Hans Scheuerlein, Gastautor / 07.04.2024 / 12:00 / Foto: GrandTheft / 9 / Seite ausdrucken

Pixies: 35 Jahre „Doolittle“

Die US-amerikanische Rockband Pixies ist keine gewöhnliche Rockgruppe. Sie hat Elemente verschiedener Stilrichtungen und sind ein Vorbild für viele andere Bands.

Wer meine Artikelserie verfolgt hat, wird sicherlich bemerkt haben, dass ich von der 50-Jahre-Schiene schon einige Male abgewichen bin. Und weil in Sachen Vinyl weder im April vor 50 noch vor 60 Jahren etwas Erwähnenswertes erschienen ist (abgesehen vielleicht von dem durchaus respektablen Debüt der Rolling Stones), kam mir doch glatt eines meiner Lieblingsalben zupass, das diesen Monat auch schon stolze fünfunddreißig Lenze zählt. Kinder, wie die Zeit vergeht! Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mit Kopfhörern im Plattenladen stand und in die Scheibe reingehört habe – mit einem riesigen Fragezeichen über meinem Kopf. Was ist das denn? Ich konnte erst gar nicht beurteilen, ob oder wie gut mir das gefiel, was ich da hörte. Aber irgend etwas faszinierte mich daran: es klang wild, aufregend, innovativ, irgendwie ganz anders...

Jedenfalls nahm ich das Album mit dem Äffchen mit Heiligenschein auf dem Cover am Ende dann doch auf Verdacht mit nach Hause. Und siehe da: Schon bald konnte ich mich an ihm gar nicht mehr satthören. Die Rede ist von „Doolittle“, dem zweiten Studioalbum der US-amerikanischen Indie-Rockband Pixies. Die vier Bostoner sind jedoch keine einfache Rockgruppe. Ihre einzigartige Stilistik mit Anleihen bei Surf-Rock, Hardcore-Punk, Psychobilly und Folk-Pop zeichnet sich durch eine Art Metaebene aus, die andauernd mitläuft und ihrer Musik so etwas wie einen karikierenden Aspekt beifügt, der sie wie eine Persiflage erscheinen lässt.

Einen wesentlichen Anteil daran trägt Sänger und Rhythmusgitarrist Charles Michael Kittridge Thompson IV alias Black Francis, der auf den ersten Blick eigentlich ganz normal aussieht. So wie einer, von dem die Nachbarn später sagen würden, wie freundlich er immer gegrüßt habe, der sich am Mikrofon jedoch in einen völlig durchgeknallten Psycho verwandelt, dessen groteske Stimmakrobatik, wie bei einem Besessenen, unvermittelt zwischen verhohlenem Flüstern und hysterischem, geradezu dämonischem Gebrüll hin und her wechseln kann. Und die spleenige Lead-Gitarre von Joey Santiago, die er nur allzu gerne zum Jaulen bringt, tut ihr Übriges dazu.

„Doolittle“ von den Pixies anzuhören ist wie einem Feuerwerk zuzusehen: Die ganze Zeit passiert etwas Neues und Unerwartetes. Das fängt gleich mit dem furiosen Opener „Debaser“ an, bei dem Black Francis unverhüllt seiner ganzen Wahnsinnigkeit frönt. Eigentlich singt er seine Lieder gar nicht; er performt sie. Und das nimmt bei ihm regelmäßig ganz aberwitzige Züge an; was sich nicht zuletzt auch in seinen Texten widerspiegelt. Etwa wenn er in dadaistischer Manier immer wieder dieselben Passagen wiederholt und sich schließlich als „Chien Andalusia“ bezeichnet, womit er augenzwinkernd auf den surrealistischen Filmklassiker „Ein andalusischer Hund“ (orig. „Un chien andalou“) von Luis Buñuel und Salvador Dali aus dem Jahr 1929 anspielt.

Eine irre Nummer! Selten hat die I-IV-II-IV-Akkordfolge so viel Spaß gemacht. Und wenn Bassistin Kim Deal schließlich mit ihrer charmanten Stimme in den Chorus einstimmt, geht die Sonne auf. Deal stieß Anfang 1986 zur Band, nachdem sie eine Anzeige gelesen hatte, in der ein Bassist gesucht wurde, der sowohl der Hardcore-Band Hüsker Dü, als auch dem Folk-Trio Peter, Paul & Mary etwas abgewinnen können sollte. Deal war die einzige, die sich auf die Annonce meldete; obgleich sie eigentlich nur Gitarre spielte. Aber wer Gitarre spielen kann, findet sich auch auf dem Bass zurecht. Und so brachte sie zum ersten Treffen mit Black Francis und Joey Santiago die Bassgitarre ihrer Zwillingsschwester mit – und bekam just den Job. Über sie kam auch der Kontakt zu Schlagzeuger David Lovering zustande, der eigentlich ein Freund ihres Ehemanns war, den sie bei ihrer Hochzeitsfeier kennengelernt hatte. Damit war die Truppe komplett. Auf den Bandnamen stieß Santiago in einem Lexikon, weil ihm gefiel, wie das Wort „Pixies“ geschrieben aussah.

