Vera Lengsfeld / 30.04.2023 / 14:00 / Foto: Hilda Hoffmann / 7 / Seite ausdrucken

Brechts Lai-Tu oder die talentierte Ruth Berlau

Bertolt Brechts Werk ist ohne seine Mitarbeiterinnen undenkbar. Eine von ihnen war Ruth Berlau, die auch seine Geliebte war. Die Beziehung war kompliziert. Eine Rezension von Hans Bunges Buch über seine Gespräche mit Ruth Berlau.

Die interessanteste Publikation des Eulenspiegel-Verlags in diesem Jahr ist ohne Frage Hans Bunges Buch über seine Gespräche mit der langjährigen Mitarbeiterin und Geliebten von Bertolt Brecht, Ruth Berlau. Es ist eine überarbeitete und ergänzte Neuauflage der Erstausgabe von 1987, die nach vielen Schwierigkeiten, die Brecht-Erbin Barbara Brecht-Schall machte, auch in der DDR erschien und schnell zum Klassiker für Brecht-Forscher avancierte.

Obwohl es in erster Linie von einer ungewöhnlichen Frau handelt, erfährt man viel über den Dichter, dem Ruth Berlau ihr Leben widmete. Brechts Werk ist ohne seine Mitarbeiterinnen undenkbar. Er lieferte die Erstfassung eines jeden Textes, der dann in intensiven Diskussionen weiterentwickelt wurde. Viele Hinweise, Vorschläge, Gedanken, Verbesserungen flossen in Brechts Texte ein. Zwar hat Berlau nicht, wie Elisabeth Hauptmann an der Dreigroschen-Oper, direkt mitgeschrieben, aber da sie neben Weigel und Hauptmann seine langjährigste Beziehung war, steckt viel Berlau in Brecht-Texten.

Schon ihr Leben vor Brecht war bemerkenswert. Geboren wurde sie in eine wohlhabende dänische Familie. Nach dem Selbstmordversuch ihrer Mutter und der darauf folgenden Trennung von ihrem Vater musste die mit großer Schönheit gesegnete Berlau für ihre Familie sorgen. Sie zog einen florierenden Kaffeeverkauf auf, der sie wirtschaftlich unabhängig machte. Als sie keine Neigung mehr dazu verspürte, bot sie einer Zeitung an, mit dem Fahrrad von Kopenhagen nach Paris zu fahren und von ihren Abenteuern unterwegs zu berichten. Da die Fahrt aber „stinklangweilig“ wurde, erfand sie ihre Abenteuergeschichten einfach. Das Publikum war von der Serie begeistert. Als sie ihre Rückkehr ankündigte, warteten hunderte Menschen auf dem angegebenen Platz, um Berlau zu begrüßen. Danach war sie in Dänemark eine bekannte Person. Sie wurde Kommunistin und gründete zur Unterstützung der Arbeiter ein Laientheater, dem sie viel Zeit und Kraft widmete. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Journalistin und als Schauspielerin am Königlichen Theater. Nach der Heirat mit dem wohlhabenden und angesehenen Arzt Robert Lund gehörte sie endgültig zum dänischen Establishment.

Sie ließ sich von Brecht regelrecht ausbeuten

Sie begegnete Brecht 1933, als der mit Familie vor den Nazis nach Dänemark floh. Sie verliebte sich sofort in den Dichter, erst später in den Mann. Es dauert zwei Jahre bis zum ersten Kuss. Sie verließ Ehemann und Heimat, um Brecht ins Exil zu folgen. Es machte sie glücklich, für ihn arbeiten zu können. Sie ließ sich dafür regelrecht ausbeuten. Einmal wollte Brecht unbedingt mit ihr im tiefsten Winter in ihr Landhaus fahren. Sie kamen dort an und Berlau begann, Holz zu hacken, den Ofen anzuheizen, Schnee für Brechts Tee aufzutauen. Er half ihr nicht dabei, beschwerte sich aber, als sie fertig war, sie habe ihm das Gefühl vermittelt, sie auszubeuten. 

Sie fuhr für ihn in den Spanien-Krieg, weil Brecht, der selbst jeder Gefahr aus dem Weg ging, Nachrichten von der Front brauchte. Er tadelte sie, weil sie nicht die richtigen Meldungen mitbrachte.

