Zum Höcke-Urteil, dem Grundrecht der Redefreiheit und seinen Grenzen 

Im weiteren Verlauf des Höcke-Verfahrens sowie allgemein des Umgangs mit der AfD wird man sehen, inwieweit sich in Freiheitsfragen die Justiz der Bundesrepublik gegenüber politischem Druck resistent erweist.

Von Politikern und Chorführern (sc. -innen) ist immer wieder zu hören, wir lebten im „freiesten Staat der deutschen Geschichte“ – ein Satz, der Widerspruch ausschließt. Ob aus Absicht oder aus Unwissen, in derlei Rede wird die höchst freiheitliche – an der politischen Wirklichkeit gescheiterte – Verfassung der Weimarer Republik schlichtweg ausgeblendet. Den realen Freiheitsbegriff der Bundesrepublik hat vielmehr – noch als Bundeskanzlerin – Angela Merkel definiert, als sie – ironiefrei oder auch nicht – kundtat, in der Bundesrepublik stehe es jedem frei, seine Meinung zu äußern, er müsse dann aber auch mit Konsequenzen rechnen. 

Anders als in den USA, wo der erste Zusatzartikel zur Verfassung ohne jegliche Einschränkung „free speech“ garantiert, sind im Grundgesetz dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit in Art. 5(2) gewisse Schranken – die allgemeinen Gesetze, den Schutz der Jugend und das Persönlichkeitsrecht betreffend – gesetzt.

Mit gutem Grund werden seit Gründung der Bundesrepublik vor nunmehr 75 Jahren auch die Glorifizierung, die Verharmlosung sowie die Symbolik der Nazi-Ära strafrechtlich verfolgt. Bereits anno 2021 sind die Gesetze zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität verschärft worden, was jedoch Innenministerin Nancy Faeser und dem Verfassungsschutzchef Haldewang offenbar noch nicht ausreicht. Künftig soll auch die „Delegitimierung staatlichen Handelns“ indiziert und verfolgt werden. Ein Schelm, dem nicht die Analogie zu „staatsfeindlicher Hetze“ aus DDR-Zeiten in den Sinn kommt.

Realer oder behaupteter Missbrauch der Meinungsfreiheit in politicis – nicht zuletzt in den social media – eröffnet juristischen Auseinandersetzungen ein weites Feld. Welche Seite – Anklage oder Verteidigung – obsiegt, wenn es um die Interpretation inkriminierter Aussagen geht? Bislang konnte man darauf vertrauen, dass unabhängige Gerichte im Streitfall die Meinungsfreiheit großzügig – „innerhalb eines Meinungsstreits noch zulässige Polemik“ – zugunsten des/der Beschuldigten auslegen würden. 

Anders liegt die Frage der Meinungs- und Redefreiheit im Fall der Anklage gegen die AfD-Führungsfigur Höcke, der vom Landgericht Halle wegen angeblich bewusster Verwendung einer SA-Parole zu einer Geldstrafe von 13.000 € verurteilt wurde. Höcke, der sich verteidigte, der Nazi-Zusammenhang sei ihm bei seiner rhetorischen Klimax nicht bewusst gewesen, konnte kaum auf Nachsicht des Gerichts – und das Prinzip  in dubio pro reo – rechnen. Denn in diesem Fall stand Redefreiheit im Gegensatz zu politischer Notwendigkeit. 

Ein grüner Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt hatte, gestützt auf selbst in Fachkreisen kaum geläufige historische Detailkenntnis, Höcke wegen Gebrauchs einer NS-Parole angezeigt. Danach stand das Gericht vor einem kaum auflösbaren Dilemma: Ein Freispruch – sprich: die Anerkennung der von Höcke behaupteten geistigen Unschuld – hätte der AfD zu einem medial wirksamen Propagandacoup verholfen. Es blieb also nur eine Verurteilung. Dass der Richter bereits vor der Urteilsverkündung ankündigte, es werde nur zu einer Geldstrafe, nicht zu einer Gefängnisstrafe kommen, lässt die Deutung zu, dass ihm bei der ganzen Sache nicht recht wohl war.

Höckes Anwalt hat Revision eingelegt und angekündigt, notfalls durch sämtliche Instanzen zu gehen. Das – noch nicht rechtskräftige – Urteil wurde selbst in der linken taz kritisch kommentiert. Höcke und die AfD werden es nutzen, sich vor den anstehenden Wahlen als verfolgte Unschuld darzustellen. Im weiteren Verlauf des Höcke-Verfahrens sowie allgemein des Umgangs mit der AfD wird man sehen, inwieweit sich in Freiheitsfragen die Justiz der Bundesrepublik gegenüber politischem Druck resistent erweist.

