Donald Trump drängt auf schnellen Frieden in der Ukraine – auch auf Kosten geopolitischer Prinzipien. Während Moskau Gesprächsbereitschaft signalisiert, wachsen die Risiken für Kiew.
„Ich glaube nicht, dass sie jemals der NATO beitreten können. Ich glaube, das war von Anfang an der Grund für den Krieg, als sie begannen, über einen NATO-Beitritt zu sprechen. Wenn dieses Thema nicht aufgekommen wäre, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass der Krieg nicht begonnen hätte, deutlich größer gewesen.“
Mit diesen Worten sorgte Donald Trump in einem Interview mit dem „Time Magazine“ für Schlagzeilen. Dass der US-Präsident Kiew im Krieg gegen Russland offen kritisiert, ist bekannt. Doch mit dieser Aussage übernimmt er erstmals offen eine zentrale russische Position und erteilt dem langfristigen Streben der Ukraine nach einer NATO-Mitgliedschaft eine klare Absage.
Dass Trump sich ausgerechnet jetzt in dieser Weise äußert, ist kein Zufall. Wenige Tage zuvor hatte Wladimir Putin überraschend seine Bereitschaft zu direkten Verhandlungen mit der Ukraine über einen gegenseitigen Verzicht auf Angriffe auf zivile Infrastruktur erklärt. Hintergrund war ein von Kiew initiierter Vorschlag, nach dem sich Russland und die Ukraine im März bei indirekten Gesprächen in Saudi-Arabien auf ein 30-tägiges Moratorium für Angriffe auf Energieanlagen verständigt hatten.
Obwohl das Moratorium am 18. März in Kraft trat, beschuldigten sich beide Seiten regelmäßig gegenseitiger Verstöße. Auch während der vereinbarten Pause wurden nahezu täglich Angriffe auf zivile Ziele beklagt. Nach Ablauf der Frist verzichteten beide Parteien auf eine Verlängerung.
Bemerkenswerte Kursänderung
Putin erklärte, Russland habe stets positiv auf Friedensinitiativen reagiert, und äußerte die Hoffnung, dass „auch Vertreter des Kiewer Regimes“ eine ähnliche Haltung einnehmen würden. Kremlsprecher Dmitri Peskow präzisierte, Putin sei bereit, bilaterale Gespräche speziell über den Verzicht auf Angriffe auf zivile Einrichtungen zu führen.
Diese Position markiert eine bemerkenswerte Kursänderung: Russland hatte direkte Verhandlungen mit der Ukraine monatelang abgelehnt und die Legitimität von Präsident Wolodymyr Selenskyj infrage gestellt – ein Standpunkt, der international zwar auf keinerlei Unterstützung stößt, seit den ausgebliebenen ukrainischen Präsidentschaftswahlen im März 2024 jedoch zu den festen Grundpfeilern der russischen Position zählt.
Kiew reagierte vorsichtig. In seiner abendlichen Ansprache erklärte Selenskyj, sein Land halte an dem Angebot fest, keine Angriffe auf zivile Infrastruktur durchzuführen, und sei zu Gesprächen bereit, „um sicherzustellen, dass die Sicherheit der Zivilbevölkerung gewährleistet ist“. Zugleich erinnerte er daran, dass während des sogenannten „Osterfriedens“, den Putin vorgeschlagen hatte, auf einigen Frontabschnitten tatsächlich eine spürbare Reduktion der Kampfhandlungen zu verzeichnen gewesen sei – ein Zeichen, dass Deeskalation möglich wäre, wenn Russland es wolle.
Allerdings relativierte Putin seine Gesprächsbereitschaft umgehend: Angriffe auf zivile Objekte könnten weiterhin gerechtfertigt sein, falls diese militärisch genutzt würden – eine Argumentation, die dem internationalen humanitären Völkerrecht nur eingeschränkt standhält.
Die Ukraine vor dem Nachgeben?
Parallel zu dieser Gesprächsofferte verstärkte die US-Regierung ihre Bemühungen um eine rasche politische Lösung. Amerikanische, ukrainische und europäische Delegationen diskutierten bei einem Treffen in Paris einen von Washington vorgelegten Friedensplan, der bei einem Folgetreffen in London weiter konkretisiert werden sollte.
