Das Bundesamt für Justiz hat ein Bußgeldverfahren gegen Twitter eingeleitet, weil Twitter von Nutzern gemeldete Inhalte nicht löscht. Einige derer, die ganz besonders eifrig gemeldet haben, verbreiten allerdings selbst gern antisemitische Inhalte.
Justizminister Marco Buschmann berichtete am 4. April 2023, dass das als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich seines Ministeriums liegende Bundesamt für Justiz gegen die Social-Media-Plattform Twitter des Multi-Milliardärs Elon Musk aufgrund eines Verstoßes „gegen die gesetzliche Pflicht zum Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte“ ein Bußgeldverfahren nach dem NetzDG eingeleitet habe.
Ein Bericht bei t-online machte öffentlich, dass die beiden Nutzer „sabi_ri“ und „bastelbro1“ über „Monate hinweg […] Inhalte an Twitter gemeldet [haben], die nach deutschem Recht nicht auf der Plattform veröffentlicht werden dürfen: Beleidigungen, Drohungen, Verleumdungen, falsche Tatsachenbehauptungen und schließlich Volksverhetzung. So entstand eine Beweissammlung, die ein Bußgeldverfahren gegen Twitter erzwang.“
Bei den Haupthinweisgebern „sabi_ri“ und „bastelbro1“ handelt es sich allerdings nicht um zwei harmlose Konten des sozialen Mediums. Zählen sie sich doch selbst zur sogenannten „AchBesserCrew“, bei der es gerichtsfest ist zu sagen, zu ihr „gehören Antisemiten, deren gegen ‚Die Achse des Guten‘ gerichtete Boykottaufrufe […] antisemitisch motiviert“ sind.
„In welchem KZ war Broder doch gleich noch“
Beide Accounts gehen nicht nur federführend in den Boykottaufrufen gegen Achgut.com voran, sondern reproduzieren beziehungsweise verteidigen auf Twitter Antisemitismus, der unter anderem Henryk M. Broder auf widerwärtigste Weise herabwürdigt. So schrieb „sabi_ri“ beispielsweise am 18. Juli 2022, dass es sich bei Broder um einen „mit Antisemitismus kokettierenden Autor“ handle. Tags darauf sprach „sabi_ri“ von einem „mit Antisemitismus und Holocaust-Verharmlosung kokettierende[n], AFD-nahe[n] Broder“.
Dieser Vorwurf an Broder, dass er also „mit Antisemitismus und Holocaust-Verharmlosung kokettiere“, reproduziert einen Schuldabwehr-Antisemitismus, indem Broder als jüdischem Menschen einerseits die Verantwortung für die Verbreitung von Judenfeindlichkeit zugeschrieben wird und andererseits Broder als Kind von Holocaust-Überlebenden in einer Opfer-Täter-Umkehr attestiert wird, den Holocaust und die Erinnerung daran zu instrumentalisieren. Am 17. August 2022 steigerte „sabi_ri“ diese Etikettierung Broders noch und nannte diesen gar den „Meister des Antisemitismus-Kokettieren“.
In einem Tweet vom 16. August 2022 reproduziert „sabi_ri“ diese Schuldabwehr erneut, wenn es dort heißt: „In welchem KZ war Broder doch gleich noch, als im August 1946 geborener?“ Einen mit „Holocaust-Verharmlosung kokettierende[n]“ Broder zu konstruieren, indem man ihm „nachweist“, er sei erst nach dem Holocaust geboren, dabei indes zu verschweigen, dass Broders Eltern die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald überlebten, ist ein antisemitisches Meisterstück.
Doch nicht nur das. Überdies greift „sabi_ri“ auch auf israelbezogenen Antisemitismus zurück, wenn der Account beispielsweise am 14. Januar 2023 von „einer Form der Apartheid [Israels] gegenüber seinen arabischen Bürgern“ schwadroniert, die überdies „den Nährboden für die Hamas“ bereiten würde. Der Tweet sagt aus, dass Israel selbst Schuld am Vernichtungsantisemitismus der Hamas ist, wie es der österreichische Nahost-Thinktank Mena-Watch in einer Replik ebenfalls betont. Also ebenso eine Ausprägung eines Schuldabwehr-Antisemitismus, indem Israel nämlich selbst die Verantwortung für Judenhass zugeschrieben wird.
