Es geschah am helllichten Tage. Im Stadtzentrum von Zürich fahren zwei Limousinen hintereinander. Das ist noch nicht wirklich außergewöhnlich. Der zweite Wagen schließt immer näher zum ersten auf, bedrängt dessen Fahrer. Nun ja, wir halten die Spannung noch knapp aus.
Vor dem Haus Metropol, direkt hinter dem Sitz der Schweizerischen Nationalbank, ein Steinwurf von der berühmten Bahnhofstraße entfernt, stoppt der erste Wagen. Sein Fahrer steigt aus und zückt sein Smartphone, um seine Verfolger und vor allem das Nummernschild ihres Wagens zu filmen. Das zweite Auto hält auch, drei Männer steigen aus, unter ihnen, wie Zeugen später aussagen, ein tätowierter Schlägertyp. Sie versuchen, dem Verfolgten sein Handy wegzunehmen, es entwickelt sich ein Gerangel mit Geschrei. Passanten werden darauf aufmerksam, die drei Männer hasten zu ihrem Auto zurück und fahren davon. Nur um kurz darauf von der Polizei geschnappt und kurzfristig in Untersuchungshaft gesetzt zu werden. Versuchter Handy-Diebstahl, das gibt nicht wirklich etwas her.
Die ganze Geschichte wäre so langweilig wie das Image von Zürich, wenn der Verfolgte irgendwer wäre. Ist er aber nicht. Sondern sein Name ist Iqbal Khan. Und bevor Sie jetzt etwas Falsches denken: Khan ist ein Starbanker. Ein Regemacher. Er leitet die Abteilung Private Banking, Vermögensverwaltung, bei der Credit Suisse. Genauer: leitete. Im heutigen Banking ist das die zweitwichtigste Position, neben dem Leiter Investment-Banking und unter dem CEO der Bank. Hier amtete Khan also bis Anfang Juli dieses Jahres. Durchaus erfolgreich.
Es hatte also gekracht
Umso erstaunter war die Öffentlichkeit, als plötzlich bekannt gegeben wurde, dass die Credit Suisse (CS) und Khan per sofort getrennte Wege gingen. Es war klar: Da musste es gekracht haben, und zwar kräftig. Aber solche Kämpfe auf der obersten Ebene werden normalerweise hinter verschlossenen Türen ausgetragen, und da funktioniert noch das Schweizer Bankgeheimnis.
Noch mehr Erstaunen löste aber aus, dass nach kurzer Pause bekannt gegeben wurde, dass Khan schon einen neuen Job hat. Leiter Private Banking bei – der UBS. Der schärfsten Konkurrentin der CS; beide Hauptquartiere belauern sich am Paradeplatz in Zürich. Das war nun mehr als ungewöhnlich. Denn normalerweise beträgt die Kündigungsfrist in dieser Gehaltsklasse mindestens sechs, manchmal auch zwölf Monate. Plus ein Konkurrenzverbot, das noch länger dauern kann.
Denn man will ja nicht, dass der führende Mitarbeiter mit all seinem Herrschaftswissen direkt zur Konkurrenz geht und dort auspackt. Es hatte also gekracht, und hinzu kam, einzig plausible Erklärung, dass Khan über den CEO etwas wusste und der über ihn, was beide nicht an die Öffentlichkeit gezerrt haben wollten. Mutual Assured Destruction nannte man das im Kalten Krieg. Wer als Erster auf den Atomknopf drückt, stirbt als Zweiter. Der Kalte Krieg ist vorbei, aber im Banking geht’s munter so zu und her.
Eine Straftat, Vorstrafe, Ende Gelände
Noch vor kurzer Zeit lächelte der CEO der CS, Tidjane Thiam, gütig in die Kamera, auf dem Abschiedsfest, das die CS für Khan schmiss. Man wünsche ihm alles Gute, rief die Bank ihm hinterher. War aber offenbar geheuchelt. Denn es gibt einen einfachen Trick, einer abtrünnigen Führungskraft die Suppe zu versalzen. In der Schweiz muss jeder Chefbanker von der Finanzmarktaufsicht die sogenannte Gewähr bekommen. Die Lizenz zum Banking. Wird ihm die entzogen, kann er stempeln gehen. Und eine Vorstrafe ist Grund für den Entzug.
Also kann der rachsüchtige Ex-Arbeitgeber zwei Dinge tun. Er geht mit der Lupe durch die Spesenabrechnungen des Abtrünnigen. Findet er da was, ist’s Betrug, eine Straftat, Vorstrafe, Ende Gelände. Die zweite Methode ist, dem Abtrünnigen nachzuforschen. Ob er wohl seine Kundschaft, seine bisherigen Mitarbeiter zur Konkurrenz abwerben will. Ebenfalls eine Straftat, Ende Gelände.
Dafür werden auch in der Schweiz durchaus rustikale Methoden verwendet. Kontrolle der Mails, Abhören des Telefons, wohl auch ab und an Beschattung. Nur: Niemand kann sich hier erinnern, dass es schon mal einen so stümperhaften Versuch einer Beschattung gegeben hat. Von Volltrotteln, die sich so auffällig benehmen, dass der Banker, der eigentlich mit seiner Gattin shoppen wollte, Übles ahnt, die Verfolger zur Beweissicherung filmt. Die schaffen es dann zu dritt nicht, ihm das Handy wegzunehmen.