Die Kernelemente des amerikanischen Vorschlags, über die westliche Medien berichteten, lösten in Kiew Bestürzung aus. Demnach soll die Ukraine die Annexion der Krim durch Russland anerkennen, die faktische Kontrolle Moskaus über Teile der Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson akzeptieren, auf eine NATO-Mitgliedschaft verzichten sowie eine Abschwächung oder Aufhebung westlicher Sanktionen gegen Russland hinnehmen.
Obwohl Präsident Selenskyj auf einer Pressekonferenz betonte, dass über die Souveränität der Ukraine und insbesondere über die Krim nicht verhandelt werde, übten amerikanische Unterhändler zunehmend Druck aus. In Washington machte man keinen Hehl daraus, dass die Geduld gegenüber der schleppenden Entwicklung schwindet. Außenminister Marco Rubio und Präsident Trump selbst drohten offen mit dem Abbruch der Verhandlungen, sollte Kiew nicht bald Kompromissbereitschaft zeigen.
Mit Witali Klitschko hat erstmals ein führender ukrainischer Politiker dem amerikanischen Druck nachgegeben. Am vergangenen Freitag erklärte der Bürgermeister von Kiew, das Szenario von Gebietsabtretungen sei leider durchaus möglich. Seine Äußerung kann nicht nur als Annäherung an die Positionen Washingtons und Moskaus gewertet werden, sondern auch als Angriff auf Präsident Selenskyj, der territoriale Zugeständnisse unter Verweis auf die ukrainische Verfassung kategorisch ablehnt.
Die Schwächen des Sondergesandten
Die Unnachgiebigkeit der Amerikaner erklärt jedoch nicht, warum die Russen bislang so erfolgreich bei den Verhandlungen agieren. Kritiker machen dafür Steven Witkoff verantwortlich. Obwohl der New Yorker Immobilienmilliardär und langjährige persönliche Freund Donald Trumps keine diplomatische Erfahrung besitzt, ist er zur zentralen Figur der neuen amerikanischen Außenpolitik aufgestiegen. Zunächst wurde er zum Sondergesandten für den Nahen Osten ernannt, später übertrug man ihm auch die Verantwortung für die Russland-Ukraine-Politik.
Seit Februar 2025 absolvierte Witkoff mehrere persönliche Treffen mit Wladimir Putin. Dabei vermittelte er nicht nur die Freilassung eines in Russland inhaftierten US-Bürgers, sondern avancierte zum faktischen Hauptemissär der Vereinigten Staaten gegenüber Moskau. Seine Auftritte sorgten für erhebliche Kontroversen. In Interviews übernahm Witkoff nahezu wörtlich die russische Rhetorik, etwa wenn er von „Referenden“ in den besetzten ukrainischen Gebieten sprach oder die Annexion der Krim durch Nikita Chruschtschow falsch darstellte. Auch seine geografischen Kenntnisse über die Ukraine erwiesen sich als lückenhaft.
Kritiker wie der ehemalige Nationale Sicherheitsberater John Bolton warnten, Witkoff sei „extrem manipulierbar“ und verfüge weder über das historische noch das politische Wissen, um verantwortungsvoll mit Moskau zu verhandeln. Auch in Kiew rief seine Annäherung an Putins Positionen scharfe Reaktionen hervor; ukrainische Abgeordnete forderten offen seine Abberufung.
Wie die Gespräche zwischen Steven Witkoff und Wladimir Putin im Einzelnen verlaufen, ist öffentlich nicht bekannt. Die Schwächen des amerikanischen Sondergesandten sind jedoch offenkundig – und könnten erklären, warum man in Moskau mit ihm zufrieden ist. Nach den jüngsten Treffen, die am Freitag in Moskau stattfanden, zeigte sich der Kreml demonstrativ optimistisch: Der Austausch sei konstruktiv verlaufen, erstmals habe man die Möglichkeit direkter Gespräche mit Kiew erörtert.
Die Einbindung des Milliardärs Steven Witkoff kann als zentrales Merkmal von Trumps zweiter Amtszeit gelten. Erstmals seit den 1980er Jahren wird die amerikanische Russland-Politik nicht von erfahrenen Diplomaten oder Sicherheitsexperten gestaltet, sondern direkt aus dem persönlichen Umfeld des Präsidenten heraus gesteuert. Institutionen wie das Außenministerium oder der Nationale Sicherheitsrat spielen nur noch eine Nebenrolle. Hochrangige Diplomaten wie Keith Kellogg oder Außenminister Marco Rubio, obwohl formal im Amt, haben kaum noch Einfluss auf die operative Politik gegenüber Moskau.
