Archi W. Bechlenberg / 28.05.2017 / 06:20 / 5 / Seite ausdrucken

Das Antidepressivum zum Sonntag: Ein Besessener

Während die Frage nach dem dümmsten Buch der Welt – zumindest in deutscher Sprache – seit Erscheinen von Heiko Maas' „Aufstehen statt wegducken: Eine Strategie gegen Rechts“ zumindest vorläufig abschließend beantwortet ist (sicherlich wird Margot Käßmann nach dem Berliner Kirchentag bald versuchen, nachzuschenken), sind sich Kulturfreunde bei Filmen nicht völlig einig. An dummen Filmen herrscht wahrlich kein Mangel, da sich nur selten Politiker und Theologen daran versucht haben, dafür um so mehr ganz normale Irre.

Zu ihnen gehörte ohne Zweifel ein gewisser Ed Wood, ein in den 1950er Jahren junger Mann, der von dem unstillbaren Verlangen besessen war, der Welt Filme zu schenken, wie es sie bis dahin nicht gegeben hatte. Ein Vorhaben, das ihm ohne Frage gelungen ist, wenn auch nicht so, wie Wood (1924 – 1978) es sich vorstellte. Dieser Cineast wird von nicht wenigen Filmliebhabern als schlechtester Regisseur, Drehbuchschreiber, Schauspieler und Produzent aller Zeiten angesehen; eine Einschätzung, die auf nachprüfbaren Fakten beruht, da etliche von Woods Filmen bis heute verfügbar sind und eindringlich beweisen, dass er tatsächlich unter den Schlechten der Souveränste war.

Es mag noch Grauenhafteres über Leinwände geflimmert sein, und wahre Filmliebhaber können sicherlich das eine und andere Machwerk nennen, aber diese Filme sind  eher ganz und gar geheime Geheimtipps, und somit das, was Sammler bizarren Kulturgutes – wozu neben Filmen auch Platten gehören - als „Obscura“ bezeichnen. Sie sind, im Gegensatz zu Woods Sodbrennern, nie wirklich im Licht der Öffentlichkeit geflimmert oder erklungen und somit zu Recht vergessen.

Auch das filmische Vermächtnis des Edward Davies Wood jr. wurde eine Zeit lang vergessen; seine cineastischen Ambitionen hatte er in den 1960er Jahren aufgegeben, da ihm – aus seiner Sicht unverständlicher Weise - die künstlerische Anerkennung versagt blieb und er sich enttäuscht von der Ignoranz des Publikums und der Kritik dem Genre des Pornofilms zuwandte. Diese Filme – ebenfalls bizarr und einmalig - garantierten noch für eine gewisse Zeit ein finanzielles Auskommen, doch zuletzt verloren Wood und seine Frau ihre Wohnung, und er schied nur wenige Tage nach dem Auszug an einem Herzinfarkt dahin.

Es fehlte Geld für einen Riesenkraken? Kein Problem für Wood

Durch das liebevolle Kinoportrait des Filmemachers Tim Burton wurde Ed Wood in den 1990er Jahren wiederentdeckt. Burton, sonst ein Erfinder recht merkwürdiger Filmgestalten wie Edward mit den Scherenhänden, ließ mit Ed Wood im gleichnamigen Film einen Helden auferstehen, den es tatsächlich gegeben hatte. So wie auch Nebenfiguren und -darsteller in Woods Filmen, darunter der damals morphium- statt blutsüchtige Draculadarsteller Bela Lugosi, der ehemalige Wrestler Tor Johnson (Spezialität: tollpatschiges Umhertapern) und eine gewisse Maila Nurmi, die sich als „Vampira“ einen gewissen Kultstatus in Film, Funk und Fernsehen ergruselt hatte und es immerhin bis ins Bett von James Dean schaffte, auch wenn dieser Beziehung dank Deans leidenschaft für schnelle Autos keine lange Dauer beschieden war; aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Es waren im Kern zwei Handicaps, die Ed Woods Ambitionen, ein zweiter Orson Welles zu werden, verhinderten: er hatte keinerlei Talent und kein Geld. Die Filmgeschichte kennt zahlreiche Beispiele, in denen schon eine dieser Widrigkeiten genügte, um große Kunst zu verhindern (manchmal auch entstehen zu lassen); beides zusammen jedoch war ohne Frage zu viel für den einst hoffnungsvoll von der Ostküste der USA, genauer aus Poughkeepsie, nach Hollywood gezogenen hölzernen Hirni. Das allerdings hielt Wood nicht davon ab, eine Reihe von Filmen in die Welt zu setzen, die ihm posthum im Buch „The Golden Turkey Awards“ den Titel „Schlechtester Regisseur aller Zeiten“ einbrachten. Bezogen auf Woods Gesamtwerk dürfte der Titel nicht unverdient sein, denn er hat nicht einen einzigen Film hinterlassen, der auch nur im Ansatz so etwas wie Sinn für das Handwerk des Cinematographen aufzeigen könnte.

