Susanne Baumstark / 09.09.2018 / 15:30 / Foto: Stefan Klinkigt / 5 / Seite ausdrucken

Zum Stand der Narrenfreiheit

Im Psychologie Magazin findet sich ein hübscher Artikel zur Narrenfreiheit. „Sie kommt all jenen zu, die aus irgendwelchen Gründen befreit zu sein scheinen, von den Normen und Konventionen des Alltags“; die insoweit ungestraft die eigene Meinung sagen können wie sie die soziale Degradierung hinnehmen. Der Narr ist scheinbar oft tölpelhaft, hat aber auch einen unverstellten Blick von außen, der stets geschätzt wurde. „In dieser Rolle ist er der einzige, der der hohen Gesellschaft, inklusive dem Herrscher die Meinung sagen darf. Der Hofnarr hatte ursprünglich diese Funktion eines sozialen Korrektivs, nicht des Unterhalters, auf den man besonders deshalb gut hören konnte, weil er ja ein Narr war, von dem niemand was annehmen musste.“

Die Attribute „harmlos“, „lästig“ oder nicht ernst zu nehmend reichen aber für eine Charakterisierung eines Narren nicht aus. Der Autor rechnet manchen von ihnen, wie man herauslesen kann, auch ein sattes Selbstbewusstsein zu: Er überschreitet Grenzen und macht „deutlich, dass er erkennbar anders ist und sein will“. Der Standortvorteil des Narren: „Sie haben sich nur an dem Platz im Leben eingerichtet, von dem aus man nicht tiefer sinken kann … Mit ihnen will niemand konkurrieren, um den Posten reißt sich keiner … Von allen sozialen Zwängen und Vorgaben befreit, aber dafür auch der Möglichkeit des sozialen Aufstiegs beraubt verkündet der Narr seine Sicht auf das Geschehen.“ Seine Rolle ist die des Nichtfestgelegtseins. 

„Er ist raus aus der Nummer"

Stets ist er ein stummer Mahner. „Aber das ist es eben auch: Der Narr ist nicht einfach gescheitert, verbittert, gefallen, frustriert, er provoziert uns gerade dadurch, dass er in vielen Fällen eine Frohnatur ist und mit Leichtigkeit und Unbedarftheit durchs Leben läuft.“ Viele täten das auch gern – ohne den Preis des sozialen Abstiegs zu zahlen und damit Anerkennung zu verlieren. Aufmerksamkeit immerhin bekommt der Narr schon. „Er ist raus aus der Nummer, die immer auch etwas aufreibend ist, nämlich, sich im Mainstream über Wasser zu halten. Man muss sich seinen Ruf nicht nur erarbeiten, sondern auch aufrecht erhalten. Wer von hier aus abrutscht, fällt tief.“ Was ist närrischer: Der simulierende Anerkannte oder der selbstgenügsame Narr? 

Als Grenzübertreter und damit Kenner mehrerer Welten könnte der Narr in natürlicher Weise auch Brückenbauer und „Überwinder der Polarität“ sein. Wo er Missstände anprangert und durch Spiegelung einer Projektion anbietet diese zu erkennen und zurückzunehmen, wäre da eine Brücke hin zu einer neuen Perspektive. „Nicht nur an die niederen Seiten erinnert uns die Narrenfreiheit, auch daran, dass es neben der Entscheidung für eine der beiden Seiten immer auch einen dritten, über- oder untergeordneten Standpunkt gibt.“ Die Botschaft des Autors: „Die Gesellschaft braucht ihre Narren, die ihr die Grenzen ihres Schubladendenkens vor Augen führen.“ Man solle zwar nicht durchgehend auf Konventionen pfeifen, sich aber zu einer „verrückten“ Weisheit einladen lassen. 

Siehe auch: Die Bedeutung des „Narren“ wandelte sich im Lauf der Jahrhunderte.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Sudanne Baumstarks Luftwurzel.

Foto: Stefan Klinkigt

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Leserpost

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Werner Arning / 09.09.2018

Der Narr hat den Vorteil, nichts mehr zu verlieren zu haben. Das, was es zu verlieren gibt, hat er bereits freiwillig herausgegeben. Etwa einen seriösen Ruf. Er steht außerhalb der Konkurrenz. Kann von nun an wahr sprechen. Keiner muss ihn fürchten. Will er doch niemandes Platz einnehmen, niemanden verdrängen. Doch seine Weisheit hört man gern. Nur muss er unabhängig bleiben. Sonst hört der Narr auf, ein Narr zu sein.

Hans-Peter Dollhopf / 09.09.2018

Dem mittelalterlichen Narrator als Korrektiv für herrschende Absichten ähnelt zunächst die sehr viel ältere Figur der Kassandra des Dichters Homer. Kassandra war mit dem skill der strategischen Einsicht gesegnet, aber eine Intrige (“Fluch”) diskreditierte ihre Glaubwürdigkeit so vollkommen, dass ihre Rufe den trojanischen Mitbürgern wie jeck erschienen. Daneben gibt es eine dritte Figur, den Anwalt des Teufels, den Advocatus Diaboli. Erfunden und institutionalisiert an mediävalen europäischen Universitäten, um in der Klerikerausbildung durch ihn eine vorgetragene These im Disput testen zu lassen (Lanz oder Maischberger haben weder Prinzip noch Nutzen des A.D. je verstanden und darum auch nie in ihren kranken “Disput”-Sendungen umgesetzt), ist er der eigentliche Wächter der Gewissheiten. Zu blöd, dass die kath. Kirche ihre brauchbarsten Innovationen nicht mehr nutzt. ZEIT von 2016 unter “Keine Nächstenliebe mit der AfD”: “Die katholische Kirche verweigert der AfD den Dialog.” Soll sie doch, wenn sie wenigstens den Disput zu schätzen wüsste!

Martin Schumann / 09.09.2018

Herr Seiler, er ist auch keiner. Er arbeitet nur unkonventionell und damit originell. Die Ergebnisse können sich sehen lassen (Allein die Botschaftsverlegung nach Jerusalem - göttlich) Wenn Präsident Trump so weitermacht , kann er ein Grosser werden, wie Ronald Reagan.

Matthias Braun / 09.09.2018

“Es ist besser, die Leute vermuten nur, daß man ein Narr ist, als wenn man den Mund aufmacht und alle Zweifel zerstört.” (Mark Twain)

Marcel Seiler / 09.09.2018

Nicht schlecht dieser Artikel. – Aber warum als Illustration der US-Präsident Trump? Der *kann* kein Narr in diesem Sinne sein, er darf es auch nicht, weil er der König ist. Ein Narr als Narr kann, wenn er es gut macht, eine konstruktive Rolle einnehmen, wie dieser Artikel aufzeigt. Aber ein Narr kann per definitionem nicht der König sein, er ist das Gegenüber des Königs. Verhält sich aber ein König wie der Narr, so ist das zerstörerisch. Trump mag sich wie ein Narr verhalten, aber er kann keiner sein.

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