Interessante Privatangelegenheit
Nun könnte man einwenden: Aber diese Beschattung könnte doch von irgendwem beauftragt worden sein, wieso mit dem Finger auf die CS zeigen? Ganz einfach: Die Bank war nicht nur so bescheuert, diese Pfeifen anzuheuern, sie hat es sogar zugegeben. Der muntere Finanzblog „Inside Paradeplatz“ machte den Vorfall publik, und anschließend gab die CS zähneknirschend zu, dass sie schon etwas mit dieser Beschattung zu tun habe, aber das sei eine „Privatangelegenheit“.
Privatangelegenheit? Immerhin, mal etwas Neues. Nicht die übliche Nummer: ein subalterner Mitarbeiter habe sich leider über alle Kontrollen hinweggesetzt, ohne dass das seine Vorgesetzten wussten, und die Geschäftsleitung und der Aufsichtsrat waren entsetzt, als sie davon erfuhren. Aber diese Privatangelegenheit hat Sprengkraft. Vielleicht mag es in der Elfenbeinküste oder in London üblich sein, kleine Verfolgungsjagden zu veranstalten. In Zürich ist es das nicht.
Dabei hatte sich der Aufsichtsratsvorsitzende Urs Rohner schon so auf das Zürcher Filmfestival gefreut, das am Donnerstag anfing. Das wurde nämlich von seiner Gattin ins Leben gerufen, der wichtigste Sponsor ist – das wird nun überraschen – die CS. Aber statt sich auf Fotoshootings auf dem grünen Teppich vorzubereiten, Seite an Seite mit berühmten Hollywood-Größen, ist nun Feuer im Dach. Der Treppenwitz dabei: An Rohner perlte bislang alles ab. Und das war nicht wenig. Er war juristischer Oberaufseher der Bank, die dann eine Milliardenbuße im Steuerstreit mit den USA zu zahlen hatte. Er persönlich habe aber „eine weiße Weste“, behauptete er.
Er holte höchstpersönlich den CEO Thiam, einen Totalversager – seit dessen Amtsantritt verlor die Aktie der Bank rund 60 Prozent ihres Wertes. Sie war schon vorher magersüchtig, aber inzwischen dümpelt sie um die 10 Franken herum, ein Witz für die einstmals angesehene Großbank, der es ungefähr so geht wie der Deutschen Bank. Das hinderte Thiam natürlich nicht daran, für sein Wirken, kumuliert ein Milliardenverlust der Bank, ungeniert bislang über 53 Millionen Franken einzustecken.
Für unabsichtliche Komik ist auch gesorgt
Dass Rohner vielleicht ein cleverer Anwalt ist, allerdings in erster Linie in eigener Sache, aber weit davon entfernt, als Aufsichtsratsvorsitzender die Strategie zu entwickeln, mit der die Bank vielleicht wieder aus dem Jammertal herausfände, ist schon seit seinem Stellenantritt bekannt. Nun gibt es aber eine pikante Situation. Dieser für Zürcher Verhältnisse unglaubliche Skandal muss personelle Konsequenzen haben. Und die enden diesmal nicht beim Portier oder einer Reinigungskraft.
Aber wenn Rohner den Machtkampf gewinnt und Thiam feuert, dann wackelt sein Sessel auch gewaltig, denn er hat den schließlich auf den Thron gesetzt. Gelingt es Thiam, Rohner abzuschießen und sich an seine Stelle in den Aufsichtsrat zu setzen, dann tritt er diese Position als Königsmörder und als ausgewiesener Versager an. Schließlich gilt für beide: Haben sie von dieser stümperhaften Beschattung nichts gewusst, dann müssen sie gehen. Denn dann haben sie den Laden nicht im Griff. Haben sie von der Beschattung gewusst, dann müssen sie auch gehen. Denn so etwas tut man nicht in Zürich. Genauer: Und wenn man es tut, dann lässt man sich nicht dabei erwischen.
Zürich bietet also gerade ein interessantes Schauspiel, in dem alles drin ist. Intrigen, abtrünnige Angestellte, rachsüchtige Chefs, unfähige Büttel, Krisensitzungen auf oberster Ebene, Suche nach einem Sündenbock, gegenseitiges Belauern aller Beteiligten, wer zuerst blinzelt, hat verloren, unsichtbare Blutspuren in den getäfelten Besprechungszimmern. Für unabsichtliche Komik ist auch gesorgt. So teilten Rohner und Thiam den CS-Mitarbeitern bereits mit, dass man unter Hochdruck an der Aufklärung des Falles arbeite.
Nachdem sich die Mitarbeiter die Lachtränen aus den Augen gewischt hatten, mussten sie sich dann am Boden wälzen und japsen, denn die beiden Pappnasen an der Spitze der CS fuhren fort, dass sich die CS-Banker doch nicht von dem Geschrei in den Medien beeindrucken lassen, sondern die starke Marktposition der Bank für erfolgreiches Banking benutzen sollten. Als ob nicht jeder zweite CS-Kunde, der kontaktiert wird, sofort fragt, was denn hinter dieser Verfolgungsjagd mitten in Zürich stecke.