Hans Scheuerlein, Gastautor / 12.08.2022 / 11:00 / Foto: Imago / 10 / Seite ausdrucken

Zum Tode der Motown-Legende Lamont Dozier

Mit Lamont Dozier ist einer der größten Popkomponisten und Hitmaker aller Zeiten verstorben. Und auch wenn sein Name nicht so berühmt war, seine Musik ist es definitiv – und wird es bleiben. 

Nicht Wenige haben den Namen Lamont Dozier wahrscheinlich noch nie gehört. Aber wer bei seinen Schallplatten die in Klammer gesetzten Namen der Komponisten und Textdichter studiert hat, die gewöhnlich unter oder neben den Songtiteln stehen, ist sicher schon einmal über den Eintrag „Holland-Dozier-Holland“ gestolpert. Dahinter stehen die Namen der beiden Brüder Eddie und Brian Holland sowie von besagtem Lamont Dozier, die als eines der erfolgreichsten Songwriting-Teams nicht nur des legendären Soul-Labels Motown, sondern in der Geschichte der populären Musik überhaupt gelten dürfen. Über 70 ihrer Songs schafften es in die Top 10 der amerikanischen und internationalen Hitlisten, davon 25 auf den ersten Platz. 

Ihre gemeinsame Karriere startete 1963, als Martha and the Vandellas mit dem von ihnen komponierten "Heat Wave" einen Nummer-1-Hit in den amerikanischen R&B-Charts landeten. Von da an ging es Schlag auf Schlag. Allein für die Girlgroup The Supremes um die Lead-Sängerin Diana Ross schrieb das Trio 14 Songs, die sich in den Top 10 der regulären US-Popcharts platzieren konnten – davon zehn auf Platz 1! Darunter befinden sich so unsterbliche Evergreens wie „Where Did Our Love Go“, „Come See About Me“, „Baby Love“, “I Hear a Symphony", „Stop! In the Name of Love", „You Keep Me Hanging On“, „You Can't Hurry Love“ oder „Reflections“. 

Aber auch andere Interpreten wurden durch Songs aus der Feder des Trios zu Stars, wie etwa die Isley Brothers mit „This Old Heart of Mine (Is Weak for You)“, Marvin Gaye mit „Can I Get A Witness“ und „How Sweet It Is (To Be Loved by You)“ und nicht zuletzt die Four Tops mit Songs wie „Baby I Need Your Loving“, „I Can't Help Myself (Sugar Pie, Honey Bunch)“, „It's the Same Old Song“ oder „Reach Out I'll Be There“. Wahnsinn! Alles Songs, die zu meinen persönlichen All-Time-Favorites zählen. Und wenn ich es mir recht überlege, ist es für mich die beste Popmusik, die jemals gemacht wurde. 

Maßgeblicher Anteil am Motown-Sound

Während Eddie Holland zumeist die Texte schrieb, komponierten Bruder Brian und Lamont Dozier die Musik. Im Studio zeichnete Brian Holland dann für die Technik verantwortlich, während Lamont Dozier mit den Musikern im Aufnahmeraum das Arrangement austüftelte. Damit hatte er maßgeblichen Anteil an dem, was man den Motown-Sound nennen sollte: Backbeat auf die Zählzeiten 2 und 4 mit der Schlagzeug-Snare und einem laut abgemischten Tamburin, die durch eine kurz angeschlagene E-Gitarre zusätzlich unterstrichen werden. Dazu Klavier oder Vibraphone, manchmal auch Bläser oder Streicher. Und als Bindemittel die smarten Basslinien von James Jamerson. 

Als die drei Hitmaker schließlich mehr Geld von Motown-Chef Berry Gordy Jr. forderten, kam es Anfang 1968 zum Zerwürfnis. In der Folge gründeten die drei die beiden Plattenfirmen Invictus und Hot Wax Records. Aus rechtlichen Gründen durften sie jedoch nicht mehr ihre eigenen Namen verwenden, weshalb die neuen Songs unter „Wayne-Dunbar“ liefen (auch nicht ungeläufig). Allerdings gelang es ihnen nicht mehr, an die Erfolge früherer Zeiten anzuknüpfen. 1973 trennte sich das Trio dann letzten Endes, und Lamont Dozier beschloss, auf Solopfade zu gehen. Sein bekanntester Song aus dieser Zeit ist „Going Back to My Roots" von 1977, mit dem die Disco-Truppe Odyssey 1981 einen internationalen Hit hatte. 

Im Laufe der 80er Jahre kam es zu diversen Kollaborationen mit britischen Künstlern, wie Alison Moyet („Invisible") und der Band Simply Red (u.a. „Infidelity") sowie mit Phil Collins, mit dem Dozier die beiden Stücke „Two Hearts" und „Loco in Acapulco" für die Krimi-Komödie „Buster" schrieb und produzierte, in der Phil Collins auch die Hauptrolle spielte. 1990 wurde Dozier mit den beiden Holland-Brüdern in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. In der Folgezeit wurde es still um den Songbird. In den 2000er Jahren arbeitete er an einem Musical mit und vertrat eine Professur für populäre Musik. 

2015 wurde dem längst zur Legende gewordenen Songschreiber-Trio, das auch mit der Buchstabenkombination „HDH" abgekürzt wird, nochmal etwas Aufmerksamkeit zuteil, als sie einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame erhielten. Am vergangenen Montag, dem 8. August, ist Lamont Dozier nach längerer Krankheit im Alter von 81 Jahren verstorben. Mit ihm ist einer der größten Popkomponisten und Hitmaker aller Zeiten gegangen. Und auch wenn sein Name nicht so berühmt war, seine Musik ist es definitiv – und wird es bleiben.

