Von Frau Wang und ihrer Familie habe ich mich verabschiedet, diese
wunderbaren Leute haben mich noch mit Proviant fuer mindestens 1 Woche
Zugfahrt statt für nur anderthalb Tagen versorgt; kiloweise Orangen,
geroestete Kastanien, Tofu. Ich stopfe meine Sachen und mich selbst in einen Zug
voller heimreisender Studenten, das Bett ist wieder zu kurz, zu schmal
und da es ein mittleres ist, kann ich auch nicht aufrecht sitzen. Macht
aber nicht viel, wesentlich unangenehmer ist da schon, dass die
Kohlenheizung am naechsten Vormittag eine Zeit lang ausfaellt. Bei minus 10
Grad Aussentemperatur wird es auch im Zug nach kurzer Zeit kalt
genug, dass ich meinen Atem sehen kann. Die Studis in meinem Abteil
laden mich ein, mit ihnen zusammen auf den unteren zwei Betten Platz zu
nehmen, wir spielen Karten, zugedeckt und eingemummelt wie nur moeglich.
Irgendwann funkioniert die Heizung wieder, jetzt stoesst sie nur bei
jedem Kohlen nachlegen den Rauch auch in den Waggon, ich rieche wie ein
Raeucherschinken.
Aber irgendwann ist auch die zweite Nacht im Zug vorbei, und ich werde
am HBF Ueruemqi, Hauptstadt der Autonomen Region Xinjiang, von einer
anderen Studentin, Guelmira, und dem Vater einer zweiten Studentin,
Sainura, abgeholt. Ihre Familie wird mich fuers erste einquartieren.
Ich komme in meinem neuen Heim an, die Tuer geht auf und ich fuehl mich
erstmal wie im Maerchen. So eine Mischung aus 1001 Nacht und
Schloss-Neuschwanstein-Kitsch, aber liebevoll gemuetlich. Und die Mama der
Familie umarmt und kuesst mich zur Begruessung und hat schon Fruehstueck
vorbereitet - Fladenbrot, fuenf verschiedene Sorten Gebaeck, selbstgemachte
Marmeladen, Honig, mit Fleisch gefuelltes Broetchen, Aepfel, Orangen,
Birnen, Datteln, Rosinen, Mandeln, Walnuesse, Milchtee und schwarzer
Tee. Das Fruehstueck gleitet beinah nahtlos ueber ins Mittagessen: Polo,
ein uigurisches Nationalgericht aus Reis mit Moehren, Zwiebeln und viel
Lammfleisch, dazu wieder Unmengen Tee.
Wir unterhalten uns, d.h. Guelmira dolmetscht zwischen deutsch und
uigurisch, erstmal ueber Familienleben in Deutschland und bei den Uiguren.
Ich muss den Familienvater fragen, ob es fuer sie alle denn kein
Problem darstellt, wenn ich als Nichtmuslima bei ihnen wohne. Und er
antwortet, ich sei eine gute Freundin seiner Tochter, dass sei so gut wie seine
eigene, und so habe er nun also eine uigurische und eine deutsche
Tochter. Er strahlt mich an, ich strahle zurueck und dann wird gegessen.