Stefan Frank / 08.06.2022 / 16:00 / Foto: Worldeconomicforum / 14 / Seite ausdrucken

Zyperns Präsident: „Erdogan agiert wie Putin“

Seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine rechtfertige Russland ähnlich wie die Türkei die Invasion Zyperns im Jahr 1974. Das sagte Zyperns Präsident Nikos Anastasiadis letzte Woche in einem Fernsehinterview, das er dem französischen Sender France 24 gab.

Seit die Türkei im Jahr 1974 in Zypern einfiel, steht der Nordteil der Insel unter türkischer Militärbesatzung. Die Türkei führte eine ethnische Säuberung durch. Die türkische Armee und Freischärler verübten Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung und vertrieben rund 200.000 griechische Zyprioten (ein Drittel der Bevölkerung) aus dem Norden der Insel. Ankara errichtete ein Marionettenregime und rief 1983 die Türkische Republik Nordzypern (TRN) aus, die von keinem Staat der Welt außer der Türkei anerkannt wird.

Nikosia ist eine geteilte Stadt. Ankara betrachtet die TRN als einzig legitime Staatsmacht auf Zypern. Zwar herrscht auf der Insel selbst ein von der UNO überwachter Waffenstillstand, doch die bedeutenden Erdgasvorkommen, die in den letzten eineinhalb Jahrzehnten vor den Küsten Zyperns entdeckt wurden, haben die Gefahr eines neuerlichen Krieges deutlich vergrößert.

Fast das gesamte Seegebiet um die Insel Zypern beansprucht die Türkei entweder für sich selbst oder für die TRN. Die größten Gasvorkommen finden sich in den sogenannten Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ, auch „200-Meilen-Zone“) Ägyptens, Israels und der Republik Zypern. Nach Artikel 55 des Seerechtsübereinkommens (SRÜ/UNCLOS) der Vereinten Nationen hat der jeweils angrenzende Staat in dieser Zone das alleinige Recht zur wirtschaftlichen Ausbeutung, das gilt insbesondere für Fischfang und, wie im vorliegenden Fall, für dort etwaig lagernde Bodenschätze.

„Geografische oder historische Daten umschreiben“

Mit Ägypten, Israel und dem Libanon hat die Republik Zypern die Grenzen ihrer jeweiligen Zonen in Abkommen festgelegt. Die Türkei aber weigert sich, darüber auch nur zu verhandeln und droht immer wieder mit Krieg. Das Schicksal der griechischen und türkischen Zyprioten habe eine allgemeine Bedeutung, so Präsident Anastasiadis im Fernsehinterview, „auch im Hinblick auf jüngste Entwicklungen wie die russische Invasion der Ukraine“. Russland verwende die gleichen Argumente wie seinerzeit die Türkei. Beide Länder betrieben einen „Revisionismus“; sie trachteten danach, „geografische oder historische Daten umzuschreiben“.

Der Präsident betonte, dass die griechisch-zypriotische Seite nie aufgehört habe, für eine Lösung zu kämpfen. Er beschrieb den Bruch in der Geschichte der Insel und ihrer Bewohner im Zuge der türkischen Invasion so:

„Zypern war vereinigt, seine Bürger lebten zusammen, in gemischten Dörfern und Städten. Die türkische Invasion zwang die türkischen Zyprioten, in den Norden und die griechischen Zyprioten, in den Süden zu ziehen. Ein Drittel der Bürger sind Flüchtlinge in ihrem eigenen Heimatland. Die griechischen Zyprioten haben ihre Besitztümer zurückgelassen.“

Seither seien beträchtliche Anstrengungen zur Lösung des Zypernkonflikts unternommen und Fortschritte bei wichtigen Fragen erzielt worden.

„Doch immer stießen wir auf die Unnachgiebigkeit der Türkei, die darauf besteht, dass sie ein Garant der Republik Zypern oder der türkischen Zyprioten zu sein habe.“

Das aber, so der Präsident, würde bedeuten, dass „die Minderheit über die Mehrheit“ bestimme und Zypern quasi zu einem „Protektorat Ankaras“ werde.

