Von Elisa Brandt.
Gäbe es Fußball und Formel I nicht, so stünden auf den Startseiten der online-Ausgaben aller deutschen Zeitungen folgende Themen an der Spitze, die natürlich miteinander verwoben sind: Flüchtlinge, Islam, Integration. Lediglich die Themen Erdogan, Böhmermann und Boateng konnten in letzter Zeit halbwegs mithalten – aber auch diese schmoren natürlich im selben Dunstkreis.
Schaltet man abends zur Zerstreuung das TV ein (ja, so naiv kann man sein), verfolgt einen ein und derselbe Spot: „ER hat Perspektiven – ER nicht“, mit einschläfernd-einschmeichelnder Off-Stimme unterlegt, gefühlt jede halbe Stunde. Zappt man genervt weiter, landet man entweder in den News mit – Überraschung! – den Themen „Flüchtlinge, Islam, Integration“ oder hört wieder die Säuselstimme mit eingebautem schlechten Gewissen: „SIE hat eine Zukunft – SIE nicht“.
Die Mehrheitsgesellschaft hat versagt
Bevor man der bösen Versuchung erliegen kann zu fragen: „Na und?“, schaltet man lieber schnell weiter und landet unversehens in einer Talkshow mit Lamya Kaddor oder Ayman Mazyek, die ganz genau erklären, wie und wo die Noch-Mehrheitsgesellschaft bei der Integration versagt hat und Mohammed oder Hassan nach ihrem mehr oder weniger vorhandenem Hauptschulabschluss nicht Arzt oder Anwalt werden können, weswegen sie ihre grundfriedliche Religion nun falsch auslegen müssen.
Oder dass diese Vorgestern-Deutschen mit ihren diffusen und völlig unbegründeten Ängsten die für Arbeitsmarkt und Rente so ersehnten „Neubürger“ geradewegs in den Terrorismus treiben, der jedoch nichts mit dem Islam zu tun hat. Beschämt fragt man sich, warum man als jemand, „der schon länger hier lebt“, sich nicht über die Menschen, „die noch nicht so lange hier leben“, freuen kann. Liegt es etwa daran, dass man, obwohl kein dunkeldeutscher Packsachse, der noch nie im Leben einen Ausländer gesehen hat, im Alltagsleben noch nicht genug mit den „Zukunftsdeutschen“ zu tun hatte?
Doch kann es das wirklich sein? Gibt es nicht neue – und vermutlich bessere – Deutsche inzwischen an beinahe jedem altvertrauten Ort - Kirchen, Museen, Opernhäuser und Bibliotheken einmal ausgenommen? Geht man durch die Straßen seines beschaulichen Berliner Heimatbezirkes, sieht man nicht nur hin und wieder mal ein Kopftuch, sondern jeden Tag mindestens 20 oder 30. Täglich werden es mehr, außerdem nimmt das Stoffvolumen der keuschen Verhüllungen immer weiter zu. Traut man sich einmal in Richtung der schon länger „bunten“ Stadtteile, trifft man kleine Gruppen erlebnisorientierter Jugendlicher mit viel Freizeit, die ab dem frühen Abend südländische Lebensfreude verbreiten und den griesgrämigen „Nichtmigranten“ veranlassen, den Blick zum Boden zu senken.
Herren unterwegs mit Damen
In der U-Bahn hört man alle möglichen Sprachen, nur kein Deutsch, denn die wenigen Deutschen ziehen es vor, den Blick starr aufs Smartphone zu richten, statt diesen womöglich provokant zu erheben oder sich gar auf Deutsch mit dem Sitznachbarn zu unterhalten. Am Badesee am Stadtrand, den man seit einigen Jahren statt des zwar nahe gelegenen, aber – nun ja, sagen wir einfach mal: „ungemütlicher“ gewordenen - Freibades aufsucht, tummeln sich „geschenkte Menschen“. Am ehemaligen Bezirksrathaus, das zur Schutzsuchenden-Unterkunft umfunktioniert wurde, kann man nun endlich auch im verspießerten Wilmersdorf neue trendige Lebensentwürfe bewundern: Herren, die ihre deutlich jüngeren (soweit unter der ziemlich vollständigen Bedeckung erkennbar) Gattinnen spazieren führen.
Warum aber nur, fragt man sich als beschämter Alt-Deutscher, führen denn diese Vielfaltsbegegnungen nicht dazu, dass man sich beglückt in das neue bunte, vielfältige und offene Land (formely known as Deutschland) einfügen mag?
Führende Vordenker aus Politik und Medien haben eine Erklärung dafür: Der Rassismus sei zutiefst im Deutschen verankert und zeige sein hässliches Gesicht inzwischen auch in der Mitte der Gesellschaft. Um das Böse aus dem Deutschen (vulgo: „Pack“) herauszutreiben, müssten daher schon stärkere Geschütze aufgefahren werden.
Zu viele Weiße im Osten
Vor einiger Zeit stellte die Beauftragte des deutschen Justizministers für Angelegenheiten der Zensur und der Internetüberwachung, Anetta Kahane, fest: Es gäbe einfach noch zu viele – igitt - „Weiße“ in Ostdeutschland, daher sähe sie dringenden Handlungs- nein: Ansiedlungsbedarf für pigmentmäßig besser Ausgestattete.
Dies wohl ganz im Sinne des Tagesspiegel-Redakteurs von Becker, der unter dem aussagekräftigen Titel Stärke und Präsenz gegen Fremdenfeindlichkeit von Zigtausenden Ackerbau treibenden Schwarzafrikanern im dünn besiedelten Mecklenburg-Vorpommern träumt, die dem dumpfen Ostdeutschen endlich einmal klar machen, dass ER hier rein gar nichts mehr zu fordern hat.
Nun werden zwar die neuanzusiedelnden Schutzsuchenden ihrerseits nicht gerade davon träumen, wie zu Hause Hackbau zu treiben – bloß bei schlechterem Wetter, mit weniger Ernten und noch dazu unter ungläubigen und einsilbigen Mecklenburgern. Aber was soll’s? Für die neue bessere Welt müssen nun einmal Opfer gebracht werden – zur Not selbst schwarze! Der Erfolg wird sich, so denken die Kahanes und Beckers dieser Welt, unzweifelhaft einstellen. Bestimmt etwa nicht das Sein das Bewusstsein? Ist der Mensch durch äußere Umstände etwa nicht formbar wie Knetgummi? Wetterleuchtet die neue Zeit mit neuen Menschen nicht schon am Horizont?
Tatsächlich könnte es auf ironische Weise sogar gelingen, den „neuen Menschen“ zu erschaffen. Streng genommen ist dieser Mensch dann zwar nicht der, von dem Kahane & Co träumen und wirklich neu zudem ist er auch nicht. Doch könnte der auf so vielfältige Weise bedrängte, von allem Vertrauten entfremdete und in die Enge getriebene Mensch etwas überwunden Geglaubtes, letztlich aber nur durch die dünne Schicht der Zivilisation Überdecktes in sich wieder entdecken und in einem archaischen Reflex so reagieren wie ein auf der Jagd gestelltes, aller Fluchtmöglichkeiten beraubtes Tier, dem nur die Wahl zwischen Angriff und Tod bleibt.
Elisa Brandt ist Historikerin und lebt in Berlin.