„Broder hätte einen super Job in Auschwitz bekommen“
Andernorts fabuliert „sabi_ri“ am 26. Januar 2023 von einer „radikal[]-zionistischen Expansion Israel[s]“ und dass deren „Kritiker“ als „Antisemiten“ geframt würden, um sie „so mundtot zu machen“, was aber „Israel und der jüdischen Sache ungemein“ schade. Womit Juden beziehungsweise diejenigen Nichtjuden, die sich der Delegetimierung Israels verwehren, wiederum dafür verantwortlich sind, dass dem Staat der Juden Schaden zugefügt wird. Also die Kämpfer gegen Israelhass für selbigen mit ihrem Einsatz die Verantwortung trügen. Was so auch einen Rückgriff auf Stereotype des sekundären Antisemitismus verbunden mit solchen des israelbezogenen Judenhasses darstellt.
Doch nicht nur „sabi_ri“, auch der Account „bastelbro1“ hat es in sich, da er sich nicht gegen eine Relativierung des Holocaust stellt, und dabei zwar nicht wie das Twitter-Konto „sabi_ri“ direkt sekundären Antisemitismus reproduziert, aber vielmehr eine Ausprägung dieses „Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz“ verteidigt.
Im Mittelpunkt steht dabei ein altbekannter Account, der regelmäßig widerwärtigen Judenhass verbreitet hatte. Es handelt sich um das mittlerweile gelöschte Konto „HenningBuerger“, das zeitweise auch unter dem Profilnamen „Greta Reset, @achgut_com's worst Nightmare“ auftrat. Achgut-Redakteur Felix Perrefort dokumentierte am 25. Oktober 2022 auf Twitter mittels Screenshots die zutiefst antisemitischen und Holocaust-relativierenden Aussagen des Kontos „HenningBuerger“, das schrieb, dass „Broder […] einen super Job in Auschwitz bekommen“ hätte und „kein Problem mit Vernichtungslagern“ hat, er „würde nur gern bestimmen[,] wer drin sitzt“.
Der Account „bastelbro1“ behauptete indes am selben Tag nach Perreforts erstem Hinweis auf diese Holocaust-Relativierung in einer selbsternannten „Beweissicherung“: „Falsche Behauptung dass Broder lt. eines #AchBesserCrew-Mitglieds gerne KZ errichten würde. Kein Beweis vorhanden.“ Trotz mehrfacher Hinweise von Felix Perrefort und anderen Nutzern verweigerte sich „bastelbro1“ dennoch jeder Richtigstellung seiner Listeneintrags.
„Ein Antisemit der ganz alten Schule“
Der Account „HenningBuerger“ ist allerdings kein Unbekannter, griff er vor seiner Löschung doch gerne nicht nur in Bezug auf Henryk M. Broder tief ins Repertoire antisemitischer Hetze. So warf „HenningBuerger“ am 30. Dezember 2021 dem Nahost-Thinktank Mena-Watch den Gottesmord vor, eine Reproduktion eines zentralen Stereotyps des christlichen Antijudaismus. Oder er zweifelt, wie am 19. Juli 2022, gleich die jüdische Existenz der deutsch-jüdischen Aktivistin Malca Goldstein-Wolf an. Wenig verwunderlich, dass Mena-Watch den Account „HenningBuerger“ einen „Antisemit[en] der ganz alten Schule“ tauft.
Obwohl der Antisemitismus des Kontos „HenningBuerger“ also bekannt ist, verteidigt „bastelbro1“ diesen. Mehr noch: Als Perrefort den antisemitischen Tweet mit dem Vorwurf des Gottesmords dokumentierte, bedachte „bastelbro1“ dies ebenfalls am 25. Oktober 2022 mit einer Beweissicherung, in der trotz eines offen vorliegenden Falls von christlichem Antijudaismus behauptet wird: „Unterstellung Judenhass und Antisemitismus bei der #AchBesserCrew“.
Obwohl das Verhältnis der Accounts „sabi_ri“ und „bastelbro1“ zum Antisemitismus also evident ist, bedankte sich Dr. Michael Blume, der umstrittene Antisemitismusbeauftragte von Baden-Württemberg, ausdrücklich in einem Tweet vom 13. April 2023 bei den „2 Aktiven der #achbesserCrew“ für ihre Dokumentation des „Zögern[s] des Rechtsstaates“. Bereits am 30. September 2022 hatte Dr. Blume darauf hingewiesen, dass mit „rechtsstaatl. Solidarität“ der „AchBesserCrew […] TwitterDE[utschland] doch noch zu einem sicheren Ort fairen Diskurses werden“ könnte.