Peter Grimm / 29.05.2019 / 12:00 / Foto: Adam Jones / 49 / Seite ausdrucken

Zivilcourage am Bande

Die Inhaberin des Jenaer Fitnessstudios „Progesund“, Silke Dombrowski, ist in der letzten Woche im Rathaus ihrer Stadt mit dem „18. Jenaer Preis für Zivilcourage“ ausgezeichnet worden. Zivilcourage ist ja in der Tat eine auszeichnungswerte Tugend, allerdings scheint der Begriff in Zeiten, in denen auch Kekse backen „gegen Rassismus“ als Zivilcourage gilt, etwas schwammig geworden zu sein. Aber bei derart preiswürdiger Zivilcourage wie hier in Jena muss schon mehr dahinterstecken. Da führende Regionalzeitungen wie die OTZ ausgiebig berichteten, können wir hier wörtlich zitieren, wie die Kollegen vor Ort die ausgezeichnet mutige Tat beschreiben, denn hier soll nicht ein ungeschickter Zungenschlag einen falschen Schatten auf das Geschehen werfen.

„Silke Dombrowski wurde dafür ausgezeichnet, dass sie auf einen Auszubildenden, der ein Schlüsselband der bei Neonazis beliebten Modemarke „Thor Steinar“ trug, mit zahlreichen Maßnahmen nach innen ins Unternehmen und nach außen (Eltern, Berufsschule) reagierte.“

Also es ist schon mutig, wenn die Chefin eines Unternehmens ein politisch unanständiges Schlüsselband eines Lehrlings kritisiert? Das kann doch nicht sein. Bestimmt geht es um die „zahlreichen Maßnahmen“, die dem auslobenden „Runden Tisch für Demokratie“ so preisverdächtig erschienen. Lesen wir also weiter von der Würdigung:

 „‘Der Azubi und die Eltern stellten das Geschehnis als Versehen dar. Damit gab sie sich nicht zufrieden; es ging ihr auch nicht nur um den Ruf ihres Geschäftes. Sie wollte dem Azubi begreiflich machen, was er da tut und gegebenenfalls positiv auf ihn einwirken, aus gutem Glauben und um ihm eine Chance geben‘, sagte Michaela Jahn , die als Vorsitzende der Initiative Innenstadt die Laudatio hielt.

Sie bereitete eigens dafür einen Workshop für die Azubis im Unternehmen zum Thema Marken vor, suchte den Kontakt mit der Berufsschule in Weimar und erkannte sehr schnell, dass der junge Mann bewusst provozieren wollte. Um einen Imageschaden von ihrer Firma, ihren Mitarbeitern und ihren Kunden abzuwenden und im Einklang mit ihrer eigenen Haltung sowie den Unternehmenswerten habe sie dem Mann fristlos gekündigt, am Ende wurde die Schlichtungsstelle der IHK in Gera einbezogen und das Ausbildungsverhältnis einvernehmlich beendet.“

Wow! Was für ein Mut gehört doch dazu, einen Lehrling rauszuschmeißen, weil der mit einem Schlüsselband der falschen Marke provozierte. Vielleicht ist ja in Vergessenheit geraten, dass Jugendliche gern mal provozieren. In Zeiten, in denen von der Obrigkeit beklatschtes und von Lehrern wie Eltern begleitetes Schulschwänzen schon als Protest gilt, kann das passieren. Auf alle Fälle scheint vergessen, was eigentlich Zivilcourage ist. „Mut, den jemand beweist, indem er humane und demokratische Werte (z.B. Menschenwürde, Gerechtigkeit) ohne Rücksicht auf eventuelle Folgen in der Öffentlichkeit, gegenüber Obrigkeiten, Vorgesetzten u.a. vertritt“, fasst es der Duden zusammen. Sollten die demokratischen Werte hierzulande wirklich schon so heruntergekommen sein, dass sie von der Marke des Schlüsselbands eines Lehrlings angreifbar sind?

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Leserpost

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F. Lutz / 29.05.2019

Das erinnert mich daran, wie ich dereinst (2010) zu einem ernsten Gespräch mit der Personalchefin zitiert wurde. Mir war nicht klar, was mir da vorgeworfen werden sollte, aber sie schaute sehr ernst und ungehalten aus. Im Gespräch mit ihr und einer weiteren Personalmitarbeiterin wurde mir dann nahe gelegt meine Frisur zu überdenken. Ich habe doch glatt die Frechheit besessen mir mit 30 Jahren aufgrund ausufernden Haarausfalles (deutlich sichtbar) einmal, zum Test wie das aussieht, eine Glatze zu rasieren… Man zweifelte aufgrund der Glatze meine politische Einstellung an, obwohl ich dort in einem internationalen Team arbeitete und noch nie auch nur das geringste bisschen Rassismus oder überhaupt rechte Einstellung an den Tag gelegt hatte (verortete mich eigentlich immer eher mitte-links). Wahrscheinlich würde die heute einen Herzkollaps bekommen, denn ich habe an meinem Schlüsselbund einen Anhänger mit dem Logo der Band “Freiwild”. Den habe ich weder, weil ich den Anhänger besonders schön finde, noch weil ich Fan dieser Band oder deren Musik bin, sondern lediglich, weil der Anhänger ein fester Chip für Einkaufswagen ist, den man sofort wieder heraus ziehen kann. Sowas habe ich sonst noch nirgends gefunden. Ach ja, besagte Personalchefin fand sich auch besonders toll ein farbiges Mädchen aus benachteiligtem Elternhaus zum Vorstellungsgespräch für einen Ausbildungsplatz eingeladen zu haben, O-Ton: “Das war für die ja schon etwas ganz ganz tolles überhaupt in eine Firma wie unsere eingeladen zu werden.” Da hätte ich bei Kotzen können vor so viel Selbstgefälligkeit. Ich glaube ich brauche nicht zu erwähnen, dass sie dem Mädchen den Ausbildungsplatz nicht gegeben hat (obwohl die durchaus geeignet gewesen wäre).

Gerd Hellmuth / 29.05.2019

Der junge Mann hätte sich besser das DDR Abzeichen ” Aktivist der Sozialistischen Arbeit ” ans Revers geheftet, dann hätte er sicherlich ein dickes Lob der ” Amadeo Antonio Siftung ” von Anetta Kahane erhalten - Satire Ende !

Wolfram Götzinger / 29.05.2019

Absurd zu lesen, auf welch elegante Weise man sich neuerdings unliebsamer Mitarbeiter entledigen kann und dafür auch noch einen moralischen Ritterschlag bekommt. Sicher ist der junge Mann auf den richtigen Weg zurückgekehrt und die “Resozialisierung” hat voll gegriffen.

Dr. Joachim Lucas / 29.05.2019

Vielleicht hätte es dem jungen Mann ja etwas genützt, wenn er, in bester stalinistischer Tradition, vor dem Arbeitskollektiv eine Selbstanklage, inklusive Reuebekenntnis, unternommen hätte. Wenn man in diesem Land schon so geistig auf dem Hund ist, dann konsequent so weiter, also: mehr Orden für solchen Mut, mehr Denunziationstellen, mehr öffentliche Pranger, mehr Haltungsbeauftragtinnen, mehr Offenlegung der Einstellung bei Arbeitsverhältnissen. Im Ernst: diese Frau zeigt lediglich ihre Lumpengesinnung.

Florian Bode / 29.05.2019

So ändern sich die Zeiten. Im 12jährigen Reich, war es couragiert, den Nachbarn zu denunzieren, der die BBC hörte.

R. Lichti / 29.05.2019

Ich würde es jetzt als Zivilcourage betrachten, wenn jemand aufsteht und dem Azubi gegen die Kündigung wegen des Schlüsselbandes beisteht! Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass das ganze die Inszenierung eines “Zentrums für politische Schönheit” ist, um den inzwischen zur Lächerlichkeit verkommenen Begriff “Zivilcourage” mal so richtig vorzuführen.

Jörg Themlitz / 29.05.2019

Jena scheint prädestiniert zu sein gegen anders “Denkende” mit aller Härte vor zu gehen. Schon der berühmte mecklenburgische Mundartliterat Fritz Reuter studierend in Jena, ist, wegen Mitgliedschaft in einer Burschenschaft und absingens von Liedern gegen die Obrigkeit zum Tode verurteilt worden. (später begnadigt zu 30 Jahre Festungshaft) Diese Tradition setzte die DDR Führung gegen freiheitsliebende Jenaer Stundenten in der DDR fort. Frau Dombrowski und Jena Stadt surfen hier im Kielwasser von Hilde Benjamin. (den anderen Richter Namen ca. 15 Jahre vor Hilde verkneife ich mir mal) Einem jungen Menschen der nichts verbotenes getan hat, sein Leben zu zerstören. Es ist interessant, die Deutschen wurden mit Freiheitsversprechen zum Kampf gegen Napoleon aufgerufen. Wurden danach ganz brutal wieder eingehegt. (Fritz Reuter) Nach 1945 eine lichte, sozialistische Zukunft in freier Selbstbestimmung und “Volkseigentum” aufbauen, war nur kurz. Im Fernsehen wurden sehr oft Bilder von IS Terroristen gezeigt, die mit Vorliebe adidas und Nike trugen. Sind diese Marken bei Frau Dombrowski von Progesund jetzt verboten? Vielleicht fährt Frau Dombrowski in die Türkei und demonstriert vor den Textilfabriken die die Thor Steinar Textilien für ganz Europa nähen? Alternativ wäre ein Fitness Gutschein zur besseren Integration für einen minderjährigen 23 jährigen Neuankömmling der seine Freundin krankenhausreif geprügelt hat, möglich. Andere bei der Obrigkeit anzuschei.., schafft doch ein schönes Gefühl.

Marcel Seiler / 29.05.2019

Die Preisträgerin hat diesen Orden wohl nicht wegen ihrer Zivilcourage verdient, da gebe ich dem Autor recht. Aber doch in Bewunderung dafür, dass sie in der Lage war (und das war sicherlich seelisch schmerzhaft), jeden persönlichen Anstand hinter sich zu lassen bei der unbedingt nötigen Aufgabe, diesen Volksschädlingen jede Lebensgrundlage im deutschen Volkskörper zu entziehen.

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