Felix Perrefort / 21.12.2019 / 11:00 / 12 / Seite ausdrucken

Zur Weihnachtszeit ein bisschen NS für die ganze Familie

Im Trailer zu Caroline Links melodramatischer Verfilmung von „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ deutet sich schon an, worauf der Film insgesamt zielt. „Das ist die Anna aus Deutschland, der Flüchtling“, heißt es gleich zu Beginn des knapp über zwei Minuten dauernden Videos, in dem das Mädchen sich noch zweimal als solcher ausweisen wird. Diesbezüglich kommt der Oscar-Preisträgerin („Nirgendwo in Afrika“) die wohl eher seltene Möglichkeit entgegen, sich treu an der Buchvorlage zu orientieren und zugleich den Zeitgeist des aktuellen Deutschlands zu bedienen, das sich als flüchtlingsfreundlicher Zufluchtsort versteht und dessen Migrationspolitik sich als geschichtsreflektiertes Kontrastprogramm zur judenfeindlichen NS-Politik begreift. 

Indem Charlotte Link vom Wesen des Nationalsozialismus abstrahiert, bleibt eine Geschichte über Flucht zurück, deren geschichtlich-spezifische Bedingungen in den Hintergrund treten, womit historische Flucht in den Diskurs über heutige „Migration“ überführt wird, was so dann auch rezipiert worden ist: „Migration, das wäre die vereinfacht nüchterne Botschaft, gehört mit zur Moderne. Mit Härten und neuen Chancen“, schreibt der Tagesspiegel, ohne sich dabei zu fragen, ob man für eine derart vereinfacht nüchterne Botschaft denn unbedingt Literatur adaptieren bzw. den Nationalsozialismus bemühen müsse. 

Dass aber gewaltige qualitative Unterschiede etwa zwischen der Reise eines Europäers auf der May Flower, der Flucht eines Juden vor den Nationalsozialisten, dem (vorläufigen) Entkommen eines ägyptischen Atheisten vor der Ummah oder dem Umziehen Anis Amris nach Deutschland bestehen, weshalb sich diese Phänomene nicht auf ein und denselben Begriff bringen lassen, gerät deshalb so leicht aus dem Blick, weil es das sich weltoffen dünkende Deutschland so differenziert dann doch nicht wissen will: Ist „die“ Migration erst einmal entkontextualisiert zum Schicksal der Moderne erklärt, muss jeder, der diesen Mythos infrage stellt, als mindestens ewiggestrig erscheinen. 

Eine Prise Hermann Hesse 

„Link will offenkundig: großes Kino für die ganze Familie. Deshalb hält sich der Schrecken in Grenzen, und jedem Anfang, selbst im Exil, wohnt ein Zauber inne“, schreibt der Tagesspiegel weiter. Den Nationalsozialismus in eine zeitgeistige Migrationsgeschichte zu überführen, der man schließlich mit einer Prise Hermann Hesse noch ein wenig Zauber abgewinnen kann, verlangt nach einer filmischen Form, die das Denken den Gefühlen opfert. Ist dies im Genre des Melodramas zwar prinzipiell nicht der Fall – man denke etwa an „Angst essen Seele auf“ von Rainer Werner Fassbinder –, zielen in Links Literaturverfilmung die gefühlt omnipräsente Untermalung der Handlung durch „ergreifende“ Musik mit den schön anzusehenden Aufnahmen der Berggegenden der Schweiz sowie des urbanen Prags, das Paris darstellt, auf gemütliches Weihnachtskino fürs Herz.

Das mag dieser Jahreszeit zwar angemessen sein, doch nicht der Historie, die so brutal und hässlich ist, dass man gut daran täte, sich zwischen den Jahren mit ihr vielleicht einfach nicht zu beschäftigen – jedenfalls dann nicht, wenn man ein paar gemütliche und fröhliche Tage im Kreis seiner Familie und seiner Freunde verbringen möchte.  

