Fred Viebahn / 27.06.2009 / 11:19 / 0 / Seite ausdrucken

Zweite Klasse bei der Lufthansa

Da ich vor ein paar Monaten mehrere Achse-Leser mit einem Artikel über Fliegereikomfort ärgerte und andere hinwieder erfreute, möchte ich heute die auch bei einigen Achgut-Kollegen immer flügger werdende Tradition der Reiseschreiberei mit meinen neuesten Erfahrungen fortsetzen. Ich hatte nämlich Gelegenheit, die aufgemotzte transatlantische Business Class bei der British Airways (Mitte Mai von Washington nach London) und bei der Lufthansa (gestern von Washington nach Frankfurt) zu vergleichen—mit gemischtem Ergebnis, obwohl es sich beim Flieger ums gleiche Grundmodell, die Boeing 747, handelte:

Der erste Eindruck ist oft entscheidend. Das fängt beim Fliegen in der First wie der Business Class mit den jeweiligen speziellen Aufenthaltsräumen, den “Lounges”, an. Während sich die der früheren Holzklasse bei der Bahn vergleichbaren Coach-Passagiere in lauten, überfüllten Massenquartieren an den einzelnen Flugsteigen auf unbequemen Plastiksitzen lümmeln müssen, betreten die besseren Herrschaften der Ersten (“First”) und Zweiten (“Business”) Klasse die Huschhusch-Atmosphäre bequemer Sessel, freien Internets (mit Ausnahmen, wie die Lufthansa mich gestern in der überfüllten Frankfurter Business Class Lounge eines schlechteren belehrte) und kostenloser Speisen und Getränke. Vorweg, bevor ich den Blaugelben in dieser Kategorie eins auswische: Das Frankfurter First Class Terminal des an der Börse gehandelten deutschen Nationalguts ist wirklich das beste Wolkenkuckucksheim auf Erden, da verstummt sogar meine Kritikasterei in wollüstiger Andacht. Bei der Business Class kommen die Deutschen jedoch mit den Engländern schon in Washington nicht mit. Während British Airways dort mit großzügigen Räumlichkeiten, einem ausgezeichneten Buffet und einer Auswahl an Getränken aufwartet, derer sich die meisten First Class-Lounges nicht schämen müßten, geht es bei der Lufthansa eher im gehobenen Wartesaalstil zu, also alles ein bißchen billiger und beschränkter. Vielleicht liegt’s ja an den Passagieren: bei LH überwiegend Deutsche, die bei Käsehäppchen im Thekenstil an ihrem Freibier nuckeln, bei der BA eine viel internationalere Klientel, die sich an großem Getränkesortiment und breiter Palette kalter und warmer Speisen delektiert und dabei die Wahl zwischen freundlicher Bedienung und self service hat. Dazu kommt bei der Lufthansa, daß sich First und Business Class die Rezeption teilen, wo die Passagiere dann geteilt werden: Die Erste Klasse nach rechts ins Töpfchen, die Zweite (pardon: Business) nach links ins Kröpfchen.

Interessanterweise betraf der einzige Bereich, bei dem die Deutschen den Briten eine Nasenlänge voraus waren, das Essen, Trinken und die Bedienung an Bord: Feinste Küche, guter Sekt und hervorragende Weine bei der Lufthansa (es schmeckte mir genauso gut wie voriges Jahr im First Class-Oberdeck des gleichen Jumbo auf derselben Strecke), gute Küche bei der Briitish Airways (man kann nicht meckern, wird aber auch nicht gerade zu Lobeshymnen inspiriert). Wichtiger ist jedoch bei einem Achtstundenübernachtflug der Schlafkomfort, und in der Hinsicht ist der BA etwas Originelles, wenn auch vielleicht für manche Gewöhnungsbedürftiges eingefallen: Pods im Richtungswechsel, bei denen im Gegensatz zu den Pennsuiten der First Class Platz eingespart wird, indem z.B.der Passagier am Fenster (das war ich) mit dem Rücken zur Flugrichtung sitzt und die Nachbarin (meine Frau) wie üblich in Flugrichtung, man sich also, wenn man Lust hat, geradewegs tief in die Augen schauen kann… Zu meiner Überraschung machte mir das Rückwärtsfliegen weder bei Start noch Landung etwas aus. Und schließlich, wenn man des Indieaugenblickens müde wird und einem auch die Video- und Musik- und Spieleauswahl des Privatbildschirms auf den Wecker geht, können geschamige Schläfer gar eine Milchglastrennwand zur Nebenperson hochfahren, bevor sie ihren Sessel mit ein paar Knopfdrückereien in eine auch horizontal flache Liege verwandeln und die Wimpern zum Schönheitsschlaf senken. 