Das bedeutet eines allerdings nicht: dass Ed Wood langweilige Filme gedreht hat. Denn was Machwerke wie „Die Rache des Würgers“, „Die Nacht der Ghoule“, „Die Braut und das Ungeheuer“ oder „Glen und Glenda“ - in dem Wood auch die Hauptrolle spielt und zugleich seiner zweiten großen Leidenschaft neben dem Filmen, das Tragen von Angorawäsche, frönt – auszeichnet, ist die ungeheure, natürlich unfreiwillige Komik. Deren Unterhaltungswert ist enorm, denn stets unübersehbar.

Es fehlte Geld für einen Riesenkraken mit beweglichen Armen? Dann musste das Opfer des Untiers die Tentakel eben selber um sich schlingen. Das Budget gab keine Ausstattung eines Cockpits her? Zwei Stühle vor einem Vorhang, dazu zwei Pilotendarsteller, eine wackelnde Kamera und ein Brummgeräusch, und schon war die Illusion perfekt. Konnte die Laborausstattung des  wahnsinnigen Wissenschaftlers nicht einmal einem Chemiebaukasten das destillierte Wasser reichen? Kein Problem, dann musste der irre Professor eben umso irrer lachen und mit den Händen fuchteln. Starb ein Darsteller während der „Dreharbeiten“ - so geschah es mit Bela Lugosi – ersetzte ihn Wood ohne viel Federlesens durch irgend jemand Arglosen, der zu seinem Pech zur falschen Zeit am falschen Ort erschien, und wenn die beiden Protagonisten nicht die geringste Ähnlichkeit miteinander aufwiesen, wurde das „Double“ eben nur von hinten gezeigt (was dieses allerdings auch nicht größer oder kleiner als den Verblichenen erscheinen ließ) oder musste sich einen blickdichten Umhang vor das Gesicht halten.

Das Opus Magnum: „Plan 9 from Outer Space“

Woods wohl bekanntester Film, quasi sein Opus Magnum, ist „Plan 9 from Outer Space“ aus dem Jahre 1959. Der Plot ist schnell erzählt. Es geht um Außerirdische, die sich um das Fortbestehen des Weltalls sorgen, da sie es durch den Menschen gefährdet sehen, und sie steuern deshalb den blauen Planeten an, um die Welt zu retten. Kein ganz dummer Ansatz; leider ist besagter Plan 9 – also der Plan, mit dem die Aliens die Menschen zur Vernunft bringen wollen - derart blödsinnig, dass man sich die offenbar obsolet gewordenen Pläne 1 bis 8 gar nicht vorstellen mag.

Clever, sehr clever hingegen war Woods – geglückter – Plan, das Geld für den Streifen aufzutreiben. Er machte einer Baptistengemeinde vor, einen religiösen Film produzieren zu wollen, er müsse nur vorher noch einen Science Fiction Reißer ins Kino bringen, mit dessen zu erwartenden, immensen Gewinnen dann das gottesfürchtige Werk realisiert würde. Die Baptisten waren begeistert und sagten Wood das Geld für „Plan 9“ zu, allerdings unter der Bedingung, dass sämtliche Darsteller und Mitarbeiter des Films sich zuvor noch taufen ließen. Wie immer es der Künstler auch hinbekommen hat – die Existenz des Films beweist, dass Wood tatsächlich gelang, die spirituelle Vorbedingung zu erfüllen. Was zumindest bei der Darstellerin Vampira nicht so einfach gewesen sein dürfte.

„Plan 9 from Outer Space“ ist so unfassbar bizarr, so jenseits alles Vorstellbaren, dass man ihn mehr als einmal sehen muss, um alle „Feinheiten“ mitzubekommen. Wüsste man nicht, dass Ed Wood seine cineastische Tätigkeit todernst nahm, könnte man vermuten, hier habe jemand eine unsäglich übertriebene Parodie auf unlogische Handlungen, billigste Kulissen, noch billigere Special Effects, Verwendung von Filmresten aus der Mülltonne, Schnitt- und Anschlussfehler und tollpatschiges Chargieren gedreht. Das alles und schlimmeres gibt es in Plan 9 ganze 79 Minuten lang zu sehen, von Wood (Regie, Drehbuch, Produktion, Schnitt) ohne den geringsten Zweifel ernst gemeint.

