Vor genau einem Jahr hat die von einem im Januar in China identifizierten neuen Corona-Virus aus dem Dezember 2019 (2019-nCov) ausgelöste Erkrankung die Bezeichnung Covid-19 (Coronavirus desease 2019) erhalten. Bis heute ist ihr Gebrauch in Medizin, Medien und Politik uneinheitlich: Mal ist damit eine schwere Virus-Pneumonie gemeint, mal das ganze Spektrum vom Schnupfen über den grippalen Infekt bis zur kritischen Lungenentzündung; das Robert Koch-Institut wertet positive PCR-Tests gar unabhängig von jeder Symptomatik, also auch Symptomlose/Gesunde, als „Covid-19-Fälle“. Auch das Virus wurde umgetauft: aus „2019-nCoV“ wurde „Sars-CoV-2“.
Entsprechend war am 11. Februar 2020 z.B. im Ärzteblatt („WHO vergibt offiziellen Namen für neuartiges Coronavirus und Lungenerkrankung“) zu lesen:
„Die neuartige Lungenerkrankung aus China hat einen eigenen Namen bekommen. Sie werde nun Covid-19 genannt, sagte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, heute in Genf. Zugleich erhielt auch das neue Coronavirus einen eigenen Namen: Sars-CoV-2. Der Namensgeber des Erregers, die Coronavirus-Studiengruppe des Internationalen Komitees zur Taxonomie von Viren (International Committee on Taxonomy of Viruses) bezieht sich mit dem Namen Sars-CoV-2 auf die sehr enge Verwandtschaft zum Sars-Virus Sars-CoV […]. Der von der Studiengruppe genannte neue Name Sars-CoV-2 sei maßgeblich für die künftige wissenschaftliche Bezeichnung auch in Studien, sagte John Ziebuhr von der Universität Gießen. Er ist einer der Hauptautoren des Fachartikels zur Namengebung, der zunächst auf dem Server BioRxiv veröffentlicht wurde.“
Professor Drostens „Sars-CoV-2“ (11. Februar 2020)
Ein anderer bekannter Autor ist Christian Drosten, ebenfalls Mitglied der Coronavirus-Studiengruppe (CSG). In dem bereits erwähnten Dokument heißt es:
„Der gegenwärtige Ausbruch von Infektionen der unteren Atemwege, einschließlich des Atemnotsyndroms, ist der dritte Ausbruch eines tierischen Coronavirus auf den Menschen in nur zwei Jahrzehnten, der zu einer schweren Epidemie führt. […] Basierend auf Phylogenie, Taxonomie und etablierter Praxis erkennt das CSG dieses Virus offiziell als Schwester von schweren Coronaviren (SARS-CoVs) der Art mit schwerem akutem respiratorischem Syndrom an und bezeichnet es als schweres akutes respiratorisches Syndrom-Coronavirus 2 (SARS-CoV-2). […] Das Spektrum der klinischen Manifestationen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen beim Menschen muss noch bestimmt werden.“
Das muss man würdigen: Noch bevor „das Spektrum der klinischen Manifestationen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen beim Menschen […] bestimmt“ war, wurde also bereits mit der „künftigen wissenschaftlichen Bezeichnung“ suggeriert, dass der Erreger bei Infizierten in der Regel zu SARS, einem schweren akuten respiratorischen Syndrom, führt, weshalb das Virus eine ernsthafte Erkrankung im Namen trägt – und eine „schwere Epidemie“ im Gange sei.
