Dirk Maxeiner / 31.07.2016 / 06:10 / 1 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Auf der Rückbank über Adorno plaudern

Wenn man durch Berlin cruist und schicke Hipster in 70er-Jahren Vehikeln an der Ampel neben einem stehen, so hat das eine Vorgeschichte. Die Hipster ahnen davon nichts, sie sind überhaupt unfähig zu ahnen, aber das macht nix, weil ich ja ein Gedächtnis wie ein Elefant habe (und mindestens so nachtragend bin). Auf jedenfall möchte ich hier mal eine Lanze für die mittlerweile vergessenen Urheber dieser automobilen Bewegung brechen, die mit dem damaligen Zeitgeist so viel am Hut hatten wie russische Seeleute mit Mineralwasser. Es war vermutlich die letzte Generation, die von politischer Korrektheit nix mitgekriegt hat, einige von Ihnen arbeiten mittlerweile für Magazine und Fernsehsender und benehmen sich immer noch daneben, so gut sie es noch können.

Es war Mitte der neunziger Jahre. Ein Disco-Parkplatz irgendwo auf dem platten Land in der norddeutschen Tiefebene. Ab drei Uhr Morgens war der Eintritt frei. Und so lange saßen sie in ihren Autos und haben gewartet. Ford Granadas, Mercedes Strich acht, Opel Admiral. Die Kisten durften nicht mehr als ein paar Hunderter kosten und sollten schön gemütlich sein.  Den Ausdruck „Youngtimer“ gab es noch nicht so recht und als Oldtimer waren diese Autos auch noch nicht akzeptiert. Im Auge des Normalbürgers handelte es sich schlicht um völlig ausgelutschte Gebrauchtwagen.

Die Insassen hatten den Kofferraum voller Bier und die Musik wurde laut aufgedreht. Irgendwann merkten sie, dass bei Ihnen draußen die bessere Party lief als drinnen in der Disco. Und die coolsten Bräute merkten das auch, denn nirgendwo lässt es sich gepflegter über Adorno plaudern als auf der Rückbank eines Mercedes Strich acht. Damit war die „Parkplatzraver“ geboren. Und weil man gerne Behörden und Beamte erfreute, wurde sogleich ein Verein gegründet: „Parkplatzraver e.V.“ Als Vereinszweck wurde „Förderung der Parkplatzkultur“ eingetragen. Das zuständige Amt ließ sich ein Jahr Zeit mit der Anerkennung - was vollkommen unverständlich war, da es doch um Kommunikation und Bildung ging.

Niemand verlässt das Auto, es sei denn er muss pinkeln

Die in dieser Hinsicht einwandfrei kompetente Zeitschrift „blond“ umschrieb die damals entwickelten Szene-Regeln so: “Erstens: Immer in der ersten Reihe parken, mit Sicht zum Eingang. Zweitens: Niemand verlässt das Auto, es sei denn er muss pinkeln. Dittens: Alle Karren müssen exakt nebeneinander stehen, damit man bei runter gekurbelten Fenstern mit allen Insassen kommunizieren kann, selbst wenn sie acht Amischlitten-Längen voneinander entfernt stehen. Last but not least: „Wer mit dem Taxi nachhause fährt, fliegt raus. Auch wenn es zwei Tage dauert bis man wieder nüchtern ist: Das Auto wird auf keinen Fall alleine gelassen.“  Der eher konservative Oldtimerszene mit ihren liebevoll restaurierten Schmuckstücken kriegte in jenen Jahren plötzlich jugendlich-anarchische Gesellschaft. Es schlug die Geburtsstunde der Youngtimer-Szene, mit all ihren Facetten und wilden Trieben.

Es geht nicht nur um Autos, sondern auch um Musik und Party,  es geht um Stil, Protest und Freiheit. Die Parkplatzraver beispielsweise (heute nennen sie sich Motoraver) und die Punks sind vielleicht nicht im Aussehen, so doch im Geiste Brüder: Beide einte eine rebellische Haltung und nonkonformistisches Verhalten. Nicht zu Vergessen ein provozierendes Aussehen. Dem einen seine Irokesenbürste ist dem anderen sein Granada. Der typische Werdegang eines Motoraver las sich im gleichnamigen Szenemagazin  so: „Mit acht Jahren aus alten Chinaböllern eine Drei-Kilo-Bombe gebaut, mit elf das Kinderfahrrad auf Bonanza gestylt, mit 15 das Mofa frisiert, mit 17 vom Popper zum Punk mutiert, mit 19 das Auto mattschwarz gerollt.“ Fahrzeuge dieser Art wurden liebevoll „Rat Cars“ genannt: Groß, böse und matt lackiert. Am besten Schwarz, Grau, Rostrot oder Olivgrün. Eine zuverlässigere Methode, sein Sozialprestige zu ruinieren, war damals nicht im Angebot. Heute kostet so eine Lackierung bei Mercedes und Porsche Aufpreis. Die Gentriefizierung des Schrottmobils ist die logische Fortsetzung der Gentrifizierung schlecht beleumdeter Wohnviertel.