Berlau musste sich auch um die anderen Geliebten von Brecht kümmern. Margarethe Steffin, die er ebenfalls aufgefordert hatte, ihm ins Exil zu folgen, wohnte eine Zeit lang bei Berlau. Obwohl sie da schon Tuberkulose hatte, an der sie später starb, kümmerte Steffin sich nicht um ihre Heilung, denn Brecht brauchte sie, um seine abendlichen Gespräche mit seinen Besuchern mitzustenografieren. Einmal, als es Steffin besonders schlecht ging, wurde sie gegen seinen Willen („Ich brauche sie“) von Robert Lund ins Krankenhaus gebracht. 

Der Brecht-Tross zog von Dänemark über Schweden und Finnland in die Sowjetunion, um in Wladiwostok ein Schiff nach Amerika zu besteigen. Als sie in Moskau ankamen, wurde Brecht ein Empfang bereitet. Seine „große Verliebtheit“ Carola Neher saß da schon mehrere Wochen in der Lubjanka. Berlau behauptet, Brecht habe sich einmal bei einem sowjetischen Beamten nach ihrem Schicksal erkundigt. Er scheint sich mit der Auskunft, Neher würde auch im Gefängnis Theater spielen, zufriedengegeben zu haben. Auch zum Schicksal vieler Kommunisten, die im stalinschen Gulag verschwanden und zum Teil nie wieder auftauchten, findet sich bei Berlau nichts. Kritik an Stalin war bei Brecht verboten. Der wunderbare Schauspieler Alexander Granach, der das erste Haus für die Brecht-Familie in Amerika gemietet hatte, wurde in Acht und Bann getan, weil er in dem antistalinistischen Film „Ninotschka“ mitgespielt hatte. Er bekam nie wieder eine Chance.

Berlau sagt nichts darüber, was die Enthüllungen der stalinistischen Verbrechen bei ihr bewirkt haben. 

Ackern für Brechts Nachruhm

In ihrem Leben unternahm Berlau mehrere erfolglose Versuche, ihr eigenes Leben zu führen. Nach einem Jahr in Santa Monica in Brechts Nähe zog sie gegen seinen Willen nach New York, wo sie bald Mitarbeiterin eines Senders wurde, der für die besetzten Länder in Europa Programme machte. Sie konnte nicht anders, sie brachte Sendungen mit Brecht unter, obwohl der sich für Radiosendungen schlecht eignete. Sie konnte auch nie aufhören, sich für seine Arbeit einspannen zu lassen.

Ihre finanziellen Verhältnisse erlaubten es ihr, eine Wohnung zu mieten, in der auch ein Zimmer für Brecht eingerichtet wurde. Brecht zog ein, verlangte aber sofort das größere Zimmer für sich. In den Monaten, die sie mit Brecht verbrachte, wurde Berlau schwanger. Angeblich soll sich Brecht gefreut haben, aber er wollte nicht, dass Berlaus Schwangerschaft in Santa Monica bekannt wurde. Das Kind kam als Frühgeburt auf die Welt und lebte nur vier Tage. Brecht notierte in seinem Journal, Berlau sei „operiert“ worden. Für Berlau war der Tod des Kindes ein traumatisches Erlebnis, aber Brechts Kälte tötete ihre Liebe zu ihm nicht. 

Brecht legte größten Wert auf seinen Nachruhm. Was über ihn in 50 Jahren gedacht würde, war ihm unendlich wichtig. Deshalb wollte er möglichst viele Aufführungen seiner Stücke dokumentieren. Berlau lernte fotografieren, um bei Proben und Aufführungen Fotos zu machen. Brecht erwartete, dass diese Fotos am nächsten Vormittag auf seinem Tisch lägen. Also schlug sich Berlau die Nächte um die Ohren, um die Bilder zu entwickeln. Von vielen Stücken Brechts wurden Bücher angelegt, die jede Szene dokumentierten. Als Brecht wieder in Deutschland war, wurden solche Bücher an die Theater verschickt, die ein Brecht-Stück inszenierten. Angeblich sollten sie nur Anregung sein, aber nach Brechts Tod verlangte Barbara Brecht-Schall, dass die Stücke möglichst originalgetreu aufgeführt würden. Sie führte Prozesse gegen Regisseure wie Frank Castorf, die zu frei mit Brechts Text umgingen. 