Die deutschen Sessel weisen dagegen, wie das so Tradition ist, alle in die “richtige” Richtung. Auch sie lassen sich flach schalten—oder sagen wir mal, so gut wie flach; ein bißchen wellt es sich doch noch unter dem Körper, und vor allem geht’s auch bei der plattesten Einstellung immer noch in Richtung Füße ein wenig bergab. Natürlich viel viel besser als die Steilsitzerei in Coach, was man bei dem vergleichsweise mehrfachen Flugpreis wohl verlangen kann, aber nicht ideal. Bis vor kurzem hätte man argumentieren können, daß die ideale Liegeposition halt den Firstklässlern vorbehalten ist, weil die nochmal ein Mehrfaches vom Businessticket blechen—aber nun hat British Airways bewiesen, daß man auch in der “Zweiten” Klasse total flachliegen kann. Bei denen gibt’s inzwischen in der Ersten übrigens “Schlafsuiten”; fehlen nur noch Privatklo und Bad.

Mein Fazit: Schöner Punktsieg der Briten. Auch wenn man nicht First Class fliegt, will man sich nicht zweitklassig fühlen. Die BA Lounge in Washington schafft das spielend, während mich der LH-Wartesaal nicht gerade in nobelste Laune versetzte. Und auch beim Flugkomfort verführen die horizontal einstellbaren Liegebetten nach London mehr zur Schlafruhe als die angeschrägten Flachsessel nach Frankfurt. (Beim Unterhaltungsprogrammm tun sich die beiden Fluggesellschaften nix: Das Unterhaltungsangebot bei der LH ist ebenso reichhaltig wie bei den Briten—man könnte sogar sagen reichhaltiger, denn es gibt deutsche Filme—ich zog mir “Hilde” rein, das Bio-Pic über die Knef und ihren “geschenkten Gaul”, bevor es mir nicht gelang, richtig einzuschlafen).

Ja, der Viebahn, hör ich jetzt schon mehr oder minder klammheimliche Motzerei, nun traktiert er uns erneut mit seinem Luxusleben—worauf ich nur mit trotziger Gelassenheit erwidern kann: I feel your pain; auch ich war einst zum Herdenviechtum gezwungen, und bin es gelegentlich weiterhin. Hier noch eine abschließende Drohung an die Koalition schlichter Neider und aufgebrachter Überdenker meiner oberflächlichen Detailkritik beim verinnerlichten Kapitalismusgenuß, und gleichzeitig ein Versprechen für meine Mitstreiter bei der Lebensqualitätsnörgelei (Motto: Ich leb nur einmal, und wenn ich mich ärgern will, kann ich das billiger haben): Demnächst folgt eine Revue vergleichender Reminiszensen an Luxushotels. Bis dahin halte ich unsere derzeitige Absteige in Berlin (5 Sterne) streng geheim; wer weiß, was es hier in den nächsten Tagen noch an Überraschungen gibt—wobei ich, ewiger Optimist, nie die Hoffnung aufgebe, daß sie alle angenehm sein mögen.

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