Ein Lied ist besser als das andere

Schon nach wenigen Monaten fleißigen Probens hatten die Pixies so viele Stücke einstudiert, dass sie damit in kleinen Bars in und um Boston herum auftreten konnten. Bei einem Gig im Vorprogramm der Throwing Muses wurde der Produzent und Studioeigentümer Gary Smith auf sie aufmerksam. In seiner Begeisterung offenbarte er den Bandmitgliedern, dass er nicht eher schlafen könne, bevor sie nicht weltberühmt seien. Schon bald darauf nahm er mit ihnen in seinem Studio ein Demo mit ganzen siebzehn Songs auf. Acht davon erschienen Ende 1987 auf einer Mini-LP mit dem Titel „Come on Pilgrim“. Weitere wurden im Jahr darauf unter der Ägide von Kult-Produzent Steve Albini für den ersten Longplayer namens „Surfer Rosa“ noch einmal neu aufgenommen.

Darauf befindet sich auch ihr erster Indie-Hit „Gigantic“ sowie ihr wahrscheinlich bekanntestes Stück „Where Is My Mind?“, das am Schluss von David Finchers Psychothriller „Fight Club“ von 1999 lief und dadurch enorm an Popularität gewann. Da gab es die Pixies allerdings schon längst nicht mehr. Zunächst aber noch mal zurück ins Jahr 1989, in dem ihr besagtes zweites Album auf den Markt kam. Mit „Doolittle“ gelang ihnen der internationale Durchbruch – zumindest im Independent-Sektor. Die Scheibe verkaufte sich über eine Million mal und erreichte im Vereinigten Königreich sogar die regulären Top Ten. Die beiden Singleauskoppelungen „Monkey Gone to Heaven“ und „Here Comes Your Man“ avancierten zu Indie-Hits und belegten Spitzenplätze in den US-amerikanischen Alternative-Charts.

„Doolittle“ ist für mich eines jener dünn gesäten Alben, die man auflegen und einfach durchlaufen lassen kann und auf dem ein Lied besser als das andere ist. Wenn ich neben den bereits erwähnten noch ein weiteres Highlight aufzählen müsste, dann wäre das für mich das Stück „Hey“, das inzwischen zu den Klassikern im Pixies-Repertoire zählt. An ihm lässt sich einmal mehr ihre bemerkenswerte Musikalität demonstrieren; ihr außergewöhnliches melodisches Gespür und Stilbewusstsein, das mich nach all den Jahren immer noch und immer wieder von Neuem begeistert. Da hat sicher auch der britische Produzent Gil Norton seinen Anteil daran, der es offenbar glänzend verstand, das Beste aus den vier Elfen (engl. Pixies) herauszuholen. Leider gelang das bei den nachfolgenden Alben nicht mehr so gut, die in meinen Ohren nurmehr wie ein bemühter Abklatsch der vorhergehenden klingen.

Erfolg trotz Konflikten

Das mag auch daran liegen, dass sich ihre exaltierte Herangehensweise an Musik letztlich als One-Trick-Pony erwies, dessen Überraschungseffekt sich dann letztlich doch recht schnell abnutzte. Vielleicht spielten aber auch die immer öfter auftretenden Spannungen zwischen Francis und Deal eine Rolle, bei denen es, neben Deals zunehmendem Alkoholkonsum, auch um die abnehmende Qualität der neuen Songs ging. Bei einem Konzert in Stuttgart eskalierte die Situation, als Francis der Bassistin seine Gitarre hinterherwarf. Deal weigerte sich daraufhin, in Frankfurt auf die Bühne zu gehen, was zur Folge hatte, dass die beiden fortan nicht mehr miteinander redeten. Wieder zurück in den Staaten, gründete Deal zusammen mit Tanya Donelly von den Throwing Muses ihre eigene Band namens The Breeders.

Trotz allem gaben die Pixies aber weiterhin gemeinsam Konzerte, unter anderem als Support für U2 beim US-Abschnitt derer 1992er „Zoo TV“-Welttournee. 1993 verkündete Black Francis in einem Radio-Interview dann schließlich das Ende der Band, ohne sich vorher mit seinen Kollegen abgestimmt zu haben. Denen teilte er seine eigenmächtige Entscheidung per Fax mit. Noch im selben Jahr konnte Kim Deal mit ihren Breeders und dem Song „Cannonball“ einen Indie-Hit landen, der zudem für einen Jingle des angesagten Musiksenders MTV verwendet wurde. Black Francis startete seinerseits eine Solo-Karriere als Frank Black mit seiner Begleitband The Catholics. Gitarrist Joey Santiago versuchte sich als Filmkomponist und gründete mit seiner Frau die Band The Martinis.

Schlagzeuger David Lovering spielte zunächst bei dem Camper Van Beethoven-Ableger Cracker, sattelte schließlich aber vollständig um und machte sich unter dem Namen The Scientific Phenomenalist als Zauberkünstler selbständig. Mitunter trat er im Vorprogramm von Black auf, in dessen Band sich hin und wieder auch Joey Santiago betätigte. Nachdem das Interesse an den Pixies, nicht zuletzt befeuert durch den Erfolg von „Fight Club“, weiterhin anhielt und sich viele Größen der Grunge-, Indie- und Alternative-Szene auf sie beriefen, begruben Francis und Deal das Kriegsbeil im Jahr 2003 und entschlossen sich mit den anderen beiden, die Pixies wieder aufleben zu lassen.