Späte Verbitterung

Um Brechts Nachruhm zu sichern, wollte er unbedingt ein eigenes Archiv aufbauen. Das übernahm Berlau, obwohl sie eher ungeeignet für Archivarbeit war und daran keine Freude hatte. In der Berliner Zeit lebte sie in der Charitéstraße, in der Nähe des Berliner Ensembles. Anfangs kam Brecht regelmäßig zu ihr, um Mittag zu essen und anschließend zu ruhen. Sie muss sich erhofft haben, dass ihr Verhältnis in die ersehnte Ehe mündet. Die Weigel dachte offenbar in dieselbe Richtung und drohte mit Scheidung. Brecht entschied sich für seine Frau und nahm sein Mittagessen fortan bei der Weigel ein.

Für Berlau war es ein Schock, von dem sie sich nicht mehr erholte. Sie verursachte Skandale und andere Ärgernisse, machte gar einen Selbstmordversuch, um Brechts Aufmerksamkeit zu erhalten. Das kam weder beim Meister noch bei seinem Clan gut an. Brecht versuchte, sie nach Kopenhagen abzuschieben, indem er ihr dort ein Haus kaufte. Es klappte nicht. Trotz aller Scherereien genoss Berlau eine Art Schutz, solange Brecht lebte. Er ließ sie lediglich ab und zu in die Psychiatrie einweisen. Nach seinem Tod überwarf sie sich endgültig mit der Weigel und bekam Hausverbot im Berliner Ensemble. Sie wurde von allen Freunden verlassen und lebte in den letzten Jahren sehr isoliert.

Im Alter scheint sie mit Verbitterung auf ihre Jahre mit Brecht zurückgeblickt zu haben. Er hätte sie stets „wie Dreck“ behandelt. Er hätte ihr 16 Jahre verboten, zu lächeln („Dein Hurenlächeln“). Sie fragte sich, was aus ihr hätte werden können, wenn sie sich für einen anderen Weg entschieden hätte. Robert Lund, als sie sich von ihm trennte, sagte: „Du bist doch keine zweite Geige“. Er hat recht behalten, denn Berlau ist als zweite Geige gescheitert.

Während ich das Buch las, fragte ich mich mehr als einmal, was von Brecht heute geblieben ist. 

Natürlich die „Dreigroschenoper“, bei der man aber als Schöpfer Hauptmann, Brecht, Weill nennen müsste und die vor allem wegen ihrer Musik ein Welterfolg geworden ist. „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Die Keuner-Geschichten?

Der große Literaturkenner Marcel Reich-Ranicki war der Meinung, von Brecht blieben nur seine Liebesgedichte.

Eins der eindrücklichsten lautet:

Schwächen

Du hattest keine.
Ich hatte eine:
Ich liebte.

Dies schrieb nicht Brecht, sondern Ruth Berlau.

„Brechts Lai-Tu“, Eulenspiegel Verlag 2023

Foto: Hilda Hoffmann CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Marcel Seiler / 30.04.2023

In der 68’er Zeit mussten wir in der Schule, 8.-10. Klasse, auf Initiative einiger linker Mitschüler unentwegt Brecht lesen. Ich mochte ihn schon damals nicht. Die Lektüre dieses Artikels hat mich in meinem Urteil voll bestätigt. Irgendwie ekelhaft, der Mann.

Stefan Riedel / 30.04.2023

Männer verlieben sich in das was sie sehen, und Frauen in das, was sie hören. Deshalb tragen Frauen Make-up und Männer lügen… Bertold war sicherlich ein begabter Lügner? “...musste die mit großer Schönheit gesegnete Berlau…”?

Yehudit de Toledo Gruber / 30.04.2023

Ach, sehr geehrte Frau Lengsfeld, hier mal etwas über Brecht und vor allem über eine seiner wichtigen Geliebten? Die selbstzerstörerische Ruth Berlau?  S e h r interessant. Leider bleibt mir erst morgen so richtig Zeit, Ihren Artikel zu genießen - dann aber ist es zu spät für ein Statement. Also: ich bin schon heute sehr gespannt und sage jetzt schon mal Danke!

