Kevin Zdiara
Wieder einmal steht am 27. Januar der Internationale Holocaust-Gedenktag oder, wie es in Deutschland ein wenig umständlicher und allgemeiner heißt, der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus an. In diesem Jahr kommt es an diesem Tag zu einer besonders unappetitlichen Veranstaltung. In Berlin versammeln sich Menschen, die Israel aus tiefster Überzeugung hassen, um angeblich der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft über die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost bis zur Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft werden in der Nähe des Deutschen Historischen Museums alle zusammenkommen, die in Deutschland in Sachen Israelhass Rang und Namen haben.
Dieses widerliche Treffen findet unter der Ägide der Internationalen Liga für Menschenrechte statt, die schon seit Jahren den guten Namen von Carl von Ossietzky durch ihren Hass auf den jüdischen Staat besudelt, und auf Anregung, wie es auf deren Seite heißt, „des israelischen Friedensaktivisten und Überlebenden des Naziterrors Reuven Moskovitz (der auch Träger des Mount Zion Award 2001 und des Aachener Friedenspreises 2003 ist)“. Man kann sich denken, was bei einem Treffen dieser Leute herauskommt: damals Judenmord in Deutschland, heute Palästinensermord durch Juden.
Dabei kann man sich an diesem Gedenktag sehr wohl sinnvoll auf gegenwärtige Ereignisse beziehen. Man müsste dazu nur verstehen wollen, um was es beim Holocaust ging. Ein Blick ins Internet oder in ein Geschichtsbuch reicht, um zu lernen, dass man damit primär den massenhaften Mord an Juden bezeichnet. Dessen zu gedenken, bedeutet, zu verstehen, was damit gemeint war, und dass beispielsweise Menschen, die heute zum Mord an Juden aufrufen oder Juden ermorden in der Tradition der Mördern von damals stehen.
Aus diesem Grund sei an dieser Stelle an einen Menschen und an seine Mörderin erinnert, die man im deutschen Erinnerungseifer vergebens suchen wird. Vor fast genau zehn Jahren, am 27. Januar 2002, also dem damaligen Holocaust-Gedenktag, explodierte im Zentrum von Jerusalem auf der Jaffa Road ein Sprengsatz, der 150 Menschen verletzte und einen Mann tötete. Der 81jährige jüdische Israeli Pinhas Emanuel Tokatli war gerade auf dem Nachhauseweg vom Malunterricht und wollte noch in der Innenstadt Farbe für eines seiner Gemälde kaufen, als er um 12.30 Uhr durch einen Sprengsatz, den die 28jährige Palästinenserin Wafa Idris in einem Rucksack bei sich trug, brutal ermordet und in Stücke gerissen wurde.
Tokatli wurde nur wenige Meter von der Stelle entfernt ermordet, wo er in den 1940ern von der britischen Polizei brutal zusammengeschlagen wurde und dabei fast sein Augenlicht eingebüßt hatte. Pinhas Tokatli war kein Einwanderer, seine Familie lebte in der fünften Generation in Jerusalem. Er hatte in der Haganah gedient und er war eines der Gründungsmitglieder des Jerusalemer Fahrradclubs. Nachdem er aus seinem Beruf in der Werbebranche ausgeschieden war, arbeitete er viele Jahre als Fremdenführer in Jerusalem.
Seine Mörderin war Wafa Idris, die erste palästinensische Frau, die durch ein Selbstmordattentat Juden tötete. Ihre Familie hatte enge Verbindungen zur Fatah, der Partei von Mahmoud Abbas, und Wafa Idris handelte im Auftrag des militärischen Flügels der Fatah, den so genannten Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden. Idris arbeitete beim Roten Halbmond als Sanitäterin und gelangte an diesem schicksalhaften Tag in einem Fahrzeug dieser Organisation nach Jerusalem, wodurch sie allen Sicherheitskontrollen entgehen konnte.
Die Palästinensische Autonomiebehörde pries unmittelbar nach dem feigen Mord Idris Wafa als Märtyrerin und Vorbild für palästinensische Frauen und Jugendliche und benannte sogar noch im März 2011 ein Fußball-Turnier, das unter der Schirmherrschaft des UN-Hilfswerks für die palästinensischen Flüchtling stand, nach ihr.
Man wird an diesem Freitag wie in jedem Jahr im Bundestag eine Gedenkstunde abhalten, vielleicht Maurice Ravels „Kaddisch“ lauschen, gespielt von einem begabten Geigenvirtuosen, und ganz traurig dreinblicken. Man wird sich gegenseitig versichern, dass nie mehr wieder so etwas wie der Nationalsozialismus in Deutschland an die Macht gelangen und sich nie wieder in Deutschland ein Massenmord an Juden wiederholen darf.
Dabei vollzieht sich seit mehr als 60 Jahren genau das vor unseren Augen. Der italienische Journalist Giulio Meotti hat es auf den Punkt gebracht: was Israel seit dem Ende des nationalsozialistischen Judenmords erlebt, ist eine „neue Shoah“. Wie anders sollte man es nennen, wenn der größte Massenmord an Juden seit 1945 stattfindet und die völlige Auslöschung des einzigen jüdischen Staates – und damit von 7 Millionen Juden – nicht am Willen der Gegner, sondern alleine an der militärischen Überlegenheit und Intelligenz des jüdischen Staates scheitert. Wenn man mit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 beginnt, dann sind bis zum heutigen Tag 3.031 israelische und mehrheitlich jüdische Terroropfer zu beklagen. Hinzu kommen noch weit mehr als 11.000 getötete Soldaten, die größtenteils in den gegen Israel geführten Kriegen 1948, 1967 und 1973 gefallen sind. Geht man bis ins Jahr 1920 zurück, also lange vor die Staatsgründung, zählt man weitere 685 jüdische Opfer. Wie sollte man das anders nennen als einen anhaltenden Massenmord an Juden?
Die deutschen und palästinensischen Israelhasser, die am 27. Januar in Berlin zusammenkommen, werden über die Instrumentalisierung des Holocaust durch Israel oder bzw. und den Zentralrat der Juden fantasieren. Dabei sind sie es, die die Auslöschung des europäischen Judentums instrumentalisieren, um vom jüdischen Staat zu fordern, er solle seiner eigenen Auslöschung gefälligst zustimmen und die Waffen im Angesicht seiner Feinde niederlegen.
Eine Zeit, die der Opfer des neu-alten Judenmords, Menschen wie Pinhas Tokatli, nicht gedenkt, ist eine Zeit, die geschichtsvergessen geworden ist und deren Erinnern nicht viel mehr bedeutet als ein Ritual aus einer weit entfernten Vergangenheit. Wirklich zu erinnern, sollte hingegen bedeuten, zu verstehen, dass im andauernden Krieg gegen Israel mehr auf dem Spiel steht als der Verlust von einigen Quadratkilometern Land, dass es letztlich um die Frage geht: Zivilisation oder Barbarei.