Im April 2004 fand in Minneapolis das Reunion-Konzert statt, an das sich eine Tournee durch die Vereinigten Staaten und Kanada anschloss. Bevor es dann über den Großen Teich nach Europa ging, veröffentlichten sie mit „Bam Thwok“ ihren ersten neuen Song seit über zehn Jahren, der exklusiv auf der Multimediaplattform iTunes zum Herunterladen erschien und sogleich die Download-Charts stürmte. Seitdem geben die Pixies wieder regelmäßig Konzerte rund um den Erdball und haben seit 2014 sogar vier Alben mit neuem Material herausgebracht – das meines Erachtens jedoch nicht mehr die Innovationskraft ihrer frühen Jahre besitzt.

Die Aufnahmen für das Comeback-Album „Indie Cindy“ mussten jedoch ohne Kim Deal stattfinden, die die Band im Sommer 2013 nun endgültig verlassen hatte. Sie wurde zunächst durch den ehemaligen The Fall-Bassisten Simon „Ding“ Archer und schließlich durch die sympathische Multiinstrumentalistin Paz Lenchantin ersetzt, die die Band erst kürzlich, nach zehn Jahren und drei Alben, wieder verlassen hat, um sich mehr ihren eigenen Projekten widmen zu können. Für sie spielt jetzt die vielversprechende Emma Richardson, die bis 2022 bei dem britischen Rock-Trio Band of Skulls den Bass zupfte. Kim Deal, die den Kontakt zu ihren ehemaligen Bandkollegen vollständig abbrach, reanimierte ihre Breeders wieder und veröffentlichte zuletzt 2018 ein neues Album mit dem Titel „All Nerve“.

Hans Scheuerlein ist gelernter Musikalienfachverkäufer. Später glaubte er, noch Soziologie, Psychologie und Politik studieren zu müssen. Seine Leidenschaft gehörte aber immer der Musik.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Christoph Schrief / 07.04.2024

@Wolfgang Heinrich Scharff … Sie Armer. Was haben Sie denn mit dieser Einstellung sonst noch alles im Leben verpasst? Nein, ich möchte es gar nicht wissen.

Günter Fuchs / 07.04.2024

Können die (Pixies) auch Musik machen? Grauenvolles Genre!

Claudius Pappe / 07.04.2024

Nichts geht über ” The Dark Side of the Moon ” von Pink Floyd….......wurde hier leider für schlecht befunden und nicht vorgestellt.

Wolfgang Heinrich Scharff / 07.04.2024

Ich frage mich, was die “Achse” reitet, solche Musik (“Indie”) zu bewerben. Meines Wissens liefen die “Pixis” zur Zeit ihrer Erfolge in linksradikalen Kneipen und Discotheken. Menschen mit ungewaschenen “Dredlocks” tanzten dazu, Frauen mit Nasenringen und anderem unweiblichem Gehänge ebenfalls. Bei mir und meiner Verbindung waren Bands dieser Art von vornherein verpönt.

Fred G. Eger / 07.04.2024

Sehr geehrter Herr Scheuerlein, danke für ihre Beiträge hier auf Achgut. Schon einige male habe ich mir ihre Empfehlungen in unsere Mediathek geholt - und nicht bereut. Pixies sagte mir erst mal nix. (Schnell mal in unsere Liedersammlung geschaut und siehe da, ein Lied von denen ist da drin. Muss von irgend einem Sampler sein - gern gehört, aber nie weiter verfolgt.) Bei Frank Black klingelte aber was. Der stand beim Konzert eines gewissen Herrn Jones zu seinem 50sten Geburtstag mit auf der Bühne rum. Beim Anschauen dieses Konzerts damals habe ich mich noch gefragt, “who the f..k” ist dieser Frank Black. Heute beim lesen ihres Artikels fiel es mir wie Schuppen aus den verbliebenen Haare. (Bestellung für “Doolittle” ist mit ein paar Begleit-CDs schon mal raus.) Every day is school day on Achgut.

A. Ostrovsky / 07.04.2024

Wat de Buur nich kennt, dat frett he nich.

Thomas Taterka / 07.04.2024

Nach einer Hörprobe bekam ich sofort Heimweh nach 1969 . Geheilt mit Chicago : ” Beginnings “.

Lutz Herrmann / 07.04.2024

Bitte nicht untertreiben. Kim Deal hatte mit den Breeders nicht nur einen Hit, das ganze Album “Last Splash” bestand aus lauter Kloppern, die die Pixies nie hinbekommen hätten.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Hans Scheuerlein, Gastautor / 24.03.2024 / 14:00 / 22

Der Sound der Achse

Die Achse ist vielfältiger, als eine Frau Strack-Zimmermann oder Frau Roth zugeben wollen. Das zeigt sich auch anhand des Musikgeschmacks der Autoren. Erst kürzlich wieder…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com