Cora Stephan / 15.12.2020 / 12:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 44 / Seite ausdrucken

Zug um Zug, Sucht und Ordnung

Es ist jetzt fast 30 Jahre her, dass ich die letzte Zigarette meines Lebens geraucht habe. Angefangen habe ich mit 15. Meine Mutter, die damals gerade das Rauchen aufgeben wollte, kam jetzt zu mir, um eine Kippe zu schnorren. Ein ungewohntes Machtgefühl. 

Rauchzeichen auf dem Schulklo. Nach der Schule beim Tchibo. Und während des Studiums mussten Benson & Hedges auf dem Schreibtisch liegen, bevor ich auch nur einen Gedanken denken konnte, die kamen in so einer schönen goldenen Schachtel, das täuschte Stil vor. Später bevorzugte ich Selbstgedrehte, Samson Halfzware, das krümelte zwar, war aber die stärkere Dröhnung (freihändig drehen kann ich noch heute). Die erste morgens im Bett. Die letzte abends im Bett. Davor, danach, zwischendurch. Immer. 

Bis mir zwei übermütige Ärzte den baldigen Tod verhießen und an meinen Überlebenstrieb appellierten. Ihre Diagnose war falsch, aber das wusste ich erst, als ich mit dem Rauchen aufgehört hatte. Und nein, es war nicht, wie schwache Charaktere behaupten, leicht – sie hätten das ja schon mehrmals geschafft! Es war eine Qual und bescherte mir zehn Kilo mehr. Andererseits: der Wein schmeckte besser und man roch nicht mehr so abgestanden, ganz zu schweigen von anderen Vorzügen. Doch wer denkt schon vernünftig, wenn es um Sucht geht?

Auch Matthias Matussek nicht, der brauchte einen Herzinfarkt, um das Rauchen aufzugeben. Das Buch, das er darüber geschrieben hat, ist ein wunderbarer Trip zurück in eine Welt, als Rauchen noch erotisch war, jedenfalls, wenn Lauren Bacall sich von Humphrey Bogart Feuer geben ließ. Oder Steve McQueen und Faye Dunaway. Was fing nicht alles mit einer geteilten Zigarette an! 

Das Buch ist eine Reise in eine längst entschwundene Ära, „in der in den Flugzeugen in den schmalen Seitenlehnen noch schmalere Aschenbecher untergebracht waren“. In Werner Höfers „Internationalem Frühschoppen“ wurde derart gequarzt, dass böswillige Menschen behaupten, man habe nur noch die Stimmen der sechs Journalisten aus fünf Ländern vernommen. (Ich habe später noch im Presseclub mitgequarzt.)

Man könnte nostalgisch werden. In den 70er Jahren war Rauchen irgendwie intellektuell. Oder existenzialistisch, hing ganz von der Marke ab. Rebellen rauchten, die Suffragetten taten es, und selbst Delinquenten erlaubte man einen letzten Zug vor der Hinrichtung. Die Raucher waren überhaupt die Interessanteren, selbst auf Parteitagen der Grünen, wo vor allem die Weiber auf dem Rauchverbotstrip waren (nicht alle, gottlob). Draußen vor der Tür fanden weltentscheidende Intrigen statt, das wollte man doch wissen! Noch heute gehe ich mit den Rauchenden (m/w/d) unter meinen Freunden auf den Balkon oder vor die Tür, um nichts zu versäumen. Und nicht vergessen: Wir verdanken den Rauchern die wärmespendenden Einrichtungen über den Tischen vor den Gasthäusern, auch Nichtraucher saßen da gern, watching the girls and boys go by. Ob es das jemals wieder gibt?

Rauchen ist eine Sucht, aber sicher. Doch Laster gehören „zum Erfahrungsschatz eines Lebens“, und Matussek hat damit einige Erfahrung (wie ja sogar der Hl. Augustinus, also bitte). Wenn es stimmt, dass niemand sich daran erinnern kann, der damals dabei war: Hier kann man all das aus den Tiefen des schwindenden Erinnerungsvermögens hervorkitzeln, was einst zur abenteuerfreudigen Jugend gehörte, jedenfalls bei denen, die nicht im RCDS waren. 

Ob die „Jugend von heute“ wissen will, wie es damals war, weiß ich nicht. Dringend zu empfehlen ist die Lektüre jedoch all den Veteranen, die bei Raucher-Entwöhnungskursen in der Reha in Bad Oeynhausen wie einst MM in den Sesseln liegen und über ihr verrauchtes und verrauschendes Leben nachdenken. Reihum sollte einer aus Matusseks Buch vorlesen, zum Miterleben: Als wir das erste Mal gekifft haben. Oder auf dem LSD-Trip waren. Es mit Heroin und Koks versucht haben, um beides schnell wieder aufzugeben. Oder in einem klapprigen VW-Bus Richtung Indien fuhren. Ich sehe die Damen und Herren lächeln und nicken – ja, so war das. Und eigentlich war es gar nicht so übel. Das Schönste aber: So naiv wie damals waren wir nie wieder. 

