Für Blogger und Online-Journalisten hat der Europäische Gerichtshof die eigentlich zu seriöser Berichterstattung gehörenden Quellenverweise zu einer riskanten Angelegenheit gemacht. Das Verlinken auf online verfügbare Inhalte kann nach Meinung des Gerichts eine Urheberrechtsverletzung darstellen. Wer nicht ausschließlich als Privatperson mit Links arbeitet, soll dafür haftbar sein, wenn sich unter dem Link auch urheberrechtsverletzende Inhalte abrufen lassen.
Blogs wie auch dieser arbeiten gern mit Fußnoten, in denen auf die jeweiligen Quellen verwiesen wird. Ob die nun urheberrechtlich sauber publiziert wurden, sollte dabei nicht relevant sein, denn es geht um die Inhalte, die nun einmal in der Öffentlichkeit sind, damit zum Gegenstand des jeweiligen Artikels wurden und dem Leser als Quelle kenntlich gemacht werden sollen. Für den Detail-Interessierten sind beispielsweise nur so die journalistischen Eingriffe nachvollziehbar und weitere Hintergrundinformationen sofort abrufbar. Diese Transparenz sollte eigentlich selbstverständlich sein und es ist schön, dass sie technisch so leicht möglich ist.
Das hat die zweite Kammer des Europäischen Gerichtshofs nun erheblich erschwert. Das Urteil, dessen Anlass Links der Website Geenstijl.nl auf illegal veröffentlichte Nacktfotos der holländischen Moderatorin Britt Dekker waren, greift nicht unerheblich in die Meinungs- und Pressefreiheit ein. Im konkreten Fall hatte der Playboy geklagt und vor dem EuGH nun Recht bekommen, weil die Bilder aus einem Playboy-Shoot stammten. Wer zu Inhalten verlinkt, muss prüfen, ob diese rechtmäßig veröffentlicht wurden.
Es geht an das Eingemachte modernen Online-Journalismus
Nun klingt es für manchen Laien vielleicht zunächst selbstverständlich, dass man rechtmäßig handeln muss, zumal wenn es um prominente Nacktbilder geht. Doch auch brisante Dokumente, die jemand anonym ins Netz stellt, weil er sich weitere Recherche, journalistische Nachfrage und Berichterstattung über einen aufzudeckenden Skandal erhofft, können unter Missachtung des Urheberrechts veröffentlicht worden sein. Soll der Blog, der darüber berichtet, die Quelle nicht mehr angeben dürfen und dem Leser nicht mehr den Weg ebnen, sich auch selbst ein komplettes Bild über den Gegenstand der Berichterstattung zu machen? Hier geht es um den Kern modernen Online-Journalismus.
Journalistische Arbeit ist im Idealfall die gekonnte Berichterstattung über das, was ist. Die nötigen Fakten sind oft vielfältiger Herkunft. Und wenn man auf Quellen verlinken kann, dann sollte man das auch bei denen tun, die an sich nicht besonders ehrenhaft sind. Dass ein solcher Quellenverweis dabei keine kommerzielle oder Sympathiewerbung ist, lässt sich normalerweise leicht erkennen. Der im konkreten Fall an ein paar Zeilen „Bericht“ angehängte Link ist deutlich etwas anderes, als ein Quellenverweis in einem Artikel.
Statt aber nun zwischen den verschiedenen Arten der Verlinkung zu unterscheiden, verurteilen die europäischem Richter nun quasi jeden, der nicht rein privat im Netz publiziert, dazu, die Rechtmäßigkeit verlinkter Inhalte zu prüfen. Auf einem so komplizierten Gebiet, wie dem Urheberrecht, wäre dies bei strenger Auslegung des Urteils praktisch nur noch Medienhäusern mit entsprechend kompetenten Rechtsabteilungen möglich.
Wo bleibt die Unverletztlichkeit von Grundrechten?
Das Gericht erkennt in der Urteilsverkündung sogar an, dass aus der Einschränkung der Linkfreiheit auch negative Folgen für die freie Meinungsäußerung entstehen könnten. Die Mitgliedsstaaten dürfen deshalb Ausnahmen zulassen, aber nur „in Verbindung mit der Berichterstattung über Tagesereignisse, soweit es der Informationszweck rechtfertigt“, wie es in dem Urteil heißt. Ein recht dürftiges und ungenau abgegrenztes Reservat, das die Online-Publizistik hier für Quellenangaben zugewiesen bekommen hat.
Die europäischen Richter finden es gut und richtig, dass es für viele Inhaltsanbieter nun deutlich unattraktiver wird, Links auf fremde Webseiten zu setzen. Nur hätte man hier auch deutlicher auf den unterschiedlichen Charakter von Links abstellen können. Das Problem der möglichen Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit hat das Gericht ja offenbar erkannt und hätte es mit einer Ausnahme für etwas genauer definierte Quellenverweise auch weitgehend lösen können. Doch um über eine solche Lösung nachzudenken, bräuchte es wahrscheinlich ein etwas stärkeres Bewusstsein für die elementare Bedeutung der Unverletzlichkeit von Grundrechten.
Ein Hebel um unliebsame Berichterstattung zu verhindern
„Die Freiheit stirbt scheibchenweise“, das ist so ein Spruch, mit dem zwar viele von uns groß geworden sind, es sich aber wohl kaum vorstellen konnten, einmal wirklich konkret mit dem Inhalt konfrontiert zu sein. Und inmitten der Aufregung, für die so manche Möchtegern-Zensoren derzeit sorgen, scheint dieses EuGH-Urteil auf den ersten Blick nur ein recht dünnes Scheibchen zu sein. Doch es hat leider das Potential dazu, das mehr daraus wird. Sollte dies beispielsweise für Interessierte ein Ansporn sein, unliebsame Berichterstattung mittels Urheberrecht zu erschweren.
Wenn jemand verhindern will, dass aus seinen Veröffentlichungen zitiert wird, obwohl er an diese nicht mehr erinnert werden möchte, kann er sich nun vom EuGH gestärkt fühlen. Wer würde uns vor dem Umsichgreifen einer solchen Praxis schützen? Der Gesetzgeber? Bekanntermaßen haben wir einen Justizminister, der solche Anregungen eher selbst für Gesetzesinitiativen aufgreift, als dass er Grundrechte und Rechtsstaatsprinzipien konsequent verteidigt. Und eine von energischer Freiheitsliebe geprägte Mehrheit ist derzeit unter den Abgeordneten im Bundestag leider auch nicht auszumachen. Es würde wohl unangemessen pathetisch klingen, wenn jetzt jemand zur Verteidigung der Quellenverweise aufruft. Aber nötig hätten sie es vielleicht.
Das Urteil finden Sie hier.
Zuerst erschienen auf Peter Grimms Blog Sichtplatz hier.