„Seit 1974 wurde auf Anweisung Ankaras hin der demografische Charakter der türkisch-zypriotischen Gemeinschaft verändert. Tausende türkische Bürger wurden im nördlichen Teil angesiedelt. Da sind 35.000 Soldaten der türkischen Armee.“

Forderung nach Föderation

Finanziell und politisch stehe Nordzypern unter völliger Kontrolle der Türkei. Der türkische „Revisionismus“ betreffe indes nicht nur Zypern, sondern stelle die gesamte griechische Ägäis infrage. Die Türkei interveniere „in Libyen, in Syrien, im Irak“ auf der Grundlage der „arroganten“ Auffassung, wonach „alle Probleme gemäß dem Willen der Türkei gelöst zu werden haben“. Der zypriotische Präsident plädierte für eine „bizonale, bikommunale Föderation“ in Zypern, eine Option, die von der türkischen Regierung abgelehnt wird. Dabei sei im Lauf der Jahre Konsens bei vielen Fragen erzielt worden, „was die Legislative, die Gerichtsbarkeit und die Zusammensetzung der Exekutive“ betreffe.

„Was einer Lösung harrt, sind Fragen des Territoriums, des Besitzes und die Art zu regieren. Die Türkei selbst sagt, dass Zypern der Türkei unterstellt bleiben muss. Stellen Sie sich die Russen vor, wie sie darauf bestehen, der Garant der Ukraine zu sein. Das wäre genau dasselbe.“

Die Interviewerin kam auf den Erdgaskonflikt mit der Türkei zu sprechen. Sie erwähnte, dass der französische Energiekonzern Total und sein italienischer Partner ENI diese Woche mit Erdgasbohrungen vor der zypriotischen Küste beginnen wollen und fragte den Präsidenten, ob er fürchte, dass die Türkei etwas dagegen unternehmen werde. Zypern, erwiderte Anastasiadis, habe der Türkei nahegelegt, sich entweder an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag oder an den Internationalen Seegerichtshof zu wenden, damit eine Demarkationslinie gefunden werde, um die Ausschließlichen Wirtschaftszonen Zyperns und der Türkei voneinander abzugrenzen. „Dann wird es kein Problem geben“, so Anastasiadis. Er hoffe, dass die Türkei nichts tun werde, was den Frieden in der Region bedrohen könnte.

Gefragt, ob er bereit sei, die zypriotischen Erdgasvorkommen mit der Türkei zu teilen, antwortete er: „Solange wir uns ans internationale Recht halten, warum nicht?“ Zypern sei dazu bereit, „auf der Grundlage der Regeln, die in Kraft waren, als wir die Ausschließlichen Wirtschaftszonen Zyperns mit Ägypten, Israel und dem Libanon abgegrenzt haben – mit allen Nachbarstaaten“.

Nachsichtige EU

Im Juli, wenn die Türkei ein gerade neu angeschafftes Bohrungsschiff – das insgesamt vierte – einsetzen will, um in zypriotischen Gewässern nach Erdgas zu bohren, droht eine neue Konfrontation. Zypern und die Europäische Union betrachten die Bohrungen als illegal. Nie ein wichtiges Thema für die EU war hingegen das unrechtmäßige türkische Besatzungsregime in Nordzypern: Diesem zum Trotz galt die Türkei über viele Jahre sogar als EU-Beitrittskandidat. Die EU erkennt zwar die TRN nicht an, scheint sich aber seit Jahrzehnten nicht groß an den von der Türkei gewaltsam geschaffenen Fakten zu stören.

Statt dass Sanktionen verhängt worden wären wie gegen Russland, hat die Türkei über Jahrzehnte Entwicklungshilfe aus Deutschland und Brüssel erhalten, ohne dass ein Rückzug der türkischen Soldaten aus Zypern je zur Bedingung gemacht worden wäre. Immer noch überweist Brüssel pro Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag an „Heranführungshilfe“. Diese Bereitschaft Europas, gewaltsam geschaffene Fakten anzuerkennen, könnte den russischen Präsidenten Wladimir Putin ermuntert haben, mit der Ukraine so zu verfahren wie die Türkei mit Zypern. Türkische Regierungen hatten nie einen Grund, die Invasion zu bereuen, sondern machten sie zum Gegenstand eines nationalen Heldenkults.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

A.Schröder / 08.06.2022

Die Achse hat nicht d i e Meinung, weil viele Auroren hier ihren Standpunkt abgeben. Besser wäre eine Darstellung der nachprüfbaren Fakten, und der Leser kann sich seine Meinung dazu selbst machen. Letztlich ist das aber widerrum völlig egal, weil die Achse seit einigen Wochen das Gleiche schreibt wie (fast) alle Medien hier im Land. Das beste Beispiel dafür war gestern,  die Posse um einen der Gründerväter der Achse, mehr der Sargnagel seiner Berichterstattung.

Franz Klar / 08.06.2022

Jetzt bloß nicht auch noch die Erdogangster vor den Hohlkopf stoßen !  Gibt nur noch mehr Ärger ....