So naiv wie Matussek und seine Freunde, auf dem Trip nach Indien. Entweder Revolution oder Erleuchtung: Indien musste damals einfach sein. Die Freunde kamen auf die überzeugende Idee, schwarzen Afghan aus Pakistan nach Indien zu schmuggeln, als Reisefinanzierung. MM hatte sein Piece als orthopädische Einlage im Stiefel versteckt, wo es sich in der Hitze beim Grenzübergang verflüssigte – ein Duft, der niemandem entgehen konnte, dessen Nase tat, was sie soll. In Ketten gelegt, ins Gefängnis gebracht – ein Trip nach innen, dank der Lektüre von Marcuses „Der eindimensionale Mensch". Vor allem aber dank Opium, was die zwei Monate im indischen Knast offenbar geradezu paradiesisch machte. 

Die Säufer wiederum waren ein anderer Stamm als die Kiffer. „Kiffer war verwöhnter Mittelstand, der Suff war Arbeiterklasse.“ Und wer soff wie Charles Bukowski, war Extraklasse. Der Bericht über den Besuch bei der „alten Drecksau“ (Der Spiegel) aber hat dennoch etwas von einem Trip, ebenso der bei William S. Burroughs, zwei Erfahrungen, um die man Matussek beneiden könnte. Vor allem um das Familientreffen der Gegenkultur zwanzig Jahre nach dem „Summer of love“ der Hippies in San Francisco. Und um die Katzen in Burroughs Häuschen: „Katzen schnüren über die zertretenen Dielenbretter, Katzen schwimmen in großen bunten Kissen auf dem Boden, Katzen sonnen sich auf der Durchreiche zur Küche.“ Der Meister selbst sammelt letzte Worte, etwa die von Billy the Kid. Der trat in ein dunkles Zimmer, sah einen Schatten und rief: „Quièn es“? Pat Garret erkannte die Stimme und erschoss ihn. „Quièn es“ heißt – wer ist da. Es war der Tod. 

Ja, der kommt näher. Da wird sogar einer, der sich noch immer wie ein alberner 14-Jähriger fühlt und manchmal auch so verhält, altersweise, zumal, wenn er mittlerweile ein guter Katholik geworden ist. „Auch Poeten, Priester und Philosophen werden älter – sogar Journalisten. Wie damit umgehen? Empörung bringt nichts – mag der innere Teenager auch noch so zürnen. Vorteil für uns Katholiken: Der Blick auf die Ewigkeit tröstet und ist für mich verbunden mit der Fähigkeit, Danke zu sagen. Oder, in diesem aktuellen Falle: Thank you for not smoking.“

Liebe noch immer Rauchende (m/w/d): Wenn Matthias Matussek den Entzug geschafft hat, schaffen Sie das auch. 

Matthias Matussek, Sucht und Ordnung. Wie ich zum Nichtraucher wurde und andere irre Geschichten, M&M productions 2020, E-Book 9,99, Buch 15 Euro. 

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Sabine Heinrich / 15.12.2020

Liebe Cora Stephan, herzlichen Dank für Ihren Artikel, über den ich mich (Nichtraucherin - von einer kurzen Unterbrechung vor ca. 4 1/2 Jahrzehnten abgesehen) köstlich amüsiert habe! Ach, war das herrlich, als das Klima noch nicht so moralinsauer war,  als wir uns mit der Säge in jeder Pause den Weg durch die Rauchschwaden ins Lehrerzimmer zu unseren Plätzen bahnen mussten und der gutaussehende Musiklehrer mit einer Zigi in der Hand den Umzug (Vogelschießen) begleitete. Daran hat niemand Anstoß genommen. Es war lockerer - wir waren alle entspannter, dennoch war die Disziplin viel größer als heute. Und es gab sehr viel mehr Freude in der Schule. Dann kamen irgendwann die Verbotsfanatiker. Die Anforderungen an uns wurden immer größer - und gleichzeitig hagelte es Verbote. Schon Ende der 90er Jahre   durften selbst wir Lehrer, wenn wir noch längst außerhalb der Dienstzeit oder in den Ferien gearbeitet haben, weder eine rauchen - wohlgemerkt auf dem gesamten Schulgelände auf einsamer Flur - geschweige denn, ein Schlückchen zur Entspannung zu uns nehmen. Wir waren also gezwungen, heilige Anordnungen zu missachten. Was mich besonders fuchtig gemacht hat - diese ganzen Verbote und Drangsalierungen kamen aus dem Kultusministerium in Kiel, an dessen Spitze seit den 80er Jahren nahezu durchgehend in der Praxis gescheiterte Lehrer allerlei Geschlechts sowie Leut*Innen standen, die von Schulpraxis keine Ahnung hatten. Info für jüngere Leute hier: Bis in die 80er Jahre gab es Raucherzimmer - für Schüler ab 16 - später immerhin eine Raucherecke. Übrigens: Am schlimmsten war eine süchtige Kollegin, die das Rauchen aufgegeben hatte. Vorher schon ein Giftzahn, entfaltete sie sich nach dem Entzug zu prächtiger Größe. Mich haben die Raucher nie gestört - und als es dann getrennte Lehrezimmer für Raucher und Nichtraucher gab, habe ich mich bei den Rauchern niedergelassen - sie waren entspannter und lockerer als die Nichtraucher.

