Andrian Kreye schreibt für die Süddeutsche Erhellendes über den Black Block:
“Wild wie Winnetou
Hinter der internationalen Autonomenbewegung steht ein theoretisches Werk, aus dem sich die Gewaltbereitschaft ganz anders ableitet als aus der schlichten Hooliganerklärung: die Theorie des Neo-Primitivismus.
[...] doch steht hinter der internationalen Autonomiebewegung ein theoretisches Werk, aus dem sich die Gewaltbereitschaft ganz anders ableitet, als aus der schlichten Hooliganerklärung. Danach wird im Straßenkampf des schwarzen Blocks nicht Gewalt um ihrer selbst willen zelebriert, sondern eine pauschale Absage an die Zivilisation.
[...]
Kaum jemand erwähnte damals den Mann, der hinter den Autonomen von Portland stand. John Zerzan hatte die jungen Anarchisten um sich gesammelt, ein Schriftsteller und Anarchist, der zu den Vordenkern des Neo- oder auch Anarcho-Primitivismus zählt. Die Menschheit habe den falschen Weg eingeschlagen, schreibt Zerzan in Essays wie ‘Future Primitive’ oder ‘Against Technology’.
Doch wo die marxistische Linke die Ursünde in den Anfängen der Industrialisierung und die neue Protestbewegung im entfesselten freien Markt der Globalisierung sieht, geht Zerzan in der Menschheitsgeschichte sehr viel weiter zurück.
‘Seit den frühen siebziger Jahren haben wir ein deutlich anderes Bild, von dem, wie das Leben in jener vorzivilisatorischen Zeit war, die vor rund zwei Millionen Jahren begann und vor ungefähr zehntausend Jahren endete. Diese Frühgeschichte wurde von Intelligenz, Egalitarismus und Gemeinschaft, einem hohen Maß an Freizeit, Gleichberechtigung der Geschlechter und keinem einzigen Hinweis auf organisierte Gewalt bestimmt.’
[...]
In Europa und gerade in Deutschland fiel diese neo-primitivistische Denkschule auf fruchtbaren Boden. Das Misstrauen gegenüber Fortschritt und Moderne war hier schon immer ausgeprägt, egal ob sich die Maschinenstürmer des Luddismus gegen die Anfänge der Industrialisierung wandten oder grüne Bürgerinitiativen das anbrechende Informationszeitalter aufhalten wollten, indem sie gegen Kabelfernsehen im Mietshaus protestierten. Vor allem aber gab es eine Autonomenszene, die von Brokdorf über die Startbahn West bis zur Antifa viel Straßenkampferfahrung gesammelt hatte.
Nun ist der Neo-Primitivismus nichts anderes als eine politisierte Fortsetzung des Mythos vom “Edlen Wilden”. Zudem gibt es in der Literatur einen großen Kanon, der mit Rousseau beginnt, über Goethe und Schiller bis zu Huxley reicht. Nirgendwo gibt es jedoch eine so frühkindliche Prägung durch das Idealbild des edlen Wilden wie in Deutschland. Karl May heißt der Autor, der in seinen Romanen immer wieder den Kampf des unverbildeten Urmenschen mit der zerstörerischen Zivilisation romantisiert.”
Eine andere Welt ist möglich - und schauderhaft.