Mit Vater und Mutter ist das ja heute, im Zeitalter des Genderismus, so eine Sache. Aber früher, als die Welt noch in Ordnung war, wusste man natürlich, warum es Vaterland, aber Muttersprache hieß. Etwas verwirrend ist allerdings, dass es neben Vaterland auch Mutterland gibt, zum Beispiel in der Wendung „England ist das Mutterland der Demokratie“ oder auch „des Fußballs“. Und nicht auf den ersten Blick nachvollziehbar ist, warum man im Zeitalter der Gleichberechtigung so hartnäckig an der Formel von „Vater Staat“ festhält.
Wenn man aber ein bisschen nachdenkt, fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Unter der Großen Koalition von CDU und SPD, wie wir sie seit der Bundestagswahl 2013 haben, ist diese Formel geradezu das ideale Bindeglied zwischen den beiden Parteien, heißt es doch bei Wikipedia: „Das Bild [von Vater Staat] entspricht tendenziell dem Staatsverständnis der sozialistischen und teilweise auch konservativen Strömungen des politischen Spektrums. Die einen sehen den Staat in erster Linie als Sozialstaat (Sozialisten) die anderen eher als Garanten der Ordnung (Konservative).“ Oder anders ausgedrückt: der Vater als fürsorglicher Ernährer und strenger Erzieher.
Zwar hat es bis auf den heutigen Tag nicht an Versuchen gefehlt, jegliche staatliche Struktur abzuschaffen („Keine Macht für niemand“). Aber über den Status eines gedanklichen Konstrukts (Utopie) ist dieser Ansatz nicht hinausgekommen.
In Wirklichkeit weitet sich der Staat immer mehr aus und besetzt zunehmend auch Bereiche, die dem Einzelnen oder der Gesellschaft vorbehalten sein sollten (Prinzip der Subsidiarität). Zwar bekennt sich die CDU in ihrem Grundsatzprogramm (von 2007 – I./1. Nr. 14) immer noch zu diesem Prinzip: „Freiheit ermöglicht und braucht die eigenverantwortliche Lebensgestaltung. Deshalb ist das gesellschaftliche Leben nach dem Prinzip der Subsidiarität zu ordnen: Was der Bürger allein, in der Familie und im freiwilligen Zusammenwirken mit anderen besser oder ebenso gut leisten kann, soll seine Aufgabe bleiben. Staat und Kommunen sollen Aufgaben nur übernehmen, wenn sie von den einzelnen Bürgern oder jeweils kleineren Gemeinschaften nicht erfüllt werden können.“ Aber das sind natürlich reine Worthülsen. Die politische Wirklichkeit sieht, insbesondere seit Angela Merkel die Union führt, vollkommen anders aus.
Erst ab morgen geht es in die eigene Tasche...
Warum ich gerade jetzt auf solche Gedanken komme? Na ja, heute (12. Juli) ist doch „Steuerzahlergedenktag“. Das ist der Tag des Jahres, bis zu dem wir nur „für Vater Staat“ gearbeitet haben. Erst ab morgen geht es in die eigene Tasche..
„Sämtliche Einkünfte bisher sind nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler für Steuern und Beiträge draufgegangen. Steuerzahler-Präsident Karl Heinz Däke: ‚Das gesamte Einkommen, das die Steuer- und Beitragszahler vorher erwirtschaftet haben, wurde rein rechnerisch an den Staat abgeführt.‘ Wahnsinn: 53,3 Prozent ihrer Bruttoeinkünfte bekommen die Arbeitnehmer nicht in die Hand. Dieses Jahr müssen wir sogar sechs Tage länger für den Staat arbeiten als noch 2008.“ Einspruch, Euer Ehren: Däke ist seit Juni 2012 nicht mehr Präsident des BdSt, der Nachfolger heißt Reiner Holznagel. Stimmt. Danke für den Hinweis! Das Zitat ist vom 13. Juli 2009 und stammt aus der Bildzeitung. Geändert hat sich seither jedoch wenig: Damals fiel der Steuerzahlergedenktag auf den 14. Juli, dieses Jahr zwei Tage früher. Welch ein Fortschritt!
Da dachte ja schon der Alte Fritz („Ich bin der erste Diener meines Staates“), also Friedrich II., der Große, von Preußen (1712-1786) fortschrittlicher: "Eine Regierung muss sparsam sein, weil das Geld, das sie erhält, aus dem Blut und Schweiß ihres Volkes stammt. Es ist gerecht, dass jeder einzelne dazu beiträgt, die Ausgaben des Staates tragen zu helfen. Aber es ist nicht gerecht, dass er die Hälfte seines jährlichen Einkommens mit dem Staate teilen muss."
Von Joseph Goebbels, dem „Propaganda-Minister“ Hitlers, stammt die Aussage: „Wenn man eine große Lüge erzählt und sie oft genug wiederholt, dann werden die Leute sie am Ende glauben. Man kann die Lüge so lange behaupten, wie es dem Staat gelingt, die Menschen von den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen der Lüge abzuschirmen. Deshalb ist es von lebenswichtiger Bedeutung für den Staat, seine gesamte Macht für die Unterdrückung abweichender Meinungen einzusetzen. Die Wahrheit ist der Todfeind der Lüge, und daher ist die Wahrheit der größte Feind des Staates."
Natürlich gibt man einem Mann wie Goebbels ungern Recht
Natürlich gibt man einem Mann wie Goebbels ungern Recht. Aber was er da gesagt hat, stimmt leider nun mal, wenn auch jeder Politiker bei dieser Aussage die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde. Aber das wäre nichts als Heuchelei und damit eine Bestätigung der Goebbelschen Sentenz. Der französische Philosoph und Journalist Jean-François Revel hat es noch kürzer und prägnanter formuliert: „Die allererste aller Kräfte, die die Welt regieren, ist die Lüge.“ Es mag sein, dass in diktatorisch verfassten Staaten mehr gelogen wird als in demokratischen. Aber das sind keine prinzipiellen, sondern nur graduelle Unterschiede.
