Zum Tod von Roger Scruton: Wie man einen Denker erledigt

Für einen 24-Jährigen, der 1968 mitten im Pariser Quartier Latin die Mai-Revolte miterlebte, gehörte eine riesige Portion geistiger Eigenständigkeit dazu, die Ereignisse als das zu erkennen, was sie wirklich waren: „an unruly mob of self-indulgent middle-class hooligans“. Für den englischen Philosophiestudenten Roger Scruton war der Anblick der Steinewerfer, Autoanzünder und Traditionenzerstörer ein Aha-Moment. Von da an war er konservativ. „I knew I wanted to conserve things rather than pull them down.”

In seiner kürzlich in deutscher Übersetzung erschienenen intellektuellen Autobiographie „Von der Idee, konservativ zu sein“ (FinanzBuch Verlag, 288 Seiten, 22,99 Euro), schreibt Scruton: „Konservativismus beginnt mit einem Gefühl, das alle reifen Menschen bereitwillig teilen: das Gefühl, daß das, was gut ist, leicht zu zerstören, aber nur schwer zu erschaffen ist. Das gilt insbesondere für die Güter, die uns als gemeinschaftlicher Besitz entgegentreten: Frieden, Freiheit, Recht, Anstand, Gemeinsinn, Besitzsicherheit und Familienleben…“

Am letzten Sonntag ist Roger Scruton, einer der wichtigsten, mutigsten und vielseitigsten konservativen Intellektuellen nicht nur Großbritanniens, sondern des Westens überhaupt, mit 75 Jahren dem Lungenkrebs erlegen. Er hat ein Leben lang die linke Kulturschickeria, die „Guardian-Klasse“, wie er sie nannte, geärgert und aus der Fassung gebracht. Doch selbst der Guardian kam nicht umhin, in einem langen Nachruf seine geistige Bandbreite und seine stupende Produktivität hervorzuheben, wovon mehr als 50 Bücher, darunter scharfsinnige Analysen von Spinoza, Kant und Wittgenstein, aber auch vier Romane zeugen – neben unzähligen Zeitungs- und Zeitschriftenkolumnen über Wein, Jagd und Politik, ganz zu schweigen von seinem Schaffen als Komponist, Pianist und Organist.

Sir Roger (den Adelstitel bekam er vor drei Jahren verliehen) war nicht nur in der akademischen und publizistischen Szene ein Schwergewicht, sondern im öffentlichen Leben Englands überhaupt. Premierminister Boris Johnson beklagte Scrutons Tod mit den Worten: „Wir haben den größten modernen konservativen Denker verloren – der nicht nur den Mumm hatte zu sagen, was er dachte, sondern es auch auf schöne Weise sagte.“ Denn wahrhaftig, in Formulierungswitz und Ausdrucksprägnanz waren Scrutons Texte immer Spitze.

Doch was von alledem ist in Deutschland angekommen? Wann und wie haben die deutschen Medien, die Feuilletons der Presse und die Kultursendungen der Öffis, über den Tod dieses Mannes berichtet? Eines Mannes, über den sowohl die New York Times als auch Radio Prag Nachrufe brachten… Machen wir es kurz: außer bei der FAZ und der Süddeutschen herrscht Fehlanzeige. Kein Sterbenswörtchen in den anderen Gazetten, auch nicht im Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und den übrigen milliardenfinanzierten Sendern. Nicht mal die Deutsche Presseagentur brachte eine Meldung.

Zusammenhang von Bias und Blödheit

Ist das politisch bedingt oder bloß ein Ergebnis kultureller Kenntnislosigkeit, beziehungsweise genereller Kulturlosigkeit in den Redaktionen? Bekanntlich soll man keine Böswilligkeit unterstellen, wenn Dummheit als Erklärung eines Phänomens ausreicht. In Wahrheit aber schließen die beiden Hypothesen einander nicht aus. In Wahrheit ist dieses Versagen geradezu paradigmatisch für den intrikaten Zusammenhang von Bias und Blödheit im heutigen Journalismus.

Wenn wir diesem Zusammenhang nachgehen, stoßen wir auf denselben Mechanismus, der uns beim Blick auf die einseitige Stimmungsmache in den Medien immer wieder mißtrauisch macht: Gibt es irgendein heimliches Kommando? Oder welche Struktur, welches System erzeugt jene linke Meinungshomogenität auf fast allen Wellen und in fast sämtlichen Blättern?

In der Praxis sieht es nämlich so aus: Die Entscheidung, ob ein Nachruf auf Roger Scruton gedruckt oder gesendet wird, fällt irgendein diensthabender Redakteur, der keine Ahnung hat. Normalerweise hilft hier eine dpa-Meldung weiter, denn was über die Agentur kommt, gilt als wichtig. Sodann: Selbst wenn dpa ausfällt, wie bei Scruton passiert, gibt es Heerscharen von Mitarbeitern, die Vorschläge machen, Ideen einbringen und Content in die Medienmaschine einspeisen. Nur: Diese Mitarbeiter sind zu 99 Prozent linkskonform. Das ergibt sich aus 40 Jahren Meinungsklima. Für sie ist Scruton eine Unperson oder ein Feind.

