Hannes Stein / 06.12.2007 / 05:28 / / Seite ausdrucken

Zum Nikolaustag: Jüdische Weihnachtslieder

Schauen wir der traurigen Wahrheit in ihr betrübtes Antlitz: Es gibt keine richtig guten Chanukka-Lieder. Bei genauer Betrachtung gibt es im Grunde ja auch nur zwei. Das eine ist „Maos zur“, das allerdings eine wunderschöne Melodie hat, die das Kunststück fertigbringt, zugleich melancholisch, erhaben und heiter zu sein. Aber der Text! „Meine Seele wurde mit Bösem gesättigt, vor Kummer verging meine Kraft… Bitteren Wein trank ich… Es dauert für uns lange, als ob der schlechten Tage kein Ende wäre…“ Auf Jiddisch zu dem, was in diesem Lied betrieben wird: kwetschen.
Bei dem anderen Chanukka-Song handelt es sich um „Sewiwon, sof sof sof, Chanukka hu chag tow.“ Der Weise verhüllt sein gramgebeugtes Haupt und schweigt vornehm.

Nun hätten wir Alteuropäer in dieser Hinsicht von Amerika allerhand erwartet. Schließlich beherbergt Amerika eine nicht ganz winzige Diasporagemeinde, der man alles Mögliche vorwerfen kann – nur nicht Mangel an Selbstbewusstsein. Nach Auskunft der Herren Walt und Mearsheimer bestimmt die „Israel-Lobby“ sogar Leitlinien der amerikanischen Außenpolitik! Also, da könnte man doch wenigstens ein paar fetzige Chanukka-Songs erwarten, sozusagen als kulturelles Abfallprodukt. Aber Fehlanzeige.
Wie kommt´s? Warum laufen im amerikanischen Fernsehen keine Chanukka-Galas, bei denen hübsche Sängerinnen in Glitzergewändern achtarmige Leuchter im XXL-Format anstecken, während das Orchester im Hintergrund auf volle Lautstärke schaltet? Ganz einfach: weil die amerikanischen Juden über die Jahrzehnte alle Hände damit zu tun hatten, Weihnachtslieder zu schreiben.
Hier eine unvollständige Liste: „Chestnuts Roating on an Open Fire“ (Mel Tormé, Robert Wells), „Santa Claus Is Coming To Town“ (J. Fred Coots, Haven Gillespie), „White Christmas“ (Irving Berlin), „Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow!“ (Sammy Cahn, Jule Styne), „Rudolph The Red Nosed Reindeer“ (Johnny Marks), „Silver Bells“ (Jay Livinstone, Ray Evans).
Greifen wir uns aus dem großen Liedersack ein paar besonders eindrucksvolle Beispiele heraus. Da ist zunächst das Lied von dem Rentier, das brav den Weihnachtsmannschlitten ziehen half und ob seiner Rotnasigkeit von all seinen Kollegen verachtet wurde. Wird hier nicht die jüdische Erfahrung in Amerika geschildert? Anfangs prasseln Hohn und Spott auf den Außenseiter nieder (sogar auf den antisemitischen Topos von der jüdischen Nase wird subtil verwiesen), der Eintritt in die gojschen Clubs bleibt ihm verwehrt („They never let poor Rudolph join in any reindeer games“), zu guter Letzt aber avanciert der Jude unter den Rentieren just seiner Eigentümlichkeit wegen zum Licht für die Völker. Sogar eine Anspielung auf den 118. Psalm („Der Stein, den die Bauleute verwarfen, ist zum Eckstein geworden“) kann man hier heraushören.
Bei „Let it snow“ ist die Sache komplizierter und einfacher zugleich. Sie ist kompliziert insofern, als an diesem Lied nichts eindeutig jüdisch genannt werden kann; aber auch einfacher, weil es sich hier eigentlich um gar kein Weihnachtslied handelt. Das Christfest wird gründlich säkularisiert. Der Song erzählt nur davon, dass es ein Liebespaar drinnen schön warm hat, während es draußen schön schneit: „The fire is slowly dying / And, my dear, we’re still goodbying / But as long as you love me so / Let it snow! Let it snow! Let it snow!“
Damit nähern wir uns pfeilgerade jenem Weihnachtslied, das die Essenz Amerikas in sich birgt. Viele Leute glauben, es stamme von Bing Crosby, der es als Sänger zu einem Welterfolg machte. Geschrieben aber hat es Irving Berlin, geboren 1888 als Israel Baline – wahrscheinlich am 11. Mai in der sibirischen Stadt Tyumen.
„Gott gab Moses die Zehn Gebote“, schrieb der Romancier Philip Roth, „und dann gab er Irving Berlin ... `White Christmas´.“ Berlin habe das Christentum „in wertlosen Kitsch“ verwandelt. „Aber nett! Furchtbar nett! So nett, dass die Gojim gar nicht merken, was da auf sie niedergefahren ist… Bing Crosby ersetzt Jesus als geliebter Sohn Gottes ... Wenn verkitschtes Christentum ein Christentum bedeutet, das vom Judenhass gereinigt wurde, dann dreimal Ja-Hurra zum Kisch.“
Stimmt alles, aber es ist nur eine Seite der Wahrheit. Die andere Seite plaudert Jody Rosen in ihrem wunderbaren Buch „White Christmas – The Story of an American Song“ aus: Die früheste Kindheitserinnerung von Irving Berlin war, wie sein Elternhaus im Winter bei einem Pogrom niedergebrannt wurde. Gut möglich, dass dies just zur Weihnachtszeit geschah. Hinzu kommt: 1928 starb ihm am 24. Dezember sein kleiner Sohn. Jener Abend, an dem die Christenheit die Geburt des Welterlösers feiert, war für Irving Berlin also nur eines: die „Jahrzeit“ seines toten Kindes.
In der Melodie von „White Christmas“, die gewagte Tonschritte und melancholische Harmonien enthält, kann man einiges davon hören. Ja, dieses Weihnachtslied ist uramerikanisch. Und es ist gute jüdische Musik.


(Eine gekürzte Fassung von diesem Text steht heute in der “Jüdischen Allgemeinen”. Die Texte der Lieder, um die es geht, findet man hier, hier und dort.)

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