Herbert Ammon, geb. 1943 in Brieg (Schlesien), ist ein deutscher Publizist, Historiker, Studienrat a.D. Er engagierte sich in den 1980ern in der damaligen Friedensbewegung, u.a. als Repräsentant des „Offenen Briefes“ des DDR-Regimekritikers Robert Havemann an den sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew. 1981 zusammen mit Peter Brandt Herausgeber des Buches „Die Linke und die nationale Frage“. Mitgründer und Mitglied im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft e.V. zur Förderung politischer, kultureller und sozialer Beziehungen in Europa.

Foto: Sandro Halank CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Arnold Balzer / 19.05.2024

Ihrem Vergleich zwischen der verfassungsmäßig garantierten Redefreiheit in den USA und der (angeblichen) Redefreiheit in DE (ach ja, wir haben ja noch nicht mal eine Verfassung!) muss Folgendes angemerkt werden: In den USA verbietet die Verfassung dem Staat, die Redefreiheit einzuschränken (Dasselbe gilt für die Religionsfreiheit.) Dies ist also ein Hinderung (!) des Staates, hier irgendwie einzugreifen oder zu beschränken. In DE dagegen wird die Redefreiheit (gnädigerweise) vom Staat gewährt, statt sie gegenüber dem Bürger diesem als naturgegebenes Recht zuzugestehen. Dementsprechend wird ständig am Baum der Freiheit rumgeschnippelt, nicht zuletzt auch, um die bösen sozialen Medien zu zensieren.

Dirk Jungnickel / 19.05.2024

Zitat: “Es blieb also nur eine Verurteilung.” NEIN ! -  Schon die Klageerhebung ist ein Treppenwitz der Geschichte. Hier sind von anderen Achse - Autoren schon Für und Wider dieser Anklage erörtert worden. Ich frage mich immer wieder, geht es bei Höckes - lediglich patriotischer Äußerung - um untergeschobene ideologische Semantik oder um den wirklichen Inhalt diese Satzes ????  Man fragt sich doch , wie weit soll die Fixierung auf die verfluchte Nazi - Zeit noch unsere Gegenwart belasten ? UND:  Gäbe es diesen lächerlichen Aufstand auch, wenn Scholz diese Formulierung aus irgendeinem Anlaß gebraucht hätte ???? Immerhin hätte er damit nur den SPD-dominierten Reichsbanner der 20er Jahre zitiert ......

maciste rufus / 19.05.2024

maciste grüßt euch. der artikel verteidigt die fast perfekte machtpolitik der linxwoken regierung und ihrer etablierten unterstützer. wer sich über das urteil im fall höcke wundert oder empört, hat noch nicht begriffen, worauf es machtpolitisch ankommt. ich werde es predigen bis zum verrecken: bekennt euch zu rechts und unterstützt rechte organisationen und publikationen mit geld, tatkraft und wählerstimme. glaubt nicht, daß die linxwoken euch verschonen werden. im übrigen: vielleicht probiert man es einmal mit “patria o muerte” oder “alice für deutschland”. rüstet euch. battle on.

Wolfgang Richter / 19.05.2024

@ Thomas Szabo - “Dieselbe Parole findet sicher in allen Ländern und in allen Sprachen ihre Verwendung.” - Wie wärs analog mit Trumps Slogan “America first”? Hinweisen möchte ich noch auf den Fassadenschmuck des verurteilenden “Gerichts” - “Jedem das Seine”. Irgendwie sind hierzulande politisch motiviert diverse Parameter arg verrutscht.

Udo Bueltmann / 19.05.2024

Wie ich hören konnte, gilt jeder, dessen Strafgeld über 9000,00€ liegt als vorbestraft. Stimmt das?

Steve Acker / 19.05.2024

Falls es den grünroten gelingen sollte, dass Höcke gar nciht mehr gewählt werden darf, weil bestraft, könnte ich mir folgenden Effekt vorstellen. Vielleicht neigt manch konservativer dazu AFD wählen zu wollen, ist aber von Höcke abgeschreckt. Wenn Höcke weg sein sollte, wäre für diese Leute die aFD wieder wählbar. Sarcozy hat vor ein paar Jahren ein buch rausgebracht:  Tout pour la France   - Alles für Frankreich

Steve Acker / 19.05.2024

Das Urteil ist vollkommen grotesk. Dorothee Bär hatte es auf Ihrer website. Cathy Hummels hat es in den letzten Tagen verwendelt. und sicher andere mehr. ich schätze es wird der AFD und Höcke politisch nutzen. Wahrscheinlich wird dann das publikum den satz rufen. Es gab doch letztes Jahr dass verpönte volksfestlied “layla”. Auf einem Bierfest habe ich erlebt dass die Bank das spielte ,und sang nur den Refrain sang dann das Publikum. Das Lied wurde an dem Abend auf wiederholten Wunsch 4 mal gespielt.

arved c kayser / 19.05.2024

wie war das noch gleich mit dem “blinddarm” oder mit “madagaskar”...war da nicht was vor einigen monaten? und war da nicht auch was mit “sozialschädlingen”...? nee, oder…war nur ein böser albtraum. alles gut…weiterschlafen!

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