Vera Lengsfeld / 20.12.2016 / 06:29 / 8 / Seite ausdrucken

Zensur ante portas: Es ist wie ein Stromschlag

Als ich gestern an mein Bücherregal trat, um mir etwas Erheiterndes gegen die graue Dezember-Stimmung zu suchen, fiel mir ein Buch in die Hände, das jahrzehntelang unbeachtet unter meinen Insel-Bändchen gestanden hat. Das vom Verlag Der Morgen herausgegebene Bändchen mit neckischen Illustrationen von Horst Hussel war in der DDR purer Sprengstoff. Stefan Heym: „Die Schmähschrift oder Königin gegen Defoe“.

Es war wie ein Stromschlag: Ich erinnerte mich, mit welcher Erregung ich das Bändchen, das in einer abgelegenen Buchhandlung neben der Akademie der Wissenschaften für mich unter dem Ladentisch bereitgehalten worden war, in die Hand nahm. Ein Autor hatte gegen die Hetzjagd auf Andersdenkende, die damals Staatsdoktrin war, rebelliert.

Das Jahr 1976 war ein Schicksalsjahr für die DDR gewesen. Nach einem kurzen politischen Tauwetter zu Beginn des Jahres, waren alle Hoffnungen auf Liberalisierung bereits im Sommer zunichte gemacht. Es war der Tod eines italienischen Kommunisten Anfang August, der das politische Zwischenhoch in der DDR beendete. Der Lastwagenfahrer Benito Corghi wurde an der DDR-Grenze erschossen. Mitte August folgte der Flammentod des Pfarrers Oskar Brüsewitz. Im November wurde Wolf Biermann nach seinem Auftritt in Köln die Rückkehr in die DDR verweigert.

Mit den Folgen hatten die Machthaber nicht gerechnet

Mit den Folgen hatten die Machthaber nicht gerechnet. Im Falle Brüsewitz lehnte sich die Kirche gegen die Verunglimpfung ihres Amtsbruders durch die offizielle Propaganda auf. In gewisser Weise öffnete dieser Protest die kirchlichen Räume für die Ende der siebziger Jahre entstehende Bürgerrechtsbewegung.

Die Proteste gegen Biermanns Ausbürgerung erfassten weite Teile der kulturellen Elite der DDR, denen sich viele Bürger anschlossen. Fast über Nacht hatte es die Partei- und Staatsführung mit einer regelrechten Bewegung von Abweichlern zu tun. Ihr Umgang damit inspirierte Stefan Heym zu seiner Erzählung.

Er schildert eine Begebenheit aus England zur Zeit von Queen Anne, die den Schriftsteller Daniel Defoe wegen einer aufwieglerischen Satire verfolgen ließ. Aber allen war klar, dass nicht Queen Anne, sondern das Politbüro gemeint war.

Sätze wie, dass es an der Zeit ist, „die Nation von der Schlangenbrut zu befreien...und das ketzerische, aufrührerische Unkraut auszurotten, das den Frieden der Kirche so lange gestört, das gute Korn vergiftet hat“, wurden als Beschreibung des Angriffs gelesen, den die Genossen auf ihr Volk eröffnet hatten.

„Die Nation von der Schlangenbrut befreien"

„Wenn ein strenges Gesetz erlassen und pünktlich durchgeführt würde...sollten wir bald genug ein Ende der Sache sehen. Zu diesem Zweck hat die Vorsehung uns ein solches Parlament ! einen solchen Adel ! und eine solche Königin ! gegeben, wie wir sie nie zuvor hatten.“ Was ich mir nach dem Zusammenbruch der zweiten deutschen Diktatur nicht vorstellen konnte, ist, dass ich diese Sätze vierzig Jahre später wieder als aktuell empfinden würde.

Aber die große Kampagne gegen Abweichler von der offenbar wieder sakrosankten Regierungsmeinung, ist bereits angekündigt. Aus dem Mund der Fraktionschefs Thomas Oppermann (SPD) und Volker Kauder (CDU) tönte, dass die Große Koalition zu Beginn des nächsten Jahres so genannte Fake News, von denen niemand weiß, was das ist und wer darüber entscheiden soll, streng bestraft werden sollen. Den sozialen Medien, die nicht schnell genug löschen, wird mit einem Bußgeld von bis zu 500 000 Euro gedroht, den Verbreitern droht man sogar mit Haft, wie unser Justizminister bereits angekündigt hat.

In Heyms Büchlein machen sich die Büttel der Königin erfolgreich auf die Suche nach dem Verfasser der Schmähschrift. Nachdem Defoe gefasst und eingekerkert wurde, wurde er vor die Wahl gestellt, entweder zu widerrufen, oder an den Pranger gestellt zu werden.

„Mr. Defoes Schultern senkten sich, als trügen sie bereits die schweren Querbalken. „Kann Euer Lordship denn nicht verstehen, dass der freie Gedanke des Menschen nicht wie ein Stock ist, den der Hund auf seines Meisters Befehl apportiert? Oder ist Euer Lordship so festgefahren auf den Wegen der Orthodoxie, dass Ihnen jede nicht amtlich gebilligte Idee notwendig als Teil eines aufrührerischen Komplotts erscheint?“

Kein Mitarbeiter der Krone wagte es, den ersten Stein zu werfen

Danach musste der Aufrührer mit dreimaligem Pranger bestraft werden. Die Büttel hatten alles gut vorbereitet. In der Menge, die herbeigeströmt war, um das Spektakel zu beobachten, waren willige Helfer verteilt, die stinkenden Fisch, faulenden Kohl, aber auch Ziegelsteine bereit hielten, um sie auf den Abweichler zu schleudern.

Vereitelt wurde der Plan von den Anhängern Defoes. Erst kamen Frauen, um die Richtstätte mit Blumen zu bekränzen, dann wurden von den Versammelten Hochs auf Defoe ausgebracht. Kein inoffizieller Mitarbeiter der Krone wagte, den ersten Stein zu werfen. Sie mussten sich dem entschiedenen Volkswillen beugen.

Fazit: Wenn sich genügend Menschen finden, die der Tyrannei widerstehen, sind die eben noch Mächtigen machtlos. Die Oppermanns, Kauders und Maas´ lieben uns doch alle. Sie wollen nur unser Bestes, unsere Freiheit, aber die müssen wir ihnen nicht geben!

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Michael Markwardt / 20.12.2016

die ganze angelegenheit wäre eigtl sowas von einfach zu klären. dazu bräuchten die vorstände von fb, twitter und co allerdings soetwas wie ein grundverständnis unserer grundrechte und wenigstens den ansatz von “eiern”. spätestens, wenn der erste bußgeldbescheid in der post ist, dann stellt man landes- oder europweit von jetzt auf gleich den dienst ein und verweist auf die regierungsamtlich verordnete verletzung der garantierten grundrechte. problem gelöst… ;)

Stefan Zorn / 20.12.2016

Es ist viel schlimmer, viel perfider, viel durchtriebener: Sie gaukeln uns eine heile Welt vor, sie beschuldigten und verdächtigen andere um von sich selbst abzulenken, sie eröffnen mediale Hetzjagden auf jene deren Verstand sie nicht trüben können. Aber eines können sie nicht: Die ausländischen Medien manipulieren; und dort wird sich das Volk zunehmend informieren, dort wo die Washington Post oder die SUN mehr über “regionale Ereignisse” in Deutsch zu berichten wissen als unsere “Freien Medien”. Die werden sie auch nicht wegen “Fake News” “zur Verantwortung ziehen” können. Die Freie Welt wird siegen über Honeckers Erben!!!!

Stephan Marienfeld / 20.12.2016

ich muss ja nochmal nachfragen, Frau Lengsfeld (denn eine Antwort ist mir nicht erinnerlich): aus welchem Grund sind Sie eigentlich noch in der CDU ? Gruss S. Marienfeld

Karla Kuhn / 20.12.2016

Es gibt doch den Ausspruch: “Wenn mein starker Arm es will, stehen alle Räder still.” Nun müssen keine Räder stillstehen aber den Politikern, die nur durch uns an die Macht gekommen sind und die durch uns auch bezahlt werden, müssen ihre Grenzen aufgezeigt werden und Frau Merkel sollte ich ihren Eid, “Zum Wohle des Deutschen Volkes” öfters in Erinnerung rufen. Sie müssen alle ihren Pflichten nachkommen, dann klappt es auch mit dem Volk.

Andreas Huber / 20.12.2016

Treffende Analogie, billantes Fazit: Dankeschön für diesen Beitrag !

Michael Oelkers / 20.12.2016

Ich wünschte, Ihr mutiges Eintreten gegen diese elenden Feinde der Freiheit und der Demokratie würde mit Erfol belohnt.

Thomas Schenk / 20.12.2016

Die wenigsten Menschen in Deutschland haben derzeit das Empfinden tyrannisiert zu werden. Wir sind noch lange nicht so weit, dass die Bevölkerung mehrheitlich einen Leidensdruck empfinden. Das Auto steht vor der Tür, der Urlaub ist geplant, der Chef zahlt noch ein paar Euro Weihnachtsgeld, das Bier vor dem Fernseher schmeckt noch; während des