oder sonstigen Signalen. Haben Sie mal bei Winnetou gehört, man solle den anderen das “Zeichen zum Angriff setzen”? Oder sollte der Zusammenhang zum Schriftsetzer gemeint sein, in dem Sinne, dass man ein Zeichen für eine besonders bedeutende Verlautbarung gesetzt hat? Das glaube ich nicht, ich glaube nicht einmal, dass sich die meisten der diese Phrase Verwendenden über die Herkunft und Bedeutung Gedanken gemacht haben. Auch wenn es heute schick sein mag, vielleicht eine besondere Bildung des Schreibenden oder dessen Zugehörigkeit zur “Intelligenzija” bezeugen soll, es ist bestenfalls einfach nur nachlässig. Bitte bewahrt unsere schöne, ausdrucksstarke Sprache. Beste Grüße Ihr Bernd Naumann

Axel Kracke / 31.01.2015

Herr Held, Sie sind mein Held. Das ist die Art von Kommentaren, die der Achse würdig sind!

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