Aber jetzt noch zu ein paar anderen Helden aus jener Zeit: Auch im Osten Deutschlands wollte man endlich von seiner Freiheit Gebrauch machen. Die Hymne der Neuen Deutschen Welle aus den achtziger Jahren erlebte ein Jahrzehnt später ein Revival im Osten: „Ich geb Gas, ich will Spass.“ Das Überschreiten von Geschwindigkeits-Begrenzungen wurde zu einem Akt der persönlichen Befreiung von 40 Jahren eingeschränkter Bewegungsfreiheit. Es endete leider häufig an einem wunderschönen Alleenbaum, woraufhin mit dem Abholzen der landschaftsprägenden Baumreihen begonnen wurde. Binnen kürzester Zeit stieg eine geschlossene Gesellschaft von den Zuteilungs-KFZ Wartburg oder Trabant auf die Markenautos des Westens um. Deren Produktion wurde abgewickelt und mit großen Hoffnungen durch neue Werke von Volkswagen oder Opel ersetzt.

Der Schwalbe-Motorroller macht selbst auf der Maximilianstrasse bella figura

Opel schaltete große Anzeigen die einen verbeulten Wartburg zeigten. Unter der Titel-Zeile „An dieser Panne sind viele schuld. Aber sicher nicht unsere neuen Mitbürger“ ging man die Überheblichkeit vieler Wessis an: “Unsere neuen Mitarbeiter in Eisennach, die derzeit schon zehntausend Vectra bauen arbeiten beispielsweise so verantwortungsbewusst und sorgfältig wie unsere Facharbeiter im Westen. Die Qualität stimmt“. Doch trotz aller Bemühungen begann die östliche Landschaft nur sehr sporadisch zu blühen. Die wirtschaftliche Ernüchterung trat bald ein und mit ihr eine Welle der DDR-Nostalgie. Trabi & Co Wartburg wurden wieder ins Herz geschlossen. Der Schwalbe-Motorroller wurde ebenfalls von den Hipstern als Kult-Mobil vereinnahmt und macht knatternd selbst auf der Münchner Maximilianstrasse eine gute Figur.

Die Thüringer Allgemeine sorgte Mitte der neunziger Jahre für den Gag des Jahres: Der Trabant bestand den Elchtest! Es war ohne Zweifel der Test des Jahres. Das Wort, bis dahin in Deutschland völlig unbekannt, ist inzwischen fest in unseren Sprachgebrauch eingegangen. Bei einem speziellen Ausweichmanöver hatten schwedische Autotester die gerade erschienene Mercedes A-Klasse zum Überschlag gebracht. Die Kippneigung erwies sich als konstruktionsbedingt und bescherte Mercedes den größten PR-Gau seiner Geschichte. Der Elchtest gilt inzwischen als Synonym für eine Prüfung, bei der hochintelligente Technik (oder kluge Menschen) saudumm versagen. Im Hause Mercedes  kursierten seit dem misslungenen Elchtest so genannte A-Klasse-Witze. Zum Beispiel: „Während eines erneuten Tests im schwedischen Malmö kippte ein Elch um“.

Der alte Römer Plinius berichtete übrigens erstmals vom Elchtest, er lag nur mit den Umständen ein wenig falsch. Der Elch, so Plinius, habe an den Beinen keine Gelenke, „weshalb er sich im Schlaf nicht niederlegt, sondern an einen Baum lehnt, den man ansägt, wenn man ihn listig fangen will".

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Hans Meier / 31.07.2016

Lang ist`s her. Mit dem Heckflossen Benz mit voller Besatzung und bester Musik in Westkapelle, bis an die Brandung zu fahren, um den Sonnenaufgang und den frischen Wind der Nordsee einzuatmen.

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