112-Peterson: Warum wir in Beziehungen auch streiten müssen

Während Sie hier sitzen, gibt es außerhalb Ihres eigenen momentanen Erlebens stets zahlreiche Dinge, die Ihnen unbekannt sind. Diese offenbaren sich Ihnen im Moment nicht, aber sie sind als Möglichkeit vorhanden. Stellen Sie sich eine Diskussion vor, die in Streit ausartet. Unvermittelt ist es dann, als wären Ausläufer dieses Unbekannten auf den Plan getreten. Es definiert sich im Verhältnis zu dem, was Sie kennen. Es ist das, was Sie nun im Streit tatsächlich erfahren, statt dass es eine Möglichkeit bleibt.

Wir sprechen also über zwei Kategorien des Unbekannten: das latente und das manifeste Unbekannte.  

Auch in einer stabilen Beziehung weiß man: Früher oder später werden Probleme auftauchen. Das steckt in Ihnen, in Ihrer konzeptionellen Struktur. Denn menschliche Beziehungen sind nun mal kompliziert und komplex. Und: Dies ist Teil dessen, der eine Beziehung lebendig hält.

Es gibt eine interessante empirische Untersuchung dazu. Man hat sich gefragt, was ein gute Beziehung ausmacht gemessen an der Anzahl positiver und negativer Gefühle. Man hat Paare gebeten, ihre Interaktionen im Laufe des Tages in „positiv“ und „negativ“ einzuteilen, um Vorhersagen zu treffen, wie lange die Beziehungen halten. Man würde utopisch vermuten, dass nur positive Interaktionen gut für eine Beziehung sind. Aber dem ist nicht so!

Das Ergebnis der Untersuchung: Wenn es weniger als fünf positive Interaktionen im Verhältnis zu einer negativen waren, wurde die Beziehung beendet. Das leuchtet unmittelbar ein, da erkennbar zu viel Negatives in der Beziehung ist. Wenn es jedoch mehr als elf positive Interaktionen im Verhältnis zu einer negativen gibt, so hält die Beziehung ebenfalls nicht. Warum?  

Ein Ringkampf, der beide Partner verändert

Ganz einfach: Solchen Beziehungen fehlt die Herausforderung. Erwartet man ständigen Segen von seinem Partner? Nein. Man möchte zwar Frieden, jedoch gelegentlich unterbrochen von einem guten Streit.

Streiten bedeutet nämlich auch, dass man einander respektiert, sich gegenseitig etwas anzubieten hat und dass man dadurch wachsen kann. Der Streit darf nicht zu dramatisch sein, denn damit kommt man nicht mehr klar und zieht sich zurück. Aber wenn man seinen Partner in- und auswendig kennt und er einem ausschließlich Gutes tut, dann ist es, als ob man ihn nicht kennt, dann gibt es keine gegenseitige Kommunikation oder gar eine gegenseitige Unterwerfung. In dieser Konstellation gibt es kein Wachstum.

Eine echte Beziehung hat etwas von einem Ringkampf, etwas Verschlingendes, das beide Partner verändert. Wer will schon niemals herausgefordert werden? Wer möchte schon einen Partner, der immer exakt das tut, was man von ihm erwartet? Man würde ihn zweifelsohne schlecht behandeln, vielleicht verdienterweise.

Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Vortrag „Maps of Meaning 9: Patterns of Symbolic Representation“. Hier geht’s zum Original-Vortrag auf dem Youtube-Kanal von Jordan B. Peterson.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Tom Hess / 16.02.2018

Nicht umsonst heißt es, ein guter Streit ist wie ein Gewitter - es reinigt die Luft.

Dirk Jungnickel / 16.02.2018

Im Großen und Ganzen einverstanden. Nur : Was ist, wenn der Streit eskaliert und außer Kontrolle gerät ?  Das passiert bekanntlich, wenn er von Lappalien ausgeht und dazu genutzt wird, dem Gegenüber lange Schwelendes unter zu jubeln. ( Ein gutes Beispiel ist die notorisch unterschiedliche Handhabung der Zahnpastatube.) Dann ist es kein “guter Streit”  mehr, oder ? Möglicherweise meint der Autor eher Meinungsstreit, der durchaus fruchtbar sein kann, wenn er sich auf einem bestimmten Niveau bewegt.

H.Roth / 16.02.2018

Richtig streiten will gelernt sein. Und dazu gehört auch die Fähigkeit, einen Streit zu beenden. Darum würde ich sagen, die Fähigkeit, sich zu versöhnen, und nicht die Fähigkeit sich zu streiten, macht eine solide Beziehung aus.

Judith Hirsch / 16.02.2018

Das ist das erste Mal, dass ich bei einem Text des Autors den Kopf schüttle. Nachdem unsere Mutter Anfang der 80er das Buch “Streiten verbindet” las, machte sie unserem Vater und uns Kindern das Leben zur Hölle. Ich bin 47 und habe einige Liebesbeziehunen gehabt, wobei die Harmonischen, die ohne Hader und Zwist auskamen, sehr positive Erinnerungen hervorrufen. Auf die Beziehungen, die ständige “Ringkämpfe” erforderten, hätte ich verzichten sollen.

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