Reinhard Ickler / 15.12.2020

Als Jungen wollten wir natürlich auch unbedingt mal rauchen. War ja ein Schritt hin zum Erwachsenwerden. Wir haben es mit Klopapier (so grobem) versucht. Mußte ja bloß glimmen Auch mit Pfefferminzblättern in einer aus einer Kastanie selbstgemachten Pfeife. Meinem Vater holte ich jeden Sonntagmorgen eine Zigarre vom Kiosk, die ich anrauchen durfte. Aber die lebhafteste Erinnerung habe ich an meinen Opa, der immer eine Zigarre im Mund hatte, die oft sogar kalt war! Den Duft seiner Kleidung werde ich nie vergessen. Er ist 89 geworden, hat, glaube ich, noch in der Nacht, bevor er dahinging, noch eine geraucht. Ich selbst rauche nun auch schon über die Hälfte meines Lebens Zigarren, gewissermaßen als Nachfolger… Allerdings nur im Freien…also im Sommerhalbjahr. Während meines Studiums rauchten die Assistenten noch im Labor… Einer stippte mal seine Zigarettenasche in das Ausgußbecken ab - in dem sich ziemlich viel Ätherdampf gehalten hatte… schöne Stichflamme.  

PALLA, Manfred / 15.12.2020

+++ P R E I S F R A G E +++  - in welcher/m WeltRegion/SprachRaum zählt man bereits ab Geburt “irgendwie” schon zu den “RAUCHERN” ???  - kleiner Tipp: - hat was mit einem “TU-Wort” zu tun ?!? - oder, wo gibt es die meisten “SKI”-Anhänger ??? - Tipp: - weltbekannter polnischer “Roman”  ;-)

E Ekat / 15.12.2020

Eine wundervolle Reise in eine lustvolle, ferne Vergangenheit. Die Angst vor einem gräßlichen Tod, die zur uns verordneten Abgewöhnung auf jeder Zigaretten-schachtel geschürt wird, diese instrumentalisierte Angst spielt auch eine Rolle, wie wir in die Corona-Katastrophe geschlittert wurden. Die Bilder greifen ineinander.  Mit der Zigarette hat eine gutmeinend planende Dressurelite uns die Möglichkeit aus der Hand geschlagen, inneren Stress abzubauen, sich zu belohnen, Identität zu suchen, soziale Kontakte zu pflegen. Selbstbelohnug und Stressabbau erfolgen seitdem durch Kalorienzufuhr, Nahrungsmittel-Mißbrauch. Folge: Übergewicht, Diabetes. Ein Einstieg in die nächste Lenkung: Zucker-Verbot. Emotionsgesteuerte Magenverkleinerer neigen dann zum Alkohol-Mißbrauch. Es sind keine Menschenfreunde, die bei uns das Zepter in die Hand bekommen haben, sondern Süchtige, die ihrerseits einem Trieb fröhnen, anderen etwas vorzuschreiben. Gemeinsam befinden wir uns auf dem lustfeindlichen Weg zum neuen Menschen. Fragt sich, was an diesem erstrebenswert sei. Danke für diesen Artikel.

Dr. Gisela Meyer / 15.12.2020

Es wundert mich nicht, daß, wie man im Artikel und den Kommentaren lesen kann, viele Achse des Guten-Leser ex-Junkies sind. Der Asoziale, Name vergessen, so’n abstossend hässlicher Deutscher, der hier mit Lust beleidigt zensiert, vermutlich auch. Deutscher Abschaum eben, über den sich der Rest der Welt, wir, kaputt lacht.

Klaus Karre / 15.12.2020

Lange nicht mehr mit soviel Genuß die Leserbriefe inhaliert…Oh, ich liebe Euch Raucher….die Einsamkeit des Lasters löst sich im blauen Dunst auf…verdammt, wo ist das sch…Feuerzeug

Hans Schnaider / 15.12.2020

Ich vergaß: wenn heute jemand in meiner Nähe raucht suche ich seine Gesellschaft. Ich mag diesen Duft sehr, sehr gerne. Zu damaligen Raucherzeiten ist mir das nicht aufgefallen, olfaktorisch war eh alles vernebelt. Rückfallgefahr? Nö, null Komma null.

T. Schneegaß / 15.12.2020

@Peter Jamnig: Sie sprechen mir und vielen Anderen hier aus der Seele. Was sind all diese Abstinenzler für Sauertöpfe, nicht zum Aushalten. Wenn wir zwei Alten mal auf einer Feier mit der heute “jungen Generation” sind (was nicht mehr so häufig vorkommt), fragen wir uns immer, WANN geht denn hier mal was los? Als wir einmal meine damals hochbetagte Mutter im Pflegeheim besuchten, fuhren wir mit dem Trike vor und äußerten gegenüber der jungen Leiterin, die gerade ihre Mittagspause im Garten genoss, unsere Absicht, einen Aufnahmeantrag in ihre Einrichtung zu stellen. Ich werde mein Leben lang nicht deren Miene vergessen, nur lachen konnte sie nicht.

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