Anders, als man in Deutschland annimmt, müsste man seine Vergangenheit gar nicht pausenlos zum Thema machen. Bestürzende 41 Prozent der Deutschen meinen laut einer neulich veröffentlichten Umfrage des Jüdischen Weltkongresses (WJC), dass Juden zu viel über den Holocaust reden, derweil sie es ja gerade selbst sind, die keinen Wahlkampf mehr machen können, ohne sich negativ auf ihn zu beziehen, wenn sie seinetwegen nicht gleich in die Politik gegangen sind. Die Deutschen gehen sich selbst mit ihrer „Erinnerungskultur“ auf die Nerven und geben dafür noch den Juden die Schuld. 

Der kindliche Blick 

Dabei erinnert die deutsche, von Heiko Maas so unverwechselbar und doch exemplarisch verkörperte Naivität an die der Kinder, zu der sich noch die Abgefeimtheit der Erwachsenen gesellt – in gewisser Weise ähnelt die deutsche Wahrnehmung ihrer Vergangenheit noch dem kindlichen Blick, dem klare Begriffe noch nicht dabei behilflich sind, sich die äußere Welt objektgetreu aufzuschließen. Darin besteht auch die Grundproblematik des Films: Zwar ließe sich historische Erfahrung des Nationalsozialismus durchaus aus der Sicht eines Kindes vermitteln, jedoch nicht in „kindgerechter“ Weise, also durch Ausblendung all dessen, was man den Kleinen aus guten Gründen noch ersparen will. 

Der Film tut dies, indem er nah an der Buchvorlage die Narration entlang von Konflikten entfaltet, die dem Nationalsozialismus eher äußerlich sind: Im Wesentlichen beleuchtet er das Fremdsein vor allem der Kinder in der neuen Umgebung und den ökonomischen Abstieg der aus dem gehobenen Bürgertum entstammenden Familie, die sich schließlich in einer kleinen Wohnung in Paris bei kargen Mahlzeiten durchschlagen muss. Geschichte wird so auf einen schwach durchschimmernden Hintergrund reduziert, vor dem gewöhnliches, handwerklich tadelloses Unterhaltungskino inszeniert wird – was nicht behaupten soll, dass filmische Thematisierungen des NS nur schwer verdauliches, selbstquälerisches Kino bedeuten müssen.

Es spräche nichts gegen unterhaltende Aspekte, würde der Film zugleich über sie hinausschießen und so zu Erfahrung und Erkenntnis beitragen. „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ entlässt den Zuschauer ohne diesbezüglich nennenswerte Momente bruchlos in eine deutsche Selbstgerechtigkeit zurück, die einmal in der Aussage Eberhard Jäckels anlässlich des Berliner Holocaust-Mahnmals kulminierte: „In anderen Ländern beneiden manche die Deutschen um dieses Denkmal.“ So offen gehen wir mit unserer Vergangenheit um, wird sich der eine oder andere Zuschauer denken, dass wir uns gar an Weihnachten mit ihr beschäftigen – jaja, es war schon alles sehr schlimm damals. Es.

Judith Kerr lässt die Täter nicht eigens auftreten. Die Bedrohung bleibt trotzdem im Hintergrund immer präsent“, betont Caroline Link. Aber zusammen mit ihrer Drehbuch-Koautorin Anna Brüggemann hat sie aus einer Randfigur einen zeithistorischen Charakter gemacht. Die von Anne Bennent glänzend verkörperte Pariser Kleinbürgerin Madame Prune wird neben Riva Krymalowski zum schauspielerischen Ereignis. Eine griesgrämige Concierge und Antisemitin, die aus ihrer Mördergrube ein raues Herz macht. Sie wirft den Schatten für das noch kommende Unheil.

An Weihnachten stören die Täter 

Auch die Tatsache, dass in einem Film über ein genuin deutsches Verbrechen der einzig offen als Antisemit auftretende Charakter eine Französin ist (wobei es genau genommen noch ein noch nebensächlicheres Nazi-Ehepaar gibt), findet der Tagesspiegel offenbar nicht reflexionsbedürftig, und schreibt: „In Caroline Links Verfilmung von Judith Kerrs ‚Als Hitler das rosa Kaninchen stahl‘ triumphiert nicht der Schrecken. Das ist im Geist der Autorin“, die sich allerdings dezidiert an Kinder und nicht die „ganze Familie“ richtete.

Ob die literarische Vorlage als gelungen gelten kann, mag an anderer Stelle beurteilt werden. Angemerkt sei hier nur, dass der dem Buch zugeordnete pädagogische Auftrag der „Heranführung an den Nationalsozialismus“ beim elfjährigen Ich dieses Autors unerfüllt geblieben war. Zum einen dürfte das daran gelegen haben, dass jenes sich in der sechsten Klasse lieber mit anderen Dingen beschäftigte, zum anderen aber auch an der Abwesenheit der Täter, ohne die Verbrechen naturgemäß nicht zu begreifen sind: keine Tat ohne Täter.

Während im Falle von muslimischen Gewalttaten die sich „antirassistisch“ rechtfertigende Abstraktion von den Tätern den Deutschen erlaubt, ihre Migrationspolitik als modernes Schicksal anzunehmen, ermöglicht sie ihnen im Fall von deutschen Verbrechen, den Blick vom Opa, der ja kein Nazi war, abzuwenden und auf diese Weise noch festtagskompatibel aus der Geschichte zu lernen.

Dass derweil Deutschland allen Nie-Wieder-Beschwörungen zum Trotz ein immer judenfeindlicheres Gebiet wird, steht dazu keineswegs im Widerspruch; die Verdrängung des Nationalsozialismus und damit auch der Konsequenzen, die aus ihm zu ziehen wären und die sich mitnichten in einem aufgeplusterten Kampf gegen rechts erschöpfen, vollzieht sich gerade dadurch, dass man meint, ihn so pausenlos wie unbegriffen zur Rechtfertigungsgrundlage des tagespolitisch gerade angesagten Politwurschtelns machen zu müssen. In diese „Erinnerungskultur“, die eben kein Erinnern, sondern eine Kultur ist, fügt sich der Film nahtlos ein, sodass sogar die Deutsche Welle „ein wenig frösteln“ muss. „Der Verleih bewirbt ‚Als Hitler das rosa Kaninchen stahl‘ mit dem Slogan ‚ein Weihnachtsfilm für die ganze Familie‘. (...) Ein Film über Vertreibung, Antisemitismus und Fremdenhass als ‚Weihnachtsfilm‘?“

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Heiko Engel / 21.12.2019

Werter Herr Perrefort, das haben Sie bei der Regisseurin zurecht bemängelt: die großen deutschen Menschen aus dem Hut zaubern, wenn genehm, und die Zusammenhänge hoffnungslos aus dem Kontext reißen. Das wird Hesse nun keinesfalls gerecht. Das macht der Staatsfunk und die Haltungsjournaille vor. Von Frau Link dürfen wir da nicht zu viel erwarten. Konformisten sind die Vorstufe zum Faschismus ( A. Gruen, 1986 ) und das entspricht ja dem Zeitgeist dieser so auf Diskussion und Meinungsvielfalt achtenden Systemprofiteure. Das ist nationalsozialistische Klientelbegünstigung. Womit die Macher des Films, gemäß C.G. Jung, nun doch auf die für sie notwendige NS - Orientierung verweisen. Die endlich notwendige Aussöhnung mit dem eigenen inneren Nazi wäre wünschenswert. Dann ist der im Außen sooo egal ( T. Dethleffsen ) wie nur irgendwas. Und Hermann Hesse geht es in dem Gedicht „Stufen“ aus seinem Buch „Glasperlenspiel“ nicht um Beliebiges, sondern um menschliche Entwicklung; Stufen eben. Aber, s.o., überfordern wir die linksfaschistoiden Systemprofiteure nicht. Im NS - Staat durften auch nur linientreue Filme drehen. Quid pro quo !!!

Ilona Grimm / 21.12.2019

Wann gibt es mal einen Film über den Elefantenbullen im Salon des Hauses, der den Namen „Islam“ und Judenhass seit 1.400 Jahren in seinen Genen trägt?

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