Friedensstifter um jeden Preis?
Statt fachlicher Expertise dominiert inzwischen das Prinzip persönlicher Loyalität. Witkoff gilt als enger Vertrauter Trumps, dessen wichtigste Qualifikation seine unbedingte Treue zum Präsidenten ist. Diese Loyalität ist auch der Grund, warum Pentagon-Chef Pete Hegseth trotz schwerwiegender Verstöße gegen nationale Sicherheitsrichtlinien weiterhin im Amt bleibt. Ehemalige Diplomaten wie Daniel Fried und James O'Brien bewerten diese Entwicklung als gefährlich. Ihrer Einschätzung nach untergräbt der neue Kurs die Verhandlungsposition der USA erheblich und sendet fatale Signale an Moskau.
Analysten warnen zudem vor den langfristigen Folgen: Ein Frieden, der Russlands Landgewinne faktisch legitimiert und die Ukraine zum Verzicht auf ihre NATO-Ambitionen zwingt, würde nicht nur die territoriale Integrität des Landes dauerhaft untergraben, sondern auch Putins Expansionismus beflügeln – ein hypothetisches Szenario, das jedoch als plausibel gilt.
Laut Daniel Fried müsste Washington stattdessen gezielten Druck auf Moskau ausüben – etwa durch weitere Sanktionen gegen den russischen Energiesektor –, anstatt Kiew zu Zugeständnissen zu drängen. James O'Brien ergänzt, Putin habe ein Interesse daran, Trump und Witkoff als Verhandlungsführer zu bestätigen, weil er ihnen „das zeigen kann, was sie sehen wollen“ – ein vermeintliches Entgegenkommen, das tatsächlich seine eigene Machtposition festigt.
Bislang deutet wenig darauf hin, dass Trump zu einer härteren Linie bereit wäre. Vielmehr setzt er auf eine schnelle Vereinbarung, die sich in den USA als außenpolitischer Triumph präsentieren ließe – auch auf Kosten der europäischen Sicherheitsarchitektur. Offiziell betont der US-Präsident, es gehe ihm darum, das Massensterben an der Front zu beenden – nach jüngsten Angaben sind es bis zu 5.000 Tote pro Tag. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass Trump vor allem darauf abzielt, sich mit der Beendigung des Krieges als Friedensstifter zu inszenieren.
Selenskyjs Dilemma
In diesem Licht erschien die jüngste Aussage von Donald Trump paradox. Nachdem der US-Präsident am Rande der Beisetzung von Papst Franziskus in Rom mit Wolodymyr Selenskyj gesprochen hatte, veröffentlichte er auf seiner Plattform „Truth Social“ eine Mitteilung, in der er offen darüber nachdachte, ob gegenüber Moskau eine härtere Gangart opportun sein könnte. Sollte Putin keinen Frieden wollen, könnten zusätzliche Sanktionen gegen russische Banken verhängt werden, sinnierte Trump. Ob es sich dabei um einen ernsthaften Kurswechsel oder lediglich um taktisches Kalkül handelt, ist unklar.
In Kiew jedenfalls wächst die Sorge, dass die amerikanischen Friedensbemühungen auf Kosten ukrainischer Interessen gehen könnten. Präsident Selenskyj stellte auf einer Pressekonferenz unmissverständlich klar: Die Ukraine werde die russische Annexion der Krim unter keinen Umständen anerkennen – unabhängig von westlichem Druck. „Das ist außerhalb unserer Verfassung“, betonte er. „Darüber kann es keine Gespräche geben.“
Doch spricht hier ein verantwortungsvoller Staatsmann – oder eher ein Präsident, der seinen politischen Untergang abzuwenden versucht? Zwar ist es richtig, dass die ukrainische Verfassung eine Aufgabe von Staatsgebiet ausdrücklich ausschließt. Gleichwohl ist es eine Tatsache, dass sowohl die Krim als auch die besetzten Gebiete faktisch bei Russland verbleiben werden. Ebenso unstrittig ist, dass eine Durchsetzung der russischen Forderungen das politische Ende Selenskyjs bedeuten würde.
Damit befindet sich Selenskyj in einem Dilemma: Stimmt er einer Abtretung zu, müsste er zurücktreten; lehnt er sie ab, gerät er in einen Konflikt mit Washington. Während die USA auf einen raschen Abschluss drängen, um Trump einen außenpolitischen Erfolg zu verschaffen, sieht die Ukraine in einem überhasteten Frieden das Risiko, ihre nationale Integrität dauerhaft zu verlieren.
