Um einen angeblich für jeden Moment anstehenden Putsch Trumps zu verhindern, sind aktuell mehr als 25.000 Soldaten der Nationalgarde in voller Ausrüstung in Washington stationiert, so dass es dort derzeit kurioserweise nicht wie vor, sondern wie nach einem Putsch aussieht. Die Medien und zahlreiche besonders meinungsstarke Politiker der Demokraten schwanken zwischen der Beruhigung, Trump sei endlich die Kontrolle über die Nationalgarde entzogen und der Befürchtung, er hätte sie in Marsch gesetzt, um in letzter Minute… na, sie wissen schon. Die Angst vor dem eigenen Militär geht um in der politischen Kaste, ein Phänomen, dass es seit den 1860er Jahren nicht mehr gegeben hat.
Wenn heute auf den Stufen des Kapitols die Inauguration Bidens vollzogen wird, wird das Gebäude und das ganze Gelände um die National Mall eingezäunt, abgeriegelt und so isoliert sein, dass die Veranstaltung ebenso gut in einem Keller in Wilmington, Delaware hätte stattfinden könnte. Wir haben es also gewissermaßen mit der Fortführung des Wahlkampfes mit demselben gebremsten Schaum zu tun – natürlich nur aus Sachgründen, nicht aus mangelnder Begeisterung.
Spöttische Zungen, die den Bilderstreit um die Inauguration Trumps und deren medialen Vergleich zur Amtseinführung Obamas nun unter umgekehrten Vorzeichen wieder in Erinnerung bringen werden, wird man mit Verweis auf den Belagerungszustand und Covid darauf verweisen, dass leider nicht mehr Zuschauer kommen konnten, obwohl diese das selbstverständlich gewollt hätten – so sei es ja auch auf den Wahlkampfveranstaltungen Bidens gewesen, wo dieser flammende Reden gehalten habe, die seine Anhänger begeistert und seine Wähler aktiviert hätten. Aber sicher doch.
Es könnte sogar noch schlimmer werden
Es könnte jedenfalls ein denkbar wenig glanzvoller, ja geradezu heimlicher Start für POTUS46 werden, welcher sich den Wählern vor allem dadurch empfahl, nicht Trump zu sein. Schließlich geht es seit Monaten um nichts anders als die Imagination einer möglichst großen und einschüchternden Anhängerschaft und die Marginalisierung des Gegners. Wir kennen diese albernen aktivistischen Schwanzvergleiche auch aus Deutschland, etwa unter dem Hashtag „#Wirsindmehr“, ja ebenfalls zur Genüge, wo Gruppenstärke vermeintlich Recht schafft und die Zusammenzählung von Köpfen für Demokratie gehalten wird.
Um die Ausgangslage seiner Präsidentschaft kann man Biden jedenfalls nicht beneiden. Tausende Flaggen auf der National Mall sind nur ein spärlicher Ersatz für echtes Publikum, machen sie doch deutlich, wie distanziert – um nicht zu sagen: entrückt – die Politik dem Wähler mittlerweile ist. Das Misstrauen, welches schon seit vier Jahren herrscht, ist auch immer noch da. Nur mit umgekehrten Vorzeichen und sogar stärker als je zuvor. Von gestohlenen Wahlen wurde auch bereits vor vier Jahren gesprochen und nichts, nicht einmal FBI-Ermittlungen, konnte die Anhänger Clintons dazu bewegen, von dieser Meinung anzurücken. Soviel zur Akzeptanz von Wahlergebnissen.
Warum sollte es diesmal anders laufen? Es könnte sogar noch schlimmer werden, weil an die Stelle von Prahlerei und ignoranter Missachtung des politischen Gegners nun ein handfester „Domestic War on Terror“ treten wird, der Anderswähler und Andersdenker kurzerhand zu Feinden erklärt, denen man das Existenzrecht abspricht. Die Parallelen zum „War on Terror” unter Bush sind erschreckend, wie Glenn Greenwald in seinem Artikel gut darstellt. In einer Art selbsterfüllender Prophezeiung schafft man sich letztlich die Gegner, indem man sie zu solchen erklärt und wie Gegner behandelt. Es fehlt ja nicht an populistischen Forderungen, Anhänger und Wähler Trumps mit denselben Mitteln zu bekämpfen, die man in Folge der Anschläge des 11. Septembers für äußere Feinde entwickelt hatte.
Ein Krieg, der sich nicht gegen einen äußeren Feind, sondern gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung richtet, hat jedoch einen Namen, der den Amerikanern schrecklich vertraut ist: Civil War. Der aktuell stattfindende wird jedoch nicht mit Vorderladern und Bajonetten am Bull Run oder bei Gettysburg ausgefochten. Ja, ich bin der Meinung, dieser Krieg tobt bereits. Heutige Schlachten laufen virtuell ab, sind deshalb jedoch nicht weniger verheerend bis tödlich, was nicht ausschließt, dass der oberflächliche Betrachter nicht einmal begreift, dass da ein Konflikt tobt.
Mit Julian Assange Begnadigung hätte Trump in die Geschichte eingehen können
Das erste Opfer im Krieg, so sagt man, ist die Wahrheit. Also nichts, um dass sich die meisten Medien in den Vereinigten Staaten ernsthaft kümmern würden, weil sie die Wahrheit immer und unverrückbar auf der eigenen Seite verorten. Gerade deshalb ist die letzte Entscheidung des scheidenden US-Präsidenten auch umso schmerzhafter, weil sie eine Unterlassung ist: Er weigerte sich, Julian Assange Pardon zu gewähren, um Wikileaks, einer der wenigen unabhängigen Rechercheplattformen, die der Macht des Establishments im Weg stehen, den Rücken zu stärken.
Mit dieser Begnadigung hätte Trump in die Geschichte eingehen können, stattdessen verfestigt sich nun wieder eine Form von Politik in den Vereinigten Staaten, die Skandale unter den Teppich kehrt, Whistleblower verachtet und verfolgt und sich hinter einer Fassade aus Identitätspolitik und progressiver Symbolik hemmungslos bereichert. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass sich Biden aus diesem Sumpf erheben kann, denn er ist Gewächs dieses Sumpfes und hatte fast 50 Jahre Zeit, darin Wurzeln zu schlagen.
Für den Beginn seiner Präsidentschaft möchte ich ihm und den Vereinigten Staaten von Amerika dennoch alles Gute wünschen. In spätestens 100 Tagen wird erste Bilanz zu ziehen sein. Viel wird davon abhängen, ob Präsident Biden dann von den Schlachten sprechen wird, die er gewonnen, oder von den Gegnern, mit denen er sich versöhnt hat.
Dieser Beitrag erscheint auch auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.