Hinzukommt, dass die CDU unter dem Vorsitz von Angela Merkel immer stärker sozialdemokratisiert wird, sei es, dass dies der Merkelschen Überzeugung entspricht, sei es, dass ihre „DDR-Gene“ durchbrechen. Letztlich macht das keinen Unterschied. Kaum hatte die Große Koalition die „Rente mit 63“ beschlossen, folgte der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro, dem sich nur fünf Abgeordnete der CDU widersetzten („Die Linke“ enthielt sich nur deshalb, weil ihr 8,50 Euro zu wenig waren).
„Die Welt“ – heftige Kritikerin der Merkelschen Politik – meldete am 4. Juli 2014: „In der Bevölkerung gibt es eine überwältigende Zustimmung zum Mindestlohn. 88 Prozent sind für die Einführung, nur zehn Prozent sind gegen das – neben dem Rentenpaket – wichtigste sozialpolitische Vorhaben der schwarz-roten Bundesregierung“. Ein Kommentator spricht in diesem Zusammenhang treffend von der „sogenannten CDU“.
Klar, wer gönnt den Friseusen und Paketzustellern, den Kellnern und Zimmermädchen nicht eine kräftige Lohnspritze? Dagegen rechnen die Arbeitgeber vor, dass bei 8,50 Euro 1,2 Millionen Stellen abgebaut würden. Eine Zahl, die Angst macht – auch wenn bislang niemand belegen kann, wie valide sie tatsächlich ist. Doch wenn wir das wissen, ist es leider zu spät.
Man hat förmlich gehört wie sich Ludwig Erhard im Grabe rumdrehte
Arbeitsministerin Andrea Nahles feierte den Mindestlohn in ihrer Rede als „moderne, soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert". Man hat förmlich gehört, wie sich der Vater der „sozialen Marktwirtschaft“, der erste Wirtschaftsminister der Bundesrepublik, Ludwig Erhard, bei diesen Worten im Grabe umdrehte. Mir bleibt das, als noch Lebendem, Gott sei Dank erspart. Dafür hat sich mir der Magen umgedreht, und ich musste an den Ausspruch des Malers Max Liebermann (beim Betrachten eines Fackelzugs zu Adolf Hitlers Machtübernahme) denken: „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.“
Meine Hauptkritik richtete sich nicht gegen den Betrag als solchen, sondern gegen das Prinzip. Mindestlöhne, sogar höhere, hatten wir schon bisher. Aber sie wurden nicht vom Gesetzgeber, sondern von den Tarifpartnern, also Arbeitgebern bzw. deren Verbänden und Gewerkschaften vereinbart und konnten sich damit an den Gegebenheiten der jeweiligen Branchen orientieren. Der gesetzliche Mindestlohn aber gilt flächendeckend. Hurra, wir sind auf dem Weg in den Sozialismus! Ich werde das hoffentlich nicht mehr erleben. Aber für unsere Kinder und Enkel tut es mir leid. Aber vielleicht stoppt ja „das Volk“ irgendwann noch diesen Irrsinn.
Apropos Vater Staat: Nur die deutsche Sprache kennt diesen Begriff
Apropos Vater Staat: Nur die deutsche Sprache kennt diesen Begriff. Engländern, Franzosen, Spaniern und Italienern ist er fremd. Selbst den Russen ist er nicht geläufig, sie sprechen nur von „Väterchen Frost“ (Дед Моро́з – djed marós, wobei djed an sich Großvater bedeutet), kennen dafür aber den Ausdruck „Mutter Heimat“ (Родина-мать). Die Briten gebrauchen allerdings den Begriff „Nanny State“, verbinden damit aber eine eindeutig negative Vorstellung.
Am „Steuerzahlergedenktag“ 2014 (8. Juli – geht es etwa aufwärts? Natürlich nicht!) las ich in der „Welt“ einen Artikel mit der Überschrift „Deutsche arbeiten 36 Tage länger für den Staat als Briten“. Darin hieß es: „Amerikaner dürfen sich schon am 21. April frei fühlen, Briten immerhin am 2. Juni. Die Bundesbürger hingegen müssen bis zum 8. Juli warten. Erst ab diesem Tag arbeiten sie für die eigene Tasche. Bis dahin haben die Deutschen – rein rechnerisch – nur dafür gearbeitet, um die Ansprüche von Staat und Gesellschaft zu befriedigen. Dieser "Steuerzahlergedenktag" ist in der Bundesrepublik so spät wie in kaum einem anderen Industrieland.“
Im Jahr 1960 fiel das Datum, das Arbeiten für die Gemeinschaft von Arbeiten fürs eigene Portemonnaie trennt, bei uns noch auf den 1. Juni. Damals lag die Einkommensbelastungsquote bei gerade mal 40,3 Prozent.
Was ist das für ein Staat, der seine Bürger in diesem Maße schröpft und dann im Vierten Armuts-und Reichtums-Bericht der Bundesregierung (Stand März 2013) auf 549 Seiten verkündet, dass die Armut in Deutschland weiter zugenommen hat? Außerdem ist der Zustand der Straßen und Brücken in Deutschland saumäßig, obwohl die deutschen Autofahrer pro Jahr gut 50 Milliarden Euro an den Staat zahlen. Und auch im Bildungsbereich (Schulen und Universitäten) sieht es nicht gerade rosig aus. Man hat beinahe den Eindruck, dass Vater Staat das Geld seiner Bürger versäuft, anstatt es sinnvoll zu investieren.