Chinesische Virologen kritisieren Panikmache der Umbenennung (19. Februar 2020)
Der Vorgang ist wissenschaftlich und gesundheitspolitisch kritisierbar. Und so protestierte denn auch am 19. Februar eine Studie chinesischer Virologen in The Lancet gegen die Umbenennung des Virus und forderte, diese rückgängig zu machen (vgl.: hier und hier):
„… Die CSG behauptete, dass sie nicht beabsichtigen würde, auf SARS Bezug zu nehmen, wenn sie einen weiteren Virusnamen einführt, der vom Begriff SARS abgeleitet ist. SARS ist jedoch ein Krankheitsname, und die Bezeichnung des neuen Virus SARS-CoV-2 impliziert tatsächlich, dass es SARS oder ähnliches verursacht, insbesondere für Wissenschaftler ohne große Kenntnisse der Virologie und für Bürger im öffentlichen Bereich. Der neue Name stimmt auch nicht mit dem Krankheitsnamen COVID-19 überein. SARS-CoV-2 unterscheidet sich als natürlich vorkommendes Virus von allen anderen SARS-ähnlichen oder SARS-verwandten Coronaviren, die hauptsächlich durch ihre Genomsequenz gekennzeichnet sind. Bis zum 17. Februar 2020 hat 2019-nCoV in China und 24 anderen Ländern 71.331 Infektionen beim Menschen und 1775 Todesfälle verursacht und unterscheidet sich von SARS-CoV in biologischen, epidemiologischen und klinischen Merkmalen. Die Benennung von 2019-nCoV als SARS-CoV-2 ist daher wirklich irreführend. Für ein solches epidemisches Virus mit offensichtlicher internationaler Besorgnis verdient es seinen eigenen eindeutigen Namen. 2019-nCoV entwickelt sich noch weiter und es ist noch zu früh, um das Ergebnis des aktuellen Ausbruchs vorherzusagen. Einige Experten sagten voraus, dass sich 2019-nCoV zu einem schwach pathogenen, aber hoch übertragbaren Coronavirus entwickeln könnte, das jeden Winter zurückkehren könnte, wie das Virus, das saisonale Influenza verursacht. In diesem Fall könnte der Name SARS-CoV-2 negative Auswirkungen auf die soziale Stabilität und die wirtschaftliche Entwicklung in Ländern haben, in denen das Virus eine Epidemie verursacht, möglicherweise sogar weltweit. Menschen entwickeln Panik bei dem Gedanken an ein erneutes Auftreten von SARS. […] Aufgrund spezieller klinischer, virologischer und epidemiologischer Merkmale und der Unsicherheit des neuartigen Coronavirus schlagen wir, eine Gruppe von Virologen in China, vor, SARS-CoV-2 umzubenennen, um Irreführung und Verwirrung zu vermeiden und Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit bei der besseren Kommunikation zu helfen: in humanes Coronavirus 2019 (HCoV-19). Ein solcher Name unterscheidet das Virus von SARS-CoV und hält es mit dem WHO-Namen der von ihm verursachten Krankheit COVID-19 in Einklang.“
Studien belegen Influenza-Ähnlichkeit (18. bis 28. Februar)
Erste Studien zum „Spektrum der klinischen Manifestationen im Zusammenhang mit Corona-Infektionen“ geben den chinesischen Virologen recht. Erkenntnisse des chinesischen CDC zu Wuhan führen dazu, dass das RKI das neue Coronavirus noch am 24. Februar (siehe hier) als grippeähnlich einstuft. Am 28. Februar heißt es in einem sogar von Anthony Fauci mitverfassten Artikel in The New England Journal of Medicine mit Verweis auf bis dahin vorliegende Studien:
„Auf der Grundlage einer Falldefinition, die die Diagnose einer Lungenentzündung erfordert, liegt die derzeit gemeldete Todesrate bei etwa 2%. In einem anderen Artikel im Journal berichten Guan et al. über eine Mortalität von 1,4% bei 1099 Patienten mit im Labor bestätigtem Covid-19; Diese Patienten hatten ein breites Spektrum an Schweregraden. Wenn man davon ausgeht, dass die Anzahl der asymptomatischen oder minimal symptomatischen Fälle um ein Vielfaches höher ist als die Anzahl der gemeldeten Fälle, kann die Sterblichkeitsrate erheblich unter 1% liegen. Dies deutet darauf hin, dass die klinischen Gesamtfolgen von Covid-19 letztendlich eher denen einer schweren saisonalen Influenza (mit einer Todesrate von etwa 0,1%) oder einer pandemischen Influenza (ähnlich wie in den Jahren 1957 und 1968) ähnlich sind als einer Krankheit wie SARS oder MERS, bei der die Sterblichkeitsrate 9 bis 10% bzw. 36% betrug.“
Ebenfalls am 28.Februar heißt es im Journal of Travel Medicine der Oxford-Akademie über die Veröffentlichung des chinesischen CDC zu Wuhan:
„On 18 February 2020, China’s CDC published their data of the first 72 314 cases including 44 672 confirmed cases. About 80% of the confirmed cases were reported to be mild disease or less severe forms of pneumonia, 13.8% severe and 4.7% critically ill. Risk factors for severe disease outcomes are older age and co-morbidities.“
Triumph der Labor-Virologie
Eine Woche nach der irreführenden und panikstiftenden Namensgebung „Sars-CoV-2“ durch CSG und Christian Drosten war also bereits klar, dass das neue Corona-Virus – im Unterschied zum SARS- wie MERS-Virus – nur in äußerst seltenen Fällen schwere Atemwegserkrankungen und Lungenentzündungen gar mit tödlichem Verlauf auslösen, und dies vor allem – wie bei Influenza – Hochbetagte mit Vorerkrankungen betreffen würde. Damit drohte auch keine „schwere Epidemie“. Trotzdem sah Drosten, der Corona noch bis in den März als „milde Erkrankung, Erkältung“ einstufte, keinen Grund, die Studie zur völlig verfehlten Namensgebung zurückzuziehen.
Und mögen er und andere zumindest in dem Punkt gegen die chinesischen Kritiker auch recht haben, dass es rein molekularbiologisch Gründe für die taxonomische Eingruppierung des neuen Coronavirus in die SARS-Familie geben könnte, so triumphierte hier die Labor-Virologie über die Klinik- bzw. Humanmedizin, insbesondere die Perspektive von Lungenfachärzten, und jede vernünftige Public Health Politik. Ohne damit der „etablierten Praxis“ der Virologie zu widersprechen, hätte es unter gesundheitspolitischen Gesichtspunkten nähergelegen, es beim Namen 2019-nCoV zu belassen oder das Virus nach seinem „Entdeckungsort“ Wuhan zu benennen, wie man es mit anderen Corona-Viren vorher auch gehalten hat.
Drostens Aufstieg
Für Drosten persönlich konnte es nicht besser laufen. Als „Entdecker“ des ersten SARS-Virus und Entwickler des passenden PCR-Tests für dieses (2003), als „Sars“-Experte also, würde sein Wort zu allem, was ein neues, „Sars-2“ getauftes, Virus betrifft, zu dem er, als es noch „2019-nCoV“ hieß, bereits im Januar wieder einen PCR-Test beisteuerte, besonderes Gewicht haben. Umso mehr, als es Mitte März begann, seinem Namen alle Ehre zu machen und sich gegen jede Datenlage zu einem „Killer-Virus“ zu mausern.
Am 4. März erschien die Shenzhen-Studie, wonach 91 Prozent der Fälle milde (26 Prozent) bis moderate (65 Prozent) Symptome hatten und 9 Prozent unter einem schweren Verlauf litten. Die erhobenen Daten zum Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ [Studie vom 9. März] zeigten, dass mehr als die Hälfte der kontaminierten über 70- und über 80-Jährigen überhaupt keine Symptome entwickelten, also weder infiziert noch infektiös geschweige denn erkrankt waren. In Italien waren (nach offiziellen Daten vom 4. März, 17. März und 20. März) verschwindend wenige der mit positivem PCR-Test Gestorbenen (laut Patientenakten) nicht vorerkrankt, das Durchschnittsalter der Gestorbenen rangierte über der durchschnittlichen Lebenserwartung, und zudem lagen im Median 2 bis 3 Vorerkrankungen vor – und zwar solche, die, wie die Pneumonie (ob bakterien- oder virenbedingt, ob ambulant oder im Krankenhaus erworben) selber (nach der „Gesundheitsberichterstattung des Bundes – gemeinsam getragen von RKI und Destatis“) zu den 15 häufigsten Todesursachen in Deutschland gehören. Solche Datensätze haben den Präsidenten der Italienischen Gesundheitsbehörde auf einer Pressekonferenz vom 13. März zur unmissverständlichen Klarstellung bewogen, dass die „überwiegende Mehrheit“ der offiziell publizierten „Corona-Toten“ Italiens „nicht an Covid-19“ stirbt.
Es nützte nichts mehr. Längst wurden die „Bilder aus Bergamo“ mit den positiven Ergebnissen des weltweit empfohlenen Drosten-PCR-Tests zusammengeschlossen. Anders ausgedrückt (27. März, Frankfurter Rundschau):
„Christian Drosten berät Angela Merkel, aber auch die Provinz. Er ist schon lange Coronavirus-Experte und hat sich bereits mit dem Vorläufer Sars beschäftigt. (…) Am 30. Dezember wurden sie in der Virologie der Charité hellhörig. Ein Mitarbeiter hatte bei Twitter Meldungen über eine neuartige Viruserkrankung entdeckt. Für Institutsdirektor Christian Drosten und seine Leute stand schnell fest: Es handelt sich mit großer Sicherheit um eine Krankheit, die von einem Coronavirus hervorgerufen wird. Als wir Mitte Januar in seinem Büro in der Charité an seinem großen rustikalen Besprechungstisch sitzen und uns über das Virus unterhalten, ist er ein namhafter Virologe – in der internationalen Virologenszene gut bekannt, wenig darüber hinaus. Wenige Zeit später ist er einer der einflussreichsten Männer des Landes. Praktisch jeder kennt das ernste Gesicht des Wissenschaftlers, der der Regierung und den Bürgern das Wesen der Pandemie erklärt. Und der Ratschläge gibt, welchen die Kanzlerin und das Bundeskabinett, Landesregierungen und regionale Behörden folgen.“