Zweifel an Emmanuel Macron

Emmanuel Macron ist der Auslöser der gegenwärtigen französischen Instabilität. Die Zweifel der Franzosen an der Legitimität seiner Präsidentschaft wachsen.

Seit dem Sturz der Regierung Pompidou 1962 hat es so etwas in Frankreich nicht mehr gegeben. Eine Parlamentsmehrheit spricht der Regierung das Misstrauen aus und zwingt den erst seit knapp drei Monaten im Amt befindlichen Premierminister Barnier dazu, dem Staatspräsidenten seinen Rücktritt einzureichen. Dies ist für die Opposition der extrem Linken und der extrem Rechten im französischen Parlament ein taktischer Triumph. Indessen müssen sie ihren Wählern erklären, warum sie den Regierungschef daran hindern wollten, Frankreich das zu geben, was ein Land dieser Größe braucht: einen Haushalt. Nun muss Frankreich in den kommenden Monaten ohne Haushalt auskommen und sich mit Notverordnungen durchhangeln. Die Märkte quittieren diese Instabilität bereits mit erhöhten Zinsen. Frankreich muss mittlerweile mehr Zinsen für seine Staatsanleihen zahlen als Griechenland. Das empfinden die Franzosen als Demütigung. Und für die in Frankreich weit verbreiteten Kritiker der Finanzmärkte ist dies einmal mehr der Beweis dafür, dass man den Märkten nicht trauen kann.

Wie soll es nun weitergehen? Die Legalitätsreserven der V. Republik sind indes nicht aufgebraucht. Zum einen ist Barnier zunächst mit seiner Minderheitsregierung geschäftsführend im Amt geblieben. Zum anderen hätte sich der Staatspräsident Zeit lassen können, um einen neuen Premierminister mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Indes will er exekutive Handlungsfähigkeit demonstrieren und versprach die Ernennung eines Barnier-Nachfolgers innerhalb von 48 Stunden. Diese Versprechen konnte Macron nicht einhalten. Doch bleibt auch die eilige, wenngleich leicht verspätete Ernennung von Francois Bayrou – mit 73 Jahren so alt wie Barnier und im linken wie rechten Lager gleichermaßen unbeliebt – risikoreich.

Wird Bayrou mit seiner Mini-Partei Modem überhaupt eine funktionsfähige Regierungsmannschaft zusammenstellen können? Wird er ein solides Haushaltsgesetz durch das Parlament bekommen? Die bisherigen parlamentarischen Machthaber am linken und rechten Rand der Nationalversammlung können ihn zappeln lassen, um dann zu einem ihnen genehmen Zeitpunkt ein Mißtrauensvotum auszusprechen. Der hoffnungsfrohe, ehrgeizige Bayrou – nun endlich Premierminister – könnte also wie Barnier enden, zumal seine Ernennung die Weigerung des Staatspräsidenten belegt, einen Sozialisten als Premierminister zu ernennen, um die Linke zu spalten. 

Eine anhaltende Krise der Regierungsgewalt wird aber dazu führen, dass die Institutionen der V. Republik Schaden nehmen und die präsidiale Autorität weiter verfällt. Schon jetzt sind diese „Weimarer Verhältnisse“ mit einer Koalition von Links- und Rechtsradikalen, die sich in nichts einig sind, außer in dem Willen, die Regierung zu stürzen, ein gefährliches Symptom.

Legitimitätszweifel könnten Legalitätsreserven überholen

An der legalen Autorität des Staatspräsidenten gibt es indes nichts zu rütteln. Seine Diskurse im Fernsehen, so die Ansprache am 5.12.2024, sind zwar nicht länger geeignet, die Franzosen zu beruhigen. Indes könnte Macron sich auf die Notstandsbefugnisse des Art. 16 der Verfassung berufen, die im Falle von Gefahren für die innere und äußere Sicherheit Frankreichs dem Präsidenten weitgehende gesetzgeberische Vollmachten verleihen. Zwar ist Frankreich von einer solchen Situation weit entfernt. Sie wurde auch von de Gaulle nur einmal – als Antwort auf den Putsch der Generäle in Algier – genutzt. Doch wirken diese Ausnahmebefugnisse stets auf die Normallage zurück. (1)

Frankreich befindet sich zudem in einer hausgemachten Finanzkrise. Die jahrelange ungestrafte Überschreitung der Defizitgrenzen durch den von Macron berufenen Finanzminister Bruno Le Maire – der sich in den Werken von Marcel Proust besser auskannte als bei den öffentlichen Finanzen – hat Frankreich in eine Situation gebracht, die zwar nicht ausweglos ist, aber nunmehr Austerität erfordert. Der Haushaltsentwurf von Barnier war dazu ein erster Schritt. Die Verweigerungshaltung der extremistischen Parteien zeigt, dass sich extrem Linke und Rechte nicht für das Land, sondern für die Macht ihrer Verbände interessieren. Wird es mit Bayrou anders werden?