Harald Unger / 08.06.2022

Stefan Frank vergißt den Gelben Brontosaurus im Raum zu erwähnen, der das ganze südchinesische Meer, bis runter nach Indonesien, einzig für sich beansprucht. Wenn Putin und Erdogan verrückt spielen, ist das ohne die CCP im Rücken nicht denkbar. - - - Wie aktuell auch Schweden und Finnland zeigen, führt Erdogan die Nato am Nasenring und man kann seine maßlosen Forderungen ahnen, mit denen er für den Beitritt der beiden Länder ‘entschädigt’ zu werden gedenkt. Die Unfähigkeit der (bisher) zivilisierten Staaten, mit den Schlägern fertig zu werden, ist ein Klassiker. Zivilisationen lösen sich von innen auf und werden in der Spätphase von Barbaren zerstört und übernommen. Die Konfrontation Putins durch die Biden-Junta, das Gebiet im Schlepptau, ist kein Ausdruck von Stärke oder moralischer Überlegenheit. Sondern hat ihre einzige Ursache in der Vertuschung der astronomischen Korruption, mit der sich Obama, H. Clinton & die Biden-Crime-Family in der Ukraine und Russland bereichert haben.

Angelika Meier / 08.06.2022

“Putin agiert wie Hitler”. “Erdogan agiert wie Putin”. Wann kommt: “Hitler war so schlimm wie Putin”? Jeder versucht seinen “Gegner” und “Feind” maximal schlimm darzustellen. Und zur Klarstellung: JEDER (auch Autoren der Achse), der solche Vergleiche (ganz besonders Nazivergleiche) bringt, unterstützt das und darf sich dann nicht beschweren, wenn andere es genauso machen.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Stefan Frank / 16.04.2024 / 16:00 / 18

Israelische Ex-Geisel am Flughafen von Amsterdam schikaniert

Nicht zum ersten Mal wurden auf dem Amsterdamer Flughafen Menschen mit israelischer Staatsbürgerschaft drangsaliert. Diesmal traf es zwei Frauen, die in ihrer Not den israelischen…/ mehr

Stefan Frank / 08.04.2024 / 16:00 / 16

Hamas-Terror: Die Irrtümer der Muriel A.

Die Auffassung der deutschen Politologin, den Hamas-Terror gegen israelische Soldaten für rechtlich erlaubt zu halten, widerspricht laut Juristen den Positionen der Bundesregierung und der Europäischen…/ mehr

Stefan Frank / 05.04.2024 / 16:00 / 14

Polizei-Schikanen gegen Hamas-Überlebende

Auf einem Flughafen in Großbritannien waren Überlebende des Hamas-Massakers stundenlangen Schikanen durch Polizeibeamte ausgesetzt. Das scheint kein Einzelfall zu sein. Zwei israelische Überlebende des Massakers beim…/ mehr

Stefan Frank / 16.03.2024 / 12:00 / 9

Paris ist kein sicherer Ort mehr für Juden

Der kürzlich verübte Überfall auf einen orthodoxen Juden in Paris ist nur einer von vielen antisemitischen Gewalttaten, die sich seit dem Hamas-Angriff und dem darauffolgenden…/ mehr

Stefan Frank / 14.03.2024 / 12:00 / 4

Texas: Der Kampf um die offene Grenze (2)

Wenn man wissen möchte, welche Probleme die illegale Einwanderung über die Grenze zu Mexiko in Texas verursacht, muss man mit den Leuten vor Ort sprechen.…/ mehr

Stefan Frank / 13.03.2024 / 06:00 / 16

Texas: Der Kampf um die offene Grenze (1)

Der Bundesstaat Texas und die Bundesregierung in Washington streiten darüber, welche Kompetenzen Texas hat, um die illegale Einwanderung über die Grenze zu Mexiko – und…/ mehr

Stefan Frank / 03.03.2024 / 16:00 / 5

Israelboykott-Kampagne BDS: Jüdische Künstler im Fadenkreuz

Der Sänger Matisyahu ist wieder einmal unter Beschuss der antisemitischen BDS-Bewegung geraten. Und auch Amy Winehouse wurde posthum zum Opfer der Palästina-Solidarität. Der bekannte, jüdisch-amerikanische…/ mehr

Stefan Frank / 01.03.2024 / 14:00 / 6

Schon wieder judenfeindlicher Vorfall in Harvard

Mit Harvard erweist sich spätestens seit dem Hamas-Überfall auf Israel ausgerechnet eine der renommiertesten Hochschulen Amerikas als Brutstätte des Antisemitismus, der auch vom Lehrpersonal mitgetragen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com