Dirk Maxeiner / 20.05.2018 / 06:23 / Foto: Pixabay / 9 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Trocken und bombensicher

Ich gehöre zu dem Typus, der sich schlecht von funktionstüchtigen Dingen trennen kann. Deshalb habe ich praktisch alle Autos gefahren, bis der Rost uns schied. Hinzu kommt eine gewisse Treue gegenüber langjährigen Begleitern, die stets loyal ihren Dienst an meiner Seite verrichteten. Einen Fiat Panda und einen Volvo-Kombi habe ich sogar persönlich zum Autofriedhof begleitet und mit einer Gedenkminute korrekt Abschied genommen. Eine Reihe weiterer Exemplare erhalten in verstreuten Garagen ihr Gnadenbrot oder wurden Freunden übergeben – selbstverständlich gegen die testamentarische Zusicherung, sie immerfort zu hegen und zu pflegen und nicht in schlechte Hände abzugeben. Es möge ihnen das ewige Autoleben beschieden sein.

Aus paläontologischer Sicht wäre es womöglich das Beste, eines meiner Mobile würde von einer großen Flut überschwemmt, im Schlamm eingebettet und luftdicht konserviert. Für irgendwas muss die Klimakatastrophe ja gut sein. Die Reste des guten Stückes werden dann durch chemische Einflüsse des Bodens imprägniert, oder es entsteht in den nach der Auflösung verbleibenden Spalträumen ein natürlicher Abguss. Das werdende Fossil sinkt alle 40 Jahre einen Millimeter tiefer. Nach 20 Millionen Jahren liegen über ihm 500 Meter Gestein und haben beispielsweise meinen Volvo 760 flach wie eine Flunder gepresst.

Irgendwann ändert der erdgeschichtliche Fahrstuhl die Richtung, und auf das unendlich lange Einsinken folgt ein Hervorquellen im gleichen Zeitlupentempo. Nach 120 Millionen Jahren könnte dann ein kleines grünes Männchen in einem Steinbruch zufällig zwei Platten voneinander lösen, und es käme die versteinerte Kontur meines Schwedenpanzers zum Vorschein. 

Ein Sonntagsausflug auf den Speicher

Da dürften sich die kleinen grünen Männchen heftig am Kopf kratzen und sich fragen, wofür das Ding wohl gut war. Digitale Informationen über unsere Existenz sind dann längst in irgendeiner Cloud verdampft. Ich überlege deshalb, im Kofferraum einige Steinplatten mit exemplarischen Beiträgen der Achse des Guten zu deponieren, damit künftige Generationen erfahren, dass es hierzulande einmal intelligentes Leben gab. Dieser verwegene Gedanke ergriff mich, als ich unlängst einen Sonntagsauflug auf den Speicher machte.

Ich bin nämlich auch nicht in der Lage, mich von altem Schreibgerät zu trennen. Und so stehen sie da, sorgsam in Folie eingeschweißt. Meine erste mechanische Schreibmaschine samt Nachfolgern. Als Höhepunkt dieser Ära eine IBM-Kugelkopfschreibmaschine mit Bildschirm, die Texte mit Hilfe eines Kassettenrekorders aufzeichnete. Dann die ersten „Pizzaschachtel“-Modelle von Macintosh, der Power-Mac, zwei bunte I-Macs. Sie Szenerie erinnerte mich ein wenig an das Mausoleum auf dem roten Platz. Meine schweigenden Weggefährten sind prinzipiell genauso tot wie der ausgestopfte Lenin, weil Magnetband-Kassetten, Floppy-Disketten und CD-Roms längst schadhaft sind und nicht mehr zum Sprechen gebracht werden können. Da lob ich mir doch meinen äußerst analogen alten Volvo, der fährt immer noch.

Zum Glück stehen neben den Computern Kisten mit Büchern und Zeitschriften. Wenn ich diese gedruckten Belegexemplare nicht hätte, wäre schon viel von dem, mit dem ich im Laufe der Zeit eine ganze Reihe meiner Mitmenschen erfolgreich geärgert habe, verloren. Und das gönne ich denen nicht. Die Sorge des Gedächtnisverlustes treibt ja mittlerweile auch die digitale Avantgarde um. Vint Cerf, „Chief Internet Evangelist“ bei Google und einer der „Väter“ des Internets, warnt schon seit einiger Zeit vor einem digitalen „Dark Age“. Künftige Generationen könnten unter einer Art digitaler Amnesie leiden, weil alte Formate nicht mehr lesbar seien. 

Das beste Beispiel sind alte Filmrollen: Historische Filmbänder stehen inzwischen mit mehreren Ausrufezeichen auf der Liste der bedrohten Arten. Nahezu 90 Prozent aller Stummfilme, die vor 1930 produziert wurden, gelten schon als irreparabel beschädigt, selbst viele Nachkriegs-Produktionen sind bereits extrem gefährdet. Die Symptome des Verfalls heißen chemische Autokatalyse oder Essigsäure-Syndrom. Pilze und Bakterien rücken dem Material zu Leibe, mechanischer Verschleiß und physische Zerstörung durch Feuer oder falsche Behandlung nagen zusätzlich am filmischen Erbe. In den Archiven der Welt lagern nach Schätzung der UNESCO Filmrollen von zwei Millionen Kilometern Länge. Sang- und klanglos versinkt ein ganzer Kontinent des Wissens und Könnens. Für das vom Aufkommen der Massenmedien gekennzeichnete 20. Jahrhundert ist das in der Tat so, als sei das kollektive Gedächtnis von Alzheimer befallen.

Die Idee einer „10.000 Jahre Bibliothek“

In den USA widmet sich die gemeinnützige Organisation „Long Now Foundation“ auf besonders spektakuläre Weise der Frage, wie wir unsere Zivilisationsarchive erhalten. So wird zum Beispiel mit der Rosetta-Disk versucht, möglichst viele Sprachen der Welt möglichst sicher zu konservieren (in Anlehnung an den Stein von Rosetta, der Anfang des 19. Jahrhunderts einen wichtigen Beitrag zur Entschlüsselung der ägyptischen Hieroglyphen geleistet hat). Von einem ähnlichen Kaliber ist die Idee einer „10.000 Jahre Bibliothek“, die das Wissen der Gegenwart für diesen Zeitraum sicher konservieren soll. 

Allein der Gedanke daran lässt unser Kartenhaus vermeintlicher Gewissheiten zusammenstürzen: Wird es überhaupt noch Menschen geben, wie und in welcher Sprache sollte man sich ihnen mitteilen? Auf Papier oder auf Tonband, als CD oder Videofilm, als synthetische DNA oder in Quarzstein? Und wem sollte man diese Flaschenpost in die Zukunft übergeben? Wo steht der Briefkasten für die Beförderung an künftige Generationen? Was werden das überhaupt für Menschen sein? So eine Art Hybrid aus Arnold Schwarzenegger, Heidi Klum, Smartphone und Segway? Die wichtigste Frage aber lautet: Welche Informationen sind eigentlich erhaltenswert?

Den Facebooks und Googles darf diese Entscheidung nicht überlassen werden, sie sind viel zu anfällig für Zensur und können außerdem schnell pleite gehen (kein Weltreich überdauerte bisher 10.000 Jahre, Facebook und Google werden es garantiert nicht so lange machen). Wo im Mittelalter die Kirchen und Fürsten den Zugang zu Speichermedien kontrollierten, sind heute algorithmische Autoritäten von Tech-Konzernen und schlecht bezahlte Zensur-Tagelöhner am Werk.

Die sogenannte „Gegen-Öffentlichkeit“ wird für ein künftiges Geschichtsbild sehr wichtig sein, was aber voraussetzt, dass ihr Wirken irgendwo sicher dokumentiert ist. Die Achse des Guten beispielsweise zeichnet seit 14 Jahren eine deutsche Chronik auf, die für die Einordnung des heutigen Zeitgeistes noch sehr wichtig werden könnte. Wir werden unsere Leser deshalb in nächster Zeit mit ein paar analogen Ideen überraschen, die unser segensreiches Wirken gleichsam in Stein meißeln. Mehr darf ich noch nicht verraten. Außer vielleicht: Wir suchen einen trockenen und bombensicheren Raum, zu dem Angela Merkel keinen Schlüssel hat. 

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Karla Kuhn / 20.05.2018

“Außer vielleicht: Wir suchen einen trockenen und bombensicheren Raum, zu dem Angela Merkel keinen Schlüssel hat. ” HOFFENTLICH finden Sie diesen Raum, diese Insel der Seligen, bald, ich möchte so schnell wie möglich dort wohnen.  Mein Mann kann sich auch nicht von einem ! Buch trennen, er hat mit Sicherheit über 1000 Stück. Es gibt schlimmeres, ich bin die Minimiererin und er der Maximierer. “Da lob ich mir doch meinen äußerst analogen alten Volvo, der fährt immer noch.”  Und zwar unkontrolliert !! Ich wünsche Ihnen noch lange gute Fahrten damit.  KLasse.

Ulv J. Hjort / 20.05.2018

Es ist mir ein leichtes ihre gedankengænge nach zu vollziehen.In meiner “Høhle” hab ich ein sofa,einen bequemen lehnstuhl ,ein laptop und ca 1500 buecher.Alle gelesen ,viele zwei.drei,vier mal.Davon ca 1% romane,alles andere sachbuecher der verschiedensten themenbereiche.Ich kann mir ein leben ohne gedrucktes buch einfach nicht vorstellen.Und jeden monat kommen drei,vier neue buecher dazu .In den letzten jahrzehnten musste ich zweimal umziehen.Gelegenheit den buchbestand zu durchforsten .Jedesmal hab ich ca 200 kg bedrucktes ,gebundenes papier aussortiert,ueberholte themen ,verændertes interesse usw.-Die idee einen sicheren raum zu suchen an dessen tuer steht “AM hat keinen zutritt”,finde ich originell und wichtig .Viel glueck !

Dr. Gerd Brosowski / 20.05.2018

Die wichtigste Bausteine unseres kollektiven Gedächtnisses sind unsere Kenntnisse und Fertigkeiten. Es ist ein gutes Jahrzehnt her, dass ich in einer Klasse 10 nach Behandlung der Logarithmengesetze meinen Schülern erläuterte, dass die Logarithmentafeln und die darauf aufbauenden Rechenschieber die Hilfsmittel gewesen wären, welche die erste industrielle Revolution ermöglicht hätten. Und ich stellte folgende Aufgabe. Angenommen, alle elektronischen Geräte, ja alle noch vorhandenen Logarithmentafeln und Rechenschieber, alle Rechenmaschinen seien verloren gegangen . Wären wir in der Lage, die Logarithmentafeln zu rekonstruieren? Wir verfügten über Kenntnisse der Logarithmen- und Potenzgesetze und im übrigen über die Grundrechenarten und eine Methode der Intervallschachtelung ( die man notfalls gerade hätte erfinden können). Einziges technisches Hilfsmittel: Papier und Bleistift. Ich stellte uns die Aufgabe, mit diesen Mitteln den Zehnerlogarithmus der Zahl 2 – oder einer anderen Primzahl – auf vier Stellen hinter dem Komma zu berechnen. Nach einer Unterrichtsstunde hatten wir es mit vereinten Kräften geschafft. Ich hatte den Eindruck, dass meine Schüler wie befreit wirkten: Ein Fundament der industriellen Revolution wäre mit ihren Kenntnissen rekonstruierbar gewesen. Letztere wären dazu aber auch bitter nötig: Ohne diese grundlegenden mathematischen Kenntnisse wären wir auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, die elektronischen Geräte für alle Zeiten und zwar eins zu eins, ganz sklavisch nachzubauen. Grundlagenwissenschaften sind die Basis der Freiheit: Nie hatten wir das eindringlicher erfahren.

Helmut Driesel / 20.05.2018

Na ja, die Natur behilft sich mit fortlaufendem Kopieren. Aber auch dabei gehen Unikate regelmäßig verloren. Und siehe da, deren Relevanz für die Gegenwart ist bescheiden. Über die Relevanz von Informationen entscheidet der Intellekt, der sie verarbeiten will. Das für die Zukunft vorwegzunehmen, ist anmaßend. Auch die Evangelisten haben so anmaßend gedacht, und das in dem trügerischen Bewusstsein, das Ende aller Zeiten stünde bevor. Was ist davon geblieben? Eine wahnhafte Randerscheinung der heutigen intellektuellen Welt.

Anders Dairie / 20.05.2018

Für die Verwandschafts-Forschung haben die Mormonen im US-Bundesstaat Utah Tiefbunker mit Personendaten angelegt.  Mormonen wollen damit die Familienzusammenführung im Himmel möglich machen.  Meine Generationen-Linie reicht in der Stadt zurück bis ins Jahr 1502.  Die Nachsuche klappt aber m.W.  nur,  wenn die Familien Steuerzahler waren oder Getaufte in Kirchenbüchern.  Für Ihre Aufgabe, Herr Maxeiner, brauchen Sie einen gesicherten Salzstollen mit gleich bleibender Luftfeuchte, ein Archiv wie das der Mormonen und einen Schlüssel im Grundstein einer Kirche.  Ob die Lagerzeit 10 Tausend Jahre umfasst, sagt ihnen eventuell der liebe Gott.  Wobei diese Zeitspanne in der Archäologie auch nur als Momentchen gilt.

Bechlenberg Archi W. / 20.05.2018

Um rein oder raus zu kommen?

Hjalmar Kreutzer / 20.05.2018

Vielen Dank. Dieser Sonntagsfahrer macht nachdenklich. Keilschrifzrn und Papyri übrrdauern Jahrtausende, Filme und Tonbänder zerbröseln, die Floppy-Disc und irgendwann der Memory-Stick sind nicht mehr lesbar. Den Komfort des www will niemand missen, schon mal der Achse wegen nicht. Ein simpler Stromausfall macht ggf. aber alles zunichte. Wie will man das aufbewahren? Von den Babyloniern und Ägyptern können wir allenfalls noch lesen, wie sich die gesprochene Sprache angehört hat, ist nicht mehr nachvollziehbar. Vom Altgriechischen können wir mutmaßen, dass es wie heutiges Griechisch oder Latein, wie Italienisch geklungen hat. Mit Musik und bewegten Bildern wird es dann ganz schwierig. Darstellendes Spiel? Mündliche Weitererzählung? In Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ wehren sich die Menschen gegen mediale Übermacht und Bücherverbot, indem jeder ein Buch auswendig lernt. Würde man in der Realität nicht doch beim Spiel „Stille Post“ landen ?

beat schaller / 20.05.2018

“Wir suchen einen trockenen und bombensicheren Raum, zu dem Angela Merkel keinen Schlüssel hat. ” Hoffentlich um sie darin zu schützen, damit sie nicht weitere Schäden nach aussen verursachen kann! Ansonsten sind die Gedanken nachvollziehbar und ich muss sagen, dass ich mir über die so weit entfernte Zukunft nicht viel sorgen mache, weil die aktuelle Situation uns doch schon längst überfordert. Danke für die Sichtweise. b.schaller

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