Auf ewig kann Macron mit der Legalitätsreserve der Französischen Republik, insbesondere mit seinem Verordnungsrecht (le droit réglementaire), dessen Praxis durch Charles de Gaulle von Francois Mitterand in seinem Pamphlet „Der permanente Staatsstreich“ scharf kritisiert wurde, nicht auskommen. Ob diese Legalitätsreserven ausreichen werden, um das rettende Ufer des nächsten Sommers zu erreichen, weil erst dann wieder Parlamentswahlen stattfinden können (vorher kann der Staatspräsident die Nationalversammlung nicht auflösen), ist höchst zweifelhaft. Denn mittlerweile hat Macron nicht nur an Beliebtheit verloren. Der Schwung des Aufbruchs ist längst weg und zu Beginn zweiten Amtszeit haben sich die fundamentalen Probleme Frankreichs verschärft. Macron, mit 39 Jahren ins Amt gekommen und Auslöser der gegenwärtigen Instabilität, wird von immer weniger Franzosen als ihr legitimer Präsident angesehen. Diese Legitimitätszweifel nagen nicht nur an seiner Person, sondern auch an seiner Entourage. Macron hat eine kleine Truppe von Mitarbeitern im Elysée Palast um sich versammelt, die von der Bevölkerung genauso verachtet werden wie der Präsident.  Sein arroganter Auftritt, seine selbstherrlichen Inszenierungen und sein Unwille zur Demut gehen selbst den an monarchische Traditionen gewöhnten Franzosen auf den Wecker.

Die Legitimitätszweifel könnten also die Legalitätsreserven überholen. Dann bliebe Macron nur noch eins: Rücktritt. Die Tatsache, dass Links- und Rechtsextreme diesen Rücktritt seit Langem fordern, nimmt ihm nicht die staatsrechtliche Logik. Macron ist für die gegenwärtige Situation verantwortlich. Er hat das Parlament aufgelöst und damit unüberschaubare Mehrheitsverhältnisse geschaffen. Es ist Zeit, für einen Neuanfang in Frankreich Dazu müsste aber Macron die Konsequenzen aus seinen Fehlleistungen ziehen. Denn für die Franzosen ist dieser Präsident nicht länger der legitime Staatschef der Französischen Republik.

(1) Kerber, Der allgegenwärtige Ausnahmezustand, in: Europa ohne Frankreich? Ed. Europolis S.155 ff.

Dr. jur. Markus C. Kerbergeb. 1956, ist Jurist und Professor für Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin, E.N.A. 1985 (Diderot), Gastprofessor an der Warsaw School of Economics und der Université Panthéon-Assas. Er ist Autor der Schrift „Führung und Verantwortung: Das Strategiedefizit Deutschlands und seine Überwindung“, die hier im Achgut-Shop erworben werden kann.

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Foto: Office of the Vice President of the United States - https://twitter.com/VP/status/1598135808871071747, Gemeinfrei, via Wikimedia Commons

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Leserpost

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W. Renner / 18.12.2024

Die zu klein geratenen Prinzen von Grossalgerien haben es wahrlich nicht einfach. Der erste hat noch zwei Kreuzfahrten nach Elba und St. Helena gewonnen. Der zweite macht seinen Weg grand blamable in Fussfesseln. Mal schauen wohin es den dritten treibt. Kreuzfahrt in Handschellen oder Präsidenten Suite im Invalidendom?

Barbara Strauch / 18.12.2024

Frankreich hat ein STRUKTURELLES Defizit im Haushalt, d.h. seine gesetzlichen Verpflichtungen sind höher als die einkommenden Steuern. Keine Regierung wird das beheben können, denn wenn sie es versucht (wie Macron mit den Renten), wird sie von den Franzosen weggekegelt.  Die EU-Gelder sollten hier aushelfen, aber nun bricht der Goldesel Deutschland weg. Viel Vergnügen, liebe Franzosen!