Radkappen, die an gut sichtbaren Schnüren als Ufos durchs Bild gezogen werden und dabei so wackeln, dass selbst Außerirdische vor lauter Seekrankheit jeden Invasionsplan sofort aufgegeben hätten sind ebenso wenig ein Ulk wie labil lüngelnde Papp-Grabsteine, wandernde Möbel und sich verwandelnde Autos und Tageszeiten. Und vieles, vieles mehr, für das der Begriff „ungereimt“ nur sehr vage eine Beschreibung liefert. Keine Frage: mögen die Außerirdischen auch einen noch so hirnlosen Plan gehabt haben, als sie zur Erde aufbrachen – sie hatten immerhin einen Plan, im Gegensatz zu Ed Wood, Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Schnitter.

Ganz ehrlich: ich bewundere Ed Wood. Er verfolgte unbeirrbar und  konsequent und fern jeder Einsicht in seine Unfähigkeit den Traum, ein angesehener Filmkünstler zu werden. Wood schaffte es immer wieder, zumindest so viel Geld für seine Projekte aufzutreiben, wie unabdingbar war; alles andere ließ sich schon irgendwie managen, und sei es mit Radkappen und Bindfäden und notfalls auch Nottaufen. Zudem hat Wood es geschafft, den vom Publikum längst für tot gehaltenen, aber nur zahnlos irgendwo in Hollywood vor sich hin mümmelnden Bela Lugosi aus der Gruft zu holen und ihn als Zugpferd vor seine Knallchargentruppe zu spannen. Mehr noch, selbst den wenig später tatsächlich verblichenen Lugosi brachte Wood noch in „Plan 9“ unter, indem er einfach ein paar frühere Probeaufnahmen des nun erkalteten Blutsaugers hinein klebte, ohne dass das für die Geschichte irgendeinen Sinn gemacht hätte; aber so konnte er ohne jede Scham Lugosi im Vorspann unter den Darstellern an erste Stelle setzen und damit seinen Film für ein Publikum interessant machen.

Wood war ohne Frage ein besessener Irrer, der seinen Platz in der Filmgeschichte sicher behauptet, und wenn es der des schlechtesten Filmemachers aller Zeiten war. Immerhin, andere schaffen nicht einmal das, selbst wenn sie aufstehen. Man sieht sie trotzdem nicht.

Links:

Plan 9 from Outer Space ganzer Film 

Jailbait (1954) ganzer Film

Glen or Glenda (ganzer Film)

Bride Of The Monster (1955) , der Film mit dem Oktopus

Trailershow einiger Filme von Ed Wood (mit dem Meister im Angora-Fummel)

Kurzer biografischer Film über Ed Wood

Längerer biografischer Film über Ed Wood

Szene aus „Ed Wood“ von Tim Burton. Bela Lugosi (Martin Landau) kämpft mit dem Oktopus.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Winfried Sautter / 29.05.2017

“Glen & Glenda” war & ist ein mutiges Statement, auch sein Angora-Fetisch. Alles ein Bißchen queer zum heutigen Gender-Mainstream im Regenbogen, aber umso bemerkenswerter ... Respekt für Ed Wood !

Thomas Kammerer / 28.05.2017

Vielen Dank für diesen Text. Mein persönlicher Favorit als Antidepressivum ist das Werk von P. G. Wodehouse, insbesondere die Verfilmungen von Jeeves and Wooster mit Hugh Laurie und Stephen Fry. Humor ist die effektivste Waffe gegen jede Art von Fanatismus.

Manfred Löffert / 28.05.2017

Danke für den Tip. Habe mir den Film “Plan 9 from outer space”” gleich mal auf Youtube angeschaut und , was soll ich sagen, er war für mich unterhaltsamer als ein Tatort im Bezahlfernsehen. Die alten Science -Fiction- Filme oder “Horrorfilme” ( Riesenameisen u.a. !) aus den Fünfzigern haben mich schon immer fasziniert und auch in anderen Werken als denen von Wood sind Szenen zu beobachten, in denen wohl mangels ausreichender Technik und Equipment mächtig improvisiert wird. Macht also ab und an wirklich Spaß beim genauem Hinschauen.

Heiko Stadler / 28.05.2017

Warum musste ich nur die ganze Zeit an die Eliten in Berlin denken, als ich diesen Text las?

JF Lupus / 28.05.2017

” Er verfolgte unbeirrbar und konsequent und fern jeder Einsicht in seine Unfähigkeit den Traum, ...” - er wäre sicher ein wertvolles Mitglied der deutschen Politikerriege, da wäre er unter zahlreichen Gleichen.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com