Die sogenannten „Zwangsräumungen durch jüdische Siedlerorganisationen“ in Jerusalem (das Framing der Deutschen Welle ist mal wieder erste Sahne), die vorgeblich Auslöser der von der Hamas gesteuerten Ausschreitungen sein sollen, klingen für besorgte und indoktrinierte deutsche Ohren, als zöge man unschuldigen Bewohnern die Wohnung unter den Füßen weg. Das ist natürlich völliger Blödsinn. In Israel gibt es im Grunde drei Arten dieser Räumungen. Die erste und häufigste ist die, die zwar laut beklagt wird, aber nie stattfindet. Man findet allerorten palästinensische „Vertriebene“, die aber bruchlos zugeben, Häuser in Jerusalem, Jaffa und Akko zu besitzen. Die Anzahl der Häuser in Jerusalem, die seit 1948 tatsächlich geräumt wurden, ist geradezu lächerlich klein. Tuvia Tenenbom stieß bei den Recherchen für sein Buch „Allein unter Juden“ nur auf etwa ein Dutzend Fälle. Und ob diese Räumungen zu unrecht erfolgten, ist wohl eine Frage des Blickwinkels.
Die zweite Form ist eine, die in Deutschland fast unbekannt und einem gewissen arabischen Schlendrian bzw. dem Drang geschuldet sind, sich einen feuchten Kehricht um israelische Gesetze und Verordnungen zu scheren. Ich war 2019 durch Zufall in einem Viertel in Ost-Jerusalem unterwegs, dessen Straßen so eng und steil und dessen Kurven so unübersichtlich, unbeleuchtet und kreuzgefährlich waren, dass ich schon dachte, das Auto stehenlassen zu müssen, weil ich kaum wagte, weiterzufahren und auch nicht wenden konnte. Die Anspannung und das Gefühl, jeden Moment festsitzen zu können, geboten mir sogar, das Fotografieren lieber bleiben zu lassen – und das will schon etwas heißen. Die nette Vermieterin unserer Ferienwohnung erklärte mir später abwinkend die Zusammenhänge.
In vielen arabischen Vierteln Jerusalems wird gebaut, angebaut, abgerissen und erweitert, wie es gerade passt. Genehmigungen holt man sich nicht oder ignoriert die Ablehnungsbescheide. Statiker, Architekten und Stadtplaner sind unbekannt. Manchmal ist eine Straße im Weg, die dann kurzerhand verlegt oder einfach abgerissen wird. Die Autos quälen sich dann über buckelige, staubige Erde oder gleich über zurückgelassenen Bauschutt und Reste verbrannten Mülls. Die Behörden drohen und mahnen, es nützt nur nichts. Nach Jahren, manchmal auch erst nach Jahrzehnten der Taubheit gegenüber den israelischen Gesetzen und der Bürokratie sind die Umstände dann oftmals so schlimm, dass eingegriffen werden muss – nicht ohne dass sich vorher Gerichte ausgiebig damit geplagt und die Einsprüche von zahlreichen pro-palästinensischen NGOs und deren Anwälten abgearbeitet wurden. Spätestens wenn dann die Bagger anrücken, um eine Straße wieder passierbar zu machen und lebensgefährliche „Anbauten“ abzureißen, sind garantiert auch jede Menge Kameras, Presseleute und NGO-Aktivisten vor Ort, damit ja keine Palästinenserträne ungenutzt im Staub versickert.
Die deutsche Presse stimmt das übliche Zeter und Mordio an
Gerade haben wir es aber mit der dritten Art der „Zwangsräumungen“ zu tun und auch hier ist wieder deutsches Framing in der Berichterstattung am Werk. Man stelle sich vor: Die Welt funktioniert nicht überall so, wie Deutschland (noch) organisiert ist. Kein zentrales, allgültiges Kataster, das bei uns über Jahrhunderte zurückreicht. Stattdessen Ansprüche, Einflüsse und Rechtsquellen aus der Zeit des englischen Völkerbund-Mandats, des osmanischen Reiches, der jordanischen Besatzung und des israelischen Staates. Die fraglichen Häuser waren bis zur jordanischen Eroberung Jerusalems im Besitz jüdischer Familien, die Kaufverträge existieren und die Bestrebung, die von Jordanien kurzerhand enteigneten Häuser (das jüdische Viertel in der Altstadt von Jerusalem machte man kurzerhand gleich ganz platt) zurückzubekommen, liefen seit vielen Jahren vor vielen Gerichten mit vielen Einsprüchen. Doch letztinstanzlich wurde eben verfügt, dass die Rückgabe zu erfolgen hat. Das Angebot an die dort lebenden Araber, weiter dort zu wohnen aber fortan Miete zu zahlen, wurde abgelehnt. Stattdessen fliegen nun Steine, werden Juden aus Autos gezogen und fast gelyncht und schreit die deutsche Presse mal wieder Zeter und Mordio, weil Israel sich den Raketenbeschuss der Hamas aus dem Gaza-Streifen nicht einfach gefallen lässt.
Rein rechtlich handelt es sich bei der Räumung dieser Häuser um nichts anderes als das, was wir bei der Räumung der Hausbesetzer von „Rigaer 94“ in Berlin erleben durften – nur weniger queer-feministisch, dafür religiös fundamentalistischer. Mit dem kleinen Unterschied, dass in der „Haaretz“ oder der „Jerusalem Post“ nicht empörte Moralapostel den Stab über dem „Unrechtsstaat Deutschland“ brachen. Es gibt in Israel offenbar einen großen Mangel an Deutschlandexperten und Deutschlandkritikern!
Statt sich aufzuplustern und den antrainierten antiisraelischen Reflexen zu folgen, sollte Deutschland lieber erwägen, endlich die Finanzierung von Hamas und Fatah zu beenden. Alles Jammern über mangelnde Impfstoffe in Gaza und dem sogenannten Westjordanland kann die Tatsache nicht verdecken, dass man dort zwar nicht in der Lage ist, die eigene Bevölkerung gesundheitlich zu versorgen, das Geld aber reicht, um jeden Tag mehr als 250 Raketen auf das Land abzufeuern, von dem man diese bedingungslose Impfsolidarität erwartet.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.