So dreht sich die Schweigespirale eine Runde weiter; die deutsche Öffentlichkeit erfährt nicht einmal aus Anlaß seines Ablebens von jenem „cheerfully pessimistic conservative“, den der Historiker Timothy Garton Ash nach eigenem Bekunden vermissen wird, und der in den 1980er Jahren (zusammen mit Garton Ash) Samizdat-Schriften nach Polen, Ungarn und in die Tschechoslowakei schmuggelte und klandestine Vorlesungen hielt, bis er – mehrfach – von der Polizei festgenommen und aus dem Land geworfen wurde. Dafür erhielt Scruton später diverse mitteleuropäische Staatsmedaillen, darunter eine von seinem Freund Václav Havel.

Havel, der einstige Darling des deutschen Feuilletons, hatte es sich in späteren Jahren mit dessen linken Meinungsoffizieren tüchtig verscherzt. Nur gut, dass er schon acht Jahre tot ist. Heute bekäme er in den Kulturprogrammen der ARD sicher auch keinen Nachruf mehr.

Foto: roger-scruton.com

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Leserpost

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Gabriele H. Schulze / 19.01.2020

Bei Klonovsky hatte ich zum ersten Mal etwas über diesen Mann bzw. über sein Hinscheiden gelesen. Dort gibt es auch den Link auf den Nachruf im Guardian. Jetzt wundere ich mich aber doch: liest denn keiner der hiesigen Redakteure auswärtige Presse, noch nicht einmal linke Publikationen? Oder sind sie des Englischen nicht mächtig? Oder sie haben es gelesen und bekamen Order, sich nicht darum zu kümmern und sich stattdessen lieber Harry ubd Meghan zu widmen? Welche Verarmung.

Stefan Jess / 19.01.2020

Scruton hat mich verändert. Sein Buch “Von der Idee konservativ zu sein” ist für mich eines der wichtigsten Werke der letzten Jahrzehnte. Und ich glaube an die Menschen. Ich glaube, dass sich Srutons Worte auch in unserem Land verbreiten werden. Zu klar und deutlich sind seine Darlegungen, seine Argumente. Seit ich dieses Buch gelesen habe sage ich mit Selbstbewusstsein dass ich konservativ bin.

Rita Wiesinger / 19.01.2020

Am Grat der Jetzzeit ist sowohl links als auch rechts ein tiefer Abgrund

Thomas Schmied / 19.01.2020

Bin sehr froh, dass die Achse doch noch einen Artikel zum Tod von Roger Scruton veröffentlicht.

Ilona Grimm / 19.01.2020

Nun bin ich dank Achse auf eine Geistesgröße aufmerksam geworden, die so ganz und gar meiner eigenen Befindlichkeit zu entsprechen scheint und die die deutschen ‘Haltungsfieranten’ offensichtlich „rechts“ liegen gelassen haben: Roger Scruton. Allein sein „I knew I wanted to conserve things rather than pull them down”, nimmt mich für ihn ein, weil es mir aus der Seele spricht. Und »Konservativismus beginnt mit einem Gefühl, das alle reifen Menschen bereitwillig teilen: das Gefühl, daß das, was gut ist, leicht zu zerstören, aber nur schwer zu erschaffen ist…« veranlasst mich, seine intellektuelle Autobiographie zu kaufen und zu lesen. Danke für diesen interessanten, wenn auch leider postumen, Einblick.

Archi W Bechlenberg / 19.01.2020

Er war vermutlich ein “geistiger Wegbereiter”, sollte die Westpresse ihn erwähnen. Vielleicht hält man sich aber auch zurück, weil die Queen (die ihn adelte) im Moment schon genug Ärger um die Ohren hat. Da will man mal nicht so sein in den Redaktionen. /  Bei Youtube findet man (Bibliothek des Konservatismus) einen Vortrag, den Mr. Scruton 2017 in Berlin gehalten hat.

Gunter Baumgärtner / 19.01.2020

Der Spiegel hat in der print-Ausgabe einen Nachruf veröffentlicht - bitte den Text korrigieren. Fake News sollten wir den anderen überlassen.

Dieter Kief / 19.01.2020

Werter Burkhart Müller-Ulrich - Sie vergießen hier ein bissle Krokodilstränen. Es genügt ein Blick in das Achgut-Archiv. -Auch Achgut ist bisher weitgehend ohne Roger Scruton ausgekommen (es gibt kaum ein halbes Dutzend substantieller Verweise) - wie auch ohne H. L. Mencken und ohne P. J. O’Rourke und ohne Edmund Burke und John Stewart Mill sowieso, will mir scheinen. Die große Ausnahme im Deutschen Blätterwald ist Tichys Einblick, den Sie warum auch immer ausgerechnet nicht nennen, denn dort schreibt der Scruton-Adept und Bewunderer und Weggefährte Douglas Murray. Ahh - und dann ist da noch die NZZ - tja, da war und ist der Roger Scruton immer prominent vertreten - ein schönes Vorbild!

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