Mathias Hartmann / 18.12.2024

Macron ist nur eine Deep-State-Marionette, die mittels Astroturfing als Staatschef installiert wurde. Seine Partei hat sich nicht selbst durch Zulauf interessierter Leute gebildet, sondern wurde in kurzer Zeit notdürftig aufgestellt. Daher kommen auch die ständigen Personalprobleme bei Postenbesetzungen. Auch wenn die Situation mit den Altparteien verfahren ist, sind solche Machenschaften kein Ausweg.

Werner Brunner / 18.12.2024

Mir kommt es so vor , als würden sich langsam , aber sicher , sämtliche Scheindemokratien in Luft auflösen .... Schuld sind die bösen , schlimmen Fakten ! Auf Dauer hilft auch die weitverbreitete Inkompetenz in den Parlamenten nicht weiter . Wie meine Oma immer zu solchen Zuständen zu sagen pflegte : ” Es ist halt Scheiße , wenn man blöd ist ! “ Die Frage aller Fragen ist : Was kann man dagegen tun ?

Rainer Niersberger / 18.12.2024

Die Frage ist, ob man den Zweifel, aehnlich wie in Sch’land, nicht deutlich erweitern muss, weit ueber Macron hinaus. Als nicht gerade intimer, sondern eher oberflächlicher oder schlussfolgender Kenner der Franzosen scheint mir Macron, nicht nur in Frankreich, eher ein Symptom als die Ursache zu sein. Die Ursache ist er natuerlich fuer das, was er da konkret veranstaltet. Frankreich muss man sich , in diesem Fall die EU, tatsaechlich “leisten” koennen, so wie die Gruenen in Sch’land.  Andere Kostgaenger nicht zu vergessen. Da kann es schon mal knapp werden, aber natuerlich darf man als Buerger der Grand Nation erwarten, dass man alimentiert wird.  Eine Art supranationale Spaetaristokratie, die sich zum parasitaeren Neofeudalismus im Land selbst gesellt und irgendwann an Grenzen stoesst. Typen wie Macron, Trudeau oder hier Habeck und Wurst, um nur einige wenige zu nennen, sind keine Aliens, sondern Erzeugnisse dekadenter, westlicher Gesellschaften. Dummerweise beisst die Natter gerne mal ihren Ernaehrer.

JMOENNIG / 18.12.2024

Ist Macron nicht ein Jünger desWEF? Ich denke, daß nichts aus Versehen passiert. Das Vertrauen in irgendwelche Politiker ist nicht mehr vorhanden. Man wittert Überfall Schachzüge. Vorgezogene Wahlen sind zZ in Mode.Warum? In Canada scheint es auch zu brodeln dort sind auch Neuwahlen im Gespräch. Diese Gleichschaltung macht skeptisch.

A. Ostrovsky / 18.12.2024

Wenn man den trotzkistischen Gedanken von der permanenten Revolution mit der Idee verbindet, dass Revolutionen nur von oben kommen können, ist man schon beim permanenten Staatsstreich. Das deckt sich weitgehend mit dem langen Marsch durch die Institutionen. Und mit dem Sieg des Propheten. Und und und. Man könnte das auch als “Zwei Quellen und zwei Bestandteile des Merkelismus” bezeichnen. Ich glaube, man muss die Rolle Trotzkis in der Geschichte Europas neu durchdenken. Als Stalin Trotzki in Mexiko erschlagen ließ, hatte der Sowjetkommunismus verloren. Aber nicht nur der :-)  Nur der Begriff Merkelismus ist falsch, weil ganz andere Leute dahinter stecken, wo man es gar nicht glauben würde. Einfach weil die noch hinter ganz anderen Sachen stecken, was scheinbar gar nicht dazu passt. Es geht um Power. Genauer: Machtgefälle. Die Welt, die von Gott symmetrisch geschaffen wurde, extrem unsymmetrisch machen, darum geht es. Es sind die Widersacher. Und wer Augen und Ohren und einen Verstand hat, erkennt sie überall. ÜBERALL! Auch im eigenen Pelz. Dann hat das woke “Sag mir wo du stehst” keinen Sinn. Es ist egal. Wir müssen den wahren Konflikt erkennen.

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