Der Westen in einer Zwangslage
Auch innerhalb der amerikanischen Administration wachsen die Spannungen. Außenminister Marco Rubio und Sicherheitsberater Mike Waltz warnten Trump Medienberichten zufolge eindringlich vor übermäßiger Nachgiebigkeit gegenüber Moskau. Insbesondere Rubios Absage am Londoner Treffen wurde als Signal gewertet, dass Teile der US-Regierung mit dem eingeschlagenen Kurs unzufrieden sind.
Aus Moskauer Sicht ist die aktuelle Dynamik äußerst vorteilhaft. Putin signalisiert Gesprächsbereitschaft, ohne wesentliche Zugeständnisse zu machen. Sein Vorschlag, die Kampfhandlungen entlang der bestehenden Frontlinie einzufrieren, käme einer faktischen Anerkennung der russischen Landgewinne gleich.
Am Samstag erklärte der Kreml zudem überraschend, Wladimir Putin sei ohne Vorbedingungen zu Friedensverhandlungen mit der Ukraine bereit. Ob dies eine Reaktion auf Donald Trumps implizite Drohung weiterer Sanktionen war, bleibt unklar. Fest steht jedoch, dass diese Erklärung zeitgleich erfolgte, als Präsident Selenskyj in Rom gegenüber Emmanuel Macron seine Bereitschaft zu einer bedingungslosen Waffenruhe bekundete.
Damit hat die Dynamik der Friedensverhandlungen in der vergangenen Woche erheblich an Fahrt gewonnen. Eine abschließende Bewertung bleibt jedoch schwierig, da unklar ist, welche Absprachen hinter den Kulissen getroffen wurden. Gleichwohl besteht weiterhin die von Trump kritisierte Situation: Putin bietet Verhandlungen an, während er den militärischen Druck aufrechterhält. Dadurch zwingt er die USA und Europa in eine Lage, in der ein Frieden um jeden Preis als attraktive Option erscheinen könnte – insbesondere für ein Amerika unter Trump, das sich zunehmend aus internationalen Verpflichtungen zurückzieht.
Präzedenzfall für Grenzverschiebungen
Für Europa birgt diese Entwicklung erhebliche Risiken – insbesondere dann, wenn es künftig nicht in der Lage wäre, die Bedingungen eines Friedensvertrags durch eigene militärische Stärke abzusichern. Eine politische Lösung, die Russlands Landgewinne legitimiert, würde die Sicherheitsarchitektur des Kontinents in einem solchen Fall grundlegend erschüttern. Osteuropäische Staaten wie Polen und die baltischen Republiken verfolgen die Verhandlungen mit wachsender Besorgnis. Sie befürchten, dass ein Präzedenzfall geschaffen wird, der Putins Revisionismus belohnt und künftige Grenzverschiebungen erleichtert.
Auch die Glaubwürdigkeit der NATO stünde auf dem Spiel, sollten militärisch schwächere Mitgliedstaaten weiterhin auf die Schutzgarantie der USA angewiesen bleiben. Bereits während Trumps erster Amtszeit hatten Spannungen über Verteidigungsausgaben und die amerikanische Bündnistreue die Allianz belastet. Ein erneutes Abweichen von der Unterstützung osteuropäischer Partner könnte die NATO dauerhaft schwächen.
Insgesamt lässt sich sagen, dass die aktuelle Friedensinitiative der USA eine fundamentale Zäsur markiert. Erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges droht Washington, geopolitische Prinzipien – etwa das Recht auf territoriale Integrität – zugunsten kurzfristiger diplomatischer Erfolge preiszugeben. Dadurch verliert der amerikanische Beitrag zur Stabilisierung der Machtbalance in Europa spürbar an Gewicht.
Putin hat diese Schwächen erkannt. Sollte es nicht zu einer politischen Lösung kommen, setzt er auf Zeit, auf die Erosion der westlichen Solidarität und auf die strukturellen Schwächen seiner Gegner.
Dr. Christian Osthold ist Historiker mit dem Schwerpunkt auf der Geschichte Russlands. Seine Monographie über den russisch-tschetschenischen Konflikt ist in der Cambridge University Press rezensiert worden. Seit 2015 ist Osthold vielfach in den Medien aufgetreten.