Esther Braun / 30.04.2023

In meine leeren Schaukelstühle vormittags Setzt ich mitunter ein paar Frauen Und ich betrachte sie sorglos und sage ihnen In mir habt ihr einen auf den könnt ihr nicht bauen.

Sabine Heinrich / 30.04.2023

Die Frau scheint eine ausgemachte Masochistin gewesen zu sein. Krankhaft fixiert auf einen Unsympath von Mann. - Dass sie ihre Radtour von Kopenhagen nach Paris als “langweilig” beschreibt, zeigt, dass ihr jeder Sinn, jedes Empfinden für ihre Umwelt, die Menschen, die Natur gefehlt hat. Für jemanden, der all seine Sinne beisammen hat, wäre jeder Tag einer derartigen Tour ein Abenteuer; da wäre Staunen, Freude, das aufregende Entdecken von Neuem, bewegende menschliche Begegnungen usw. Nichts dergleichen hat sie in ihrer Abhängigkeit von Brecht erlebt. - Mir tun sowohl Frauen als auch Männer, die sich ihrem Partner jederlei Geschlechts kein bisschen leid, wenn sie sich trotz finanzieller Unabhängigkeit ausnutzen lassen - zumal es auch Hilfe gibt - anders als früher - wenn die Abhängigkeit einer psychische ist.

Wilfried Düring / 30.04.2023

Einen hab ich noch. Wenn für Brecht dieselben (fragwürdigen) Maßstäbe gegolten hätten, wir für Hubertus Knabe und seinen Stellvertreter Helmuth Frauendorfer in Hohenschönhausen - man hätte Brecht OHNE Abfindung aus dem Berliner Ensemble jagen müssen!

Wilfried Düring / 30.04.2023

Ja, der Brecht. Auch so ein ‘Frauen-Verbraucher’. Brecht hatte - auch im intimen Sinne - extrem viele Freundinnen. Eine von ihnen, die Schauspielerin Carola Neher, starb einsam in einem Lager. Von einem ernsthaften Versuch Brechts, ihr helfen, ist nichts bekannt. Im Bolschewiki-Pedia Beitrag zu Carola Neher wird folgender Auszug eines Briefes dokumentiert: ‘Sie, Herr Brecht, haben Karola Neher gekannt. Sie wissen, daß sie weder eine Terroristin noch eine Spionin, sondern ein tapferer Mensch und eine große Künstlerin war. Weshalb schweigen Sie? Weil Stalin Ihre Publikation “Das Wort”, ... , bezahlt? Woher nehmen Sie noch den Mut, gegen Hitlers Morde an ... zu protestieren? Glauben Sie wirklich, daß Sie mit Lüge, Knechtseligkeit und Niedrigkeit die Kerkerpforten des Dritten Reiches sprengen können?’. Aber Carola Neher starb eben nicht im hitler-deutschen Konzentrationslager, sondern im sowjetischen Gulag stalinistischer Prägung. Und beide Lager-Typen kann man eben ‘nicht vergleichen’! Deshalb ist Brecht weiter ein genialer Künstler (z.B. die ‘Kinderhymne’ ist auch wirklich gut), während beim großen Operetten-Kompositeur Franz Lehar als erstes seine ‘umstrittene Vergangenheit’ erwähnt wird. Der Text-Dichter vieler von Lehars Operetten-Schlagern Löhner-Beda, war Jude, und starb in HITLERs KZ. - Noch ein anderer Aspekt. Kaum eine Woche vergeht, in der man nicht Neues zum Thema Macht, Mißbrauch, Sexismus und Unterdrückung in der Medien-, Musik-, Film- und sonstigen Künstlerszene hört. Am Genossen Brecht (eine IKONE der Linken und der Weltverbesserer; nicht zuletzt der Stalinisten) ging der Kelch bisjetzt vorbei. Gut, es ist ‘lange her’ und die Frauen, die ihn liebten, für ihn gearbeitet haben und sich von ihm benutzen ließen (Vera Lengsfeld nennt nur die wichtigsten Namen) sind alle tot. Trotzdem ist es irgendwie seltsam. Die richtige Haltung ‘schützt’ eben - offenbar über den Tod hinaus! Brecht war eben KOMMUNIST - anders als dieser böse Springer-Journo Reichelt ... !

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