Thilo Sarrazin / 20.09.2017 / 15:32 / Foto: Joseph M. Buliavac / 22 / Seite ausdrucken

Zweierlei Pfeifen

In den letzten Wochen des Wahlkampfs gab es in den Medien und den etablierten Parteien mehr und mehr besorgte Stimmen zu den häufigen Pfeifkonzerten und anderen Protesten bei Wahlkampfveranstaltungen von Angela Merkel. Dies gilt als Zeichen der Verrohung und eines wachsenden Mangels an demokratischer Gesinnung. Marietta Slomka befragte dazu im ZDF den Bielefelder Radikalismusforscher Prof. Zick, der wunschgemäß das  Phänomen zu einem vorwiegend rechten Problem erklärte. Bundesjustizminister Maas stellte gar einen  Zusammenhang mit einem Vordringen des Rechtsradikalismus her.

Nur in Nebensätzen wurde erwähnt, dass die AfD im Wahlkampf fortlaufend massive Gewalttaten gegen ihre Geschäftsstellen erfährt und die meisten ihrer Plakate gewaltsam entfernt werden, von den Ereignissen am Rand ihrer Wahlkampfveranstaltungen ganz zu schweigen.Tatsächlich ist es so, dass die öffentliche Gewalt gegen Andersdenkende in Nachkriegsdeutschland  ein Ergebnis der 68er-Bewegung ist und sich insbesondere in der linksautonomen Szene verselbständigt hat, begleitet von augenzwinkerndem Verständnis und klammheimlicher Schadenfreude im linksliberalen Milieu.

Die Empörung von rechts blieb im gegenwärtigen Wahlkampf und in der gesamten Pegida-Bewegung weit unterhalb dieser Schwelle. Tatsächlich muss die Dresdner Polizei seit 2014 weit überwiegend Pegida-Demonstranten vor Linksautonomen beschützen und nicht umgekehrt. Angela Merkel stellte bereits 2014 in ihrer Weihnachtsansprache Pegida-Demonstranten pauschal als Feinde der Demokratie dar. Und sie stand schon 2010 an der Spitze der medialen Diffamierungskampagne gegen mein Buch Deutschland schafft sich ab, die auch mich als Person betraf.

Wer jammert, macht sich schwach

Seit sieben Jahren habe ich bei meinen öffentlichen Auftritten als Autor Erlebnisse, die alle Erfahrungen, welche Angela Merkel gegenwärtig macht, weit in den Schatten stellen. Ich habe darüber nie öffentlich geklagt, denn wer jammert, macht sich schwach und bestätigt seine Feinde in ihrem Tun. Aber bei dieser Gelegenheit sei es doch einmal gesagt: Von der Eifel bis Wismar habe ich kleine Buchhandlungen erlebt, die durch ganze Hundertschaften von Polizisten geschützt werden mussten, weil sie mich eingeladen hatten.

Vor wenigen Monaten wurde in Düsseldorf eine kleine Weinhandlung vollständig "entglast", als ihre Einladung an  mich bekannt wurde. Meine beiden Lesungen dort mussten durch massiven Polizeieinsatz geschützt werden. An der TU Berlin sagte der Präsident Jörg Steinbach einen Auftritt von mir in einer Vorlesung ab, weil er nach Drohungen  linker Studenten um die öffentliche Ordnung fürchtete. Als ich dies in einem Schreiben an ihn als Eingriff in die Meinungsfreiheit kritisierte, antwortete er, ich sollte nicht so empfindlich sein.

Generell wurden Veranstaltungsorte vor allem in Universitätsstädten schon im Vorfeld massiv beschmiert, wenn sie mich eingeladen hatten, Veranstalter wurden und werden eingeschüchtert. Im Berliner Ensemble sprengten die Linksautonomen 2014 ausgerechnet eine Veranstaltung über mein Buch Der Neue Tugendterror. Die Theaterleitung weigerte sich, als Hausherr die Polizei zur rufen, das widersprach ihrem Selbstverständnis.

Eine besondere Empörung in den Medien über den Umgang mit meinen öffentlichen Auftritten habe ich nie verspürt. Als eine Gruppe linksautonomer Schwuler 2014 die gesamte Fassade meines Wohnhauses lila besprüht hatte, titelte der Berliner Tagesspiegel lapidar "Rosa Kleid für Sarrazin Haus". Kein Wort der Kritik oder Distanzierung. Aber jetzt, wenn Pfeifkonzerte und Sprechchöre einen unschönen Hintergrund zu den Wahlkampfauftritten der Bundeskanzlerin bilden, wittert man gleich eine Gefahr für die Demokratie.

Hier wird offenbar mit zweierlei Maß gemessen.

Foto: Joseph M. Buliavac U.S. Navy via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Patrick Kaufhold / 20.09.2017

Bleibt zu hoffen, dass es nicht bei den Pfeifkonzerten bleibt sondern sich auch in Wahlergebnissen niederschlägt. Eine andere Sprache als drohenden Machtverlust verstehen Berufspolitiker leider nicht.

F.-W. Giroud / 20.09.2017

Sehr geehrter Herr Sarrazin, Sie sprechen mir aus dem Herzen. Es ist eine unglaubliche Verrohung in der politischen Auseinandersetzung zu konstatieren , die mit den 68er begann und seit einigen Jahren von einem traurigen “Höhepunkt” zum nächsten eilt. Es gibt Menschen, die sich an die Zeit NACH 1933 erinnert fühlen ( ja, sie sind noch nicht alle tot!! ). Ich kenne Leute, die bereits auf gepackten Koffern sitzen!

Torsten-Egbert Czarnetzki / 20.09.2017

Genau dass ist es, was mir, im letzten Jahrzehnt stetig schneller ansteigend, grundlegend zuwider ist. Es werden keine Dinge mehr akzeptiert, die der vorgegebenen Doktrin nicht entsprechen, ob richtig oder falsch, aber zumindest diskussionswürdig, es spielt einfach,(von der “falschen” Seite, versteht sich),  keine Rolle mehr . Ich bewundere ihren Umgang mit den persönlichen Anfeindungen gegen sie sehr; Es muss schon manchmal hart sein, zu erkennen, das Wahrheit und Objektivität gerade nicht so gefragt sind. In diesem Sinne freue ich mich auf jede weiter Veröffentlichung von ihnen und verbleibe mit freundlichen Grüssen. Torsten-Egbert Czarnetzki

Norbert Chales de Beaulieu / 20.09.2017

Sehr geehrter Herr Sarrazin, meinen Respekt für Ihr Wirken und meine Anerkennung für Ihre Analysen und Beiträge! Ich glaube nicht, dass Ihr Schaffen vergebens ist und bitte Sie, trotz aller Anfeindungen auf Ihrem Weg unbeirrbar weiter zu gehen! Mit freundlichen Grüßen Norbert Chales de Beaulieu Berlin

Thomas Nuszkowski / 20.09.2017

Hier wird nicht nur mit zweierlei Maß gemessen, hier sind ausgemachte Charakterkrüppel am Werk.

Heinrich Niklaus / 20.09.2017

Dieses „zweierlei Maß“, im Wesentlich durch links-grüne Medien exekutiert, erfüllt mich inzwischen mit kaltem Zorn. Kritik an Frau Merkel wird als Hass umgedeutet. Damit legen die Mainstream-Medien um die Kanzlerin einen Schutzwall an, anstatt ihre Kontrollaufgabe gegenüber den „Mächtigen“ wahrzunehmen.

R. pflanz / 20.09.2017

Ich war zufällig in Düsseldorf am Fürstenplatz am Tag ihrer Lesung zur Mittagszeit. , Im Feinstil finden übigens Lesungen unterschiedlichster Coleur statt. Ich zählte mehrere Manschaftswagen der Polizei - und fragte dann nach warum diese massive Präsenz notwendig sei: Es war ihre Lesung. Irgendein linksliberal-autonomer Verein wie Düsseldorf stellt sich quer hatte zum “Torten backen” aufgerufen - ja Fenster hatte das Feinstil schon keine mehr. Irgendwo trommelte man sich warm - wohl um die böse Stimme Sarrazins im Trommelwirbel untergehen zu lassen. Das mediale Echo danach war äußerst schwach - zuwenige haben in D verstanden dass Demokratie vom Austausch und Respekt unterschiedliche Positionen lebt - denn nach 2 Weltkriegen weiss der linke Aufgeklärte Tugendbürger was gut und recht ist und dafür kann er sich auch mal eben über Gesetze hinweg setzen. Ich dachte an die Weisheit eines Antifaschisten, sinngemäß:  “Wenn der Faschismus an die Tür klopft wird er sich als Antifaschismus vorstellen” und sicher ist dass “Düsseldorf stellt sich quer” und ähnlich motivierte linksliberal-autonomen Gruppen die Tür bereitwillig öffnen werden, weil sie nie verstanden haben wo von Demokratie essentiell lebt und wie sie funktioniert. Beste Grüße!

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