Vera Lengsfeld / 28.10.2009 / 12:36 / 0 / Seite ausdrucken

Doppeltagebuch 1989/2009-  28. Oktober

Noch ein Zugeständnis der Politbüro- Greise: Alle DDR-Bürger sollen Pässe bekommen und pro Jahr dreißig Tage in den Westen reisen dürfen. Dass nur privilegierte Personen im Arbeiter-, und Bauernstaat über Pässe verfügten, war der Öffentlichkeit im Westen gar nicht klar. Das Ausmaß der Lügen und des Betrugs wird erst jetzt langsam sichtbar. Walter Kempowski notiert in sein Tagebuch:“ Ewige Schande über die Politiker hier im Westen, die überall Unrecht sahen, doch mit den Oberen von drüben sich verbündeten“
Kempowski registriert genauer als andere, in welchem Maße die Macht der SED bröckelte: „Die SED steht mit ihrer Lügerei absolut im Regen, es geht nicht weiter…Und so wird’s kommen: Andere politische Gruppierungen ( Parteien) werden zugelassen, freie Wahlen, Wiedervereinigung. Das alles wäre in zwei, drei Jahren denkbar.“
An einer Stelle kommt der Wille zur Wiedervereinigung zum bereits Ausdruck, bevor er auf der Straße artikuliert wird: bei den Behörden liegen 747000 noch nicht bearbeitete Ausreiseanträge.
Die Kulturschaffenden, wie sie in der DDR genannt werden, gehen immer mehr in die Offensive. Im überfüllten Deutschen Theater in Berlin liest der SED-Kritiker Walter Janka, erster Chef des Aufbau-Verlages der DDR, aus seinem nur in Westdeutschland erschienenem Buch „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“. Janka war 1956 verhaftet und ins alte Stasi-Untersuchungsgefängnis in Hohenschönhausen , von den Häftlingen wegen seiner fensterlosen Kellerzellen U-Boot genannt, gebracht worden. Hier hing noch ein überlebensgroßes Porträt von Stalin neben dem Eingang. Janka musste sich vor dem Bild entkleiden und stundenlang nackt davor stehen. Irgendwann trat Stasichef Mielke von hinten an ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr, dass er die Verhöre Jankas selbst vornehmen würde. Zwar war Mielke damals schon Regierungsmitglied , dachte aber an die Zeit, da er im Keller als Vernehmer arbeitete, so gern zurück, dass er es sich vorbehielt, prominente Häftlinge selbst zu vernehmen. Für die meisten Zuhörer Jankas hörte sich sein Bericht an, als käme er aus einer anderen Welt. Das U-Boot, das 1961 geschlossen wurde, war bereits in Vergessenheit geraten. Erst nach der Vereinigung war es möglich, die Wahrheit über diesen Keller, der heute in der Gedenkstätte Hohenschönhausen besichtigt werden kann, ans Licht zu bringen.
Während Janka liest, beteiligen sich 50 bekannte Wissenschaftler und Künstler, u.a. Stefan Heym und Günter de Bruyn, in der Erlöserkirche in Berlin unter dem Motto: „Nachdenken über die schmerzliche Entwürdigung“ an einer Diskussion gegen staatliche Gewalt. Die Schriftstellerin Christa Wolf fordert einen Untersuchungsausschuss.

Während die SED es im herbst 1989 nicht mehr vermochte, mit ihren Lügen die Öffentlichkeit in die Irre zu führen, versucht sich die Linke zwanzig Jahre danach in alter SED-Manier wieder in Geschichtsfälschung. Ihre Galionsfigur Gysi hat auch schon in der Vergangenheit versucht, die PDS zur „Partei des Herbstes“ umzufälschen, also zur eigentlich treibenden Kraft der von Egon Krenz als „Wende“ bezeichneten friedlichen Revolution. Bislang ohne Erfolg. Nun will die Partei den bevorstehenden Jahrestag der von der SED genehmigten Großdemonstration am 4. November 1989 in Berlin offensichtlich nutzen, um die Geschichtslüge endgültig zu etablieren. Tatsache ist, dass die von der SED auf das Podium geschobenen „Reformer“ Gysi und Markus Wolf ausgepfiffen wurden. Davon wird demnächst noch ausführlich die Rede sein.
Gleichzeitig erscheint ein wahres Feuerwerk an bezahlten Annoncen, die Bücher anpreisen, die geschrieben wurden, um die Geschichte im Sinne der SED-Linken umzuinterpretieren. Zum Beispiel in der rtv- Beilage des heutigen Tagesspiegels.
Da wird für Titel geworben wie: „Freischützen des Rechtsstaates- Wie in Stasi-Gedenkstätten und Stiftungen Wahrheit gebeugt und verzerrt wird“, „ Raubzug Ost -Wie die Treuhand die DDR plünderte“, „Unrechtsstaat DDR ? Rechtsstaat BRD?“, „Heiße Schlachten im Kalten Krieg- es wurde gegen die DDR vierzig Jahre Krieg geführt“ und „Einmarsch der Verbrecher“. Diese oft im Eigenverlag herausgegebenen Propaganda-Schinken werden angepriesen unter:  „Die besten Bücher für Sie“. Woher die Autoren und ihre Verlage das Geld für teure Annoncen haben, wäre eine Frage, die im Sinne von Glasnost, also Transparenz, mal geklärt werden müsste. Und sei es nur um auszuschließen, dass das unter Gysis politischer Verantwortung als letzter SED-Chef verschwundene DDR-Vermögen von geschätzten 12Mrd. € nicht dafür verwendet wurde.

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