 

YouTube-Link zu einem der größten HDH-Hits: „Stop! In the Name of Love“ von den Supremes

Foto: Imago

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Günter Fuchs / 12.08.2022

@ Karl Schmidt, Klasse Kommentar, völlig dacor!

Günter Fuchs / 12.08.2022

Lieber Herr Scheuerlein, alles was Sie hier Schreiben findet meine volle Unterstützung und Sie haben sich jetzt verraten (ich habe es immer gewusst): Auch Sie sind ein Fan der US-Amerikanischen Rhythm & Blues und Soul-Musik! Wie kann es auch anders sein, diese Musik muss man einfach lieben! Durch Songs von “Holland-Dozier-Holland” bin ich zum Fan der “Four-Tops” geworden! Levi Stubbs, der Lead-Sänger dieses legendären Gesangs-Quartetts war ein begnadeter Vokalist der leider viel zu früh gestorben ist (wie so viele Künstler aus der R & B - Szene z. B. Otis Redding)! Genial das Album “4 Tops on Top” wo gleich vier Songs aus der Feder von “Holland-Dozier-Holland”  zu hören sind!     

Karl Schmidt / 12.08.2022

Dozier war ein begnadeter Musiker, der auch solo außergewöhnlich packende Titel produziert hat. Er hätte sich nicht hinter anderen Künstlern verstecken müssen. Er hat die Musikwelt der Nachkriegszeit geprägt wie wohl kein anderer, obwohl es weit bekanntere Namen gibt und Musiker, die auch weit mehr Geld verdient haben mit Titel, die längst vergessen sind und keiner covert. Es ist ein Trost, dass seine Musik bleibt, denn die nimmt er nicht mit - und es ist ein Privileg, dass wir solche Musik erleben durften und dürfen.

Karl Heinz Brandt / 12.08.2022

ThominWeller@… Ich bin mit den verschiedensten Interpreten die seinerzeit bei MOTOWN unter Vertrag waren groß geworden . Funk und Soul (with a capitol S ) sind meine musikalische Heimat . Habe „Going back to my roots“ seinerzeit als DJ in der besten Aachener Disco rauf und runter gespielt . Unvergessen und für mich ein Jahrhundert Lied . Und immer bis zum Ende spielen . Grüße aus Aachen . Und nicht vergessen …“ happiness is just a state of mind .“

Ludwig Luhmann / 12.08.2022

Thomin Weller / 12.08.2022 - “@Hans Scheuerlein Als Musikfachmann müssen sie sich die extrem köstliche ArteTV Doku “Heidschi Bum Beidschi Das Goldene Zeitalter des deutschen Schlagers” ansehen. Sie zeigt wo wir als Gesellschaft, auch geistig großteils musikalisch stecken geblieben sind. Die Doku ist zum totlachen und ist inhaltlich auf allen Ebenen höchst aktuell. (Infantilisierung) Ich habe sie aufgezeichnet, die öffentliche Wiederholung wurde massiv entschärft, geschnitten, auch in YT, wie mit sehr vielen Dokus die auf paar Füße treten. Ein aktueller Vergleich wäre bestimmt interessant.”—- Habe mich bei Youtube mal im besagten Film durchgeklickt. Es ist typisch für die Kommunisten von ARTE, dass sie das offensichtlich Unpolitische an Schlagern nicht ertragen können, weswegen sie nach weniger als 5 Minuten beginnen, die Nazikeule auszupacken.

Andrej Stoltz / 12.08.2022

Normalerweise lese ich diese Artikel nicht, ganz einfach aus dem Grund, weil die Auswahl des Autors nur seltenst mit meinen Hörgewohnheiten übereinstimmt. Aber der Name Dozier in der Überschrift machte mich neugierig und…..das hier ist ein wirklich gut geschriebener Artikel und Nachruf. Informativ und auch mit Hintergründen. Interessant, dass nach dem Bruch mit Motown die Hochblüte vorbei war und nicht mehr so gute Songs von Dozier kamen, obwohl die Hitparaden doch exponentiell immer mehr Soul, Phillysound, Disco und R&B bringen sollten. Auch dass HDH bald dann zerbrach, halte ich für einen weiteren Beleg dafür, dass Songschreibertalent allein noch nicht genügt, sondern das ganze kreative Umfeld stimmen muss. Kann man sehr oft bei Songschreibern, Bands beobachten, dass sich Umbrüche im Umfeld extrem negativ auswirken. Deswegen ist die Weltklasse von HDH in den 60ern noch viel höher einzuschätzen. Ja, Lamont Dozier war einer der besten Songschreiber überhaupt die es je gab. Und angesichts dessen ist es schon irgendwie seltsam so unbekannt zu sein. Ein ganz ähnlicher Fall und Schicksal übrigens Steve Cropper (Dock of the Bay), hier mit dem Bruch von Stax.

Bernhard Piosczyk / 12.08.2022

@ Thomin Weller. Haben sie was gegen den deutschen Schlager ? In England nennt man es Pop.  Muss aber gut gemacht sein, dann ist es wieder gut.

Thomin Weller / 12.08.2022

@Hans Scheuerlein Als Musikfachmann müssen sie sich die extrem köstliche ArteTV Doku “Heidschi Bum Beidschi Das Goldene Zeitalter des deutschen Schlagers” ansehen. Sie zeigt wo wir als Gesellschaft, auch geistig großteils musikalisch stecken geblieben sind. Die Doku ist zum totlachen und ist inhaltlich auf allen Ebenen höchst aktuell. (Infantilisierung) Ich habe sie aufgezeichnet, die öffentliche Wiederholung wurde massiv entschärft, geschnitten, auch in YT, wie mit sehr vielen Dokus die auf paar Füße treten. Ein aktueller Vergleich wäre bestimmt interessant.

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