Gerd Held / 10.02.2020 / 06:25 / Foto: Pixabay / 51 / Seite ausdrucken

Zerstörung als Zukunftsentwurf?

Wenn in der politischen Rede allzu suggestiv von dem Wortpaar „das Neue“ und „das Alte“ Gebrauch gemacht wird, sollte man aufhorchen. Denn dieses Wortpaar kann einen zerstörerischen Charakter bekommen. Wenn nämlich „das Neue“ als etwas in sich Geschlossenes einem ebenso geschlossenen „Alten“ gegenübergestellt wird, findet das Denken in Kontinuitäten der Entwicklung keinen Platz mehr im Denken – die feindliche Gegenüberstellung von neu und alt kappt die Entwicklungslinien. Er schafft eine Art tabula rasa – angeblich, um Platz für das Neue zu schaffen.

In Wirklichkeit entwurzelt er das Neue, beseitigt die Erinnerung an die Errungenschaften des Alten und einen kritischen Maßstab, an dem die Gewinne des Neuen zu messen sind. So wird nicht nur die Gegenwart entwurzelt, sondern auch die Zukunft. Die Zeitordnung wird kurzatmig. Eine besonders törichte Beschreibung der Moderne besteht darin, dass sie als eine Ordnung des „ständig Neuen“ und des „immer schneller Neuen“ dargestellt wird. 

In einem sehr einleuchtenden Buch über die Kontroverse zwischen dem Konservativen Edmund Burke und dem Revolutionär Thomas Paine hat Yuval Levin herausgearbeitet, das der Unterschied zwischen den beiden nicht darin bestand, dass der eine „gegen“ Veränderung und der andere „für“ Veränderung war, sondern dass der eine skeptisch gegenüber der Fähigkeit der Menschen war, gleichsam aus dem Stand eine ganz neue Welt zu schaffen, während der andere fest an eine solche Radikal-Fähigkeit der Menschen glaubte (Yuval Levin, The Great Debate – Edmund Burke, Thomas Paine and the Birth of Right and Left).

Es ging um die Zeit zwischen dem Ende des 18. und dem Anfang des 19. Jahrhunderts, und Burke war ein Anhänger behutsamer Veränderungen während Paine ein Anhänger des radikalen Bruchs war. Beide Positionen schieden sich insbesondere an der französischen Revolution, die auf ihrem Höhepunkt bekanntlich einen neuen Kalender einführte, der mit dem Jahre 0 begann. Dieser Versuch, die Geschichte ganz neu beginnen zu lassen, ist bekanntlich kläglich gescheitert.  

Frau Merkel hat nichts zu bieten

In unseren Tagen ist man wieder dabei, den großen Feldzug des Neuen gegen das Alte an die Stelle sachlich-sorgfältiger Entwicklung zu setzen. Man höre sich nur die Gigantomanie des Neuen an, die die amtierende Bundeskanzlerin auf dem „Weltgipfel“ in Davos von sich gegeben hat. Sie kündigte dort „Transformationen von gigantischem historischem Ausmaß“ an, bei denen „die gesamte Art des Wirtschaftens und des Lebens, wie wir es uns im Industriezeitalter angewöhnt haben, in den nächsten 30 Jahren verlassen werden.“

Wenn es danach geht, sind wir also in diesem Jahr 2020 in einem Jahr 0, und wir vollziehen eine große Bewegung des „Verlassens“. Das „Verlassen“ ist ein „Aufgeben“; es zeigt eine fundamentale Leere. Denn Frau Merkel hat nichts zu bieten, was im Maßstab des Wirtschaftens und Lebens im Industriezeitalter an seine Stelle treten könnte. Die heutige Gigantomanie ist gigantisch nur im Negativen. Sie kann nur „Weg mit ...!“ schreien. Nein, ich weiß, die Kanzlerin schreit nicht. Aber welche innere Raserei muss in dieser Person – und in dem sozialen Milieu, das jetzt mal eben „Abschied vom Industriezeitalter“ nehmen will – am Werk sein? 

Die Meinungsmacher und Regierenden wollen uns weismachen, dass die sogenannte „Hassrede“ das Hauptproblem in Deutschland ist. Doch viel wichtiger ist es, sich mit der Sprache des Verlassens, des Entleerens, des Abbruchs zu befassen – mit der Zerstörungsrede.  

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Leserpost

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Peter Holschke / 10.02.2020

Jeder Plan für die Zukunft beinhaltet die Absicht die gegenwärtigen Umstände zu verändern, ja als einen unliebsamen Zustand zu zerstören. Da der Plan aber ein gegenwärtiges Konstrukt ist und auf gegenwärtige Umstände basiert, entzieht er sich aber selbst die Grundlage. Der Plan macht sich selbst nichtig. Übrig bleibt die Negation des Tatsächlich, nämlich dem was ist. Dekonstruktion, Destruktion, Zerstörung, Nichtung. Die Transformation um der Transformation willen, ist immer der Versuch zukünftiges Chaos zu bändigen, ausgelöst durch eine Unzufriedenheit mit dem Selbst und der Welt. Ideologen lügen immer, man muss das immer “negiert” lesen. Die breite Berufung auf Haltung, kommt von Leuten die keine haben, diese aber gern hätten. Das Gegenteil einer Planmacherei ist die Einhaltung von Prinzipien und dazu braucht es einer Orientierung. Dem Planmacher versucht eine Zukunft zu entwerfen, weil sie für ihm im Dunkeln liegt. Und das ist natürlich Hybris und so endet es dann auch immer.

Frank Holdergrün / 10.02.2020

Int. Konzerne zerstören regionale Strukturen und Kulturen.  Merkel lässt sie einfach gewähren, diese Moloche setzen sich über Regeln des Anstandes hinweg und Merkel ist eine willfährige Erfüllungsgehilfin. So formuliert das Gertrud Höhler in ihrem neuen Buch.  Hassreden und Nazi-Anwürfe sollen nur von dieser großen Transformation ablenken.

H. Hoffmeister / 10.02.2020

Und leider vergeht seit Jahren kein Tag, an dem nicht etwas zerstörerisches “Neues” von unseren politmedialen “Eliten” zum Schaden des Bürgers ausgerufen wird. Es wird ihm vorgegaukelt, dass das “Neue”  alternativlos sei. In diesem Kontext können dann Wahlen unverzeihlich sein und müssen rückabgewickelt werden. Wie nennt sich das, was hier gerade passiert ?

Rita Wiesinger / 10.02.2020

Wenn jemand ohne Volksbefragung einen ganzes Land oder gar einen ganzen Kontinent nach seinem Willen ....bzw. nach dem Willen einer hyperreichen Weltelte (wie zB. Görgy alias Soros) transformieren will, so ist das nichts anderes als brutalste Diktatur. Und mind. 3 solche Diktatoren hat Europa schon mit sehr viel Blut bezahlt.

Martin Landvoigt / 10.02.2020

Ich liebe es, wenn man sich um sie Grundlagen Gedanken macht, hier Kontinuität und Aufbrüche. Früher hatten Sozialutopien einen wesentlich stärkeren Reiz als heute, denn ich weiß, welch große Risiken eine Veränderung zu einem Verlust haben. Und nun erwarte ich gigantische Verluste. Aber das attraktive der Sozialutopie war der Traum, die Vision. Ich sehe nun aber gar keine Vision mehr bei den großen Transformatoren, nur eine dumpfe und schwach begründete Angst bei jenen - es könne doch so nicht weiter gehen. Die CDU ist bei Leibe keine konservative Partei mehr.

Heiko Stadler / 10.02.2020

Transformationen sind nichts Neues. Neu ist, dass Transformationen in dieser Höhe getätigt werden. Neu ist, dass mit Transformationen geprahlt wird. Neu ist auch, dass diese Transformationen ohne strafrechtliche Konsequenzen sein werden. Früher war es anders. Die Transformation des Geldkoffers eines Hans Schreibers sorgte noch für Irritation. Die Transformation von Geld auf das Konto des Schiedsrichters Robert Hoyzers wurde auch nicht ohne Beanstandung hingenommen.  Aber in beiden Fällen handelte es sich noch um relativ kleine Beträge. Ein arabisches Sprichwort sagt sinngemäß: “Tötest du einen Menschen, so wirst du gehängt. Tötest du 1000 Menschen, so wirst du als Held gefeiert.” So scheint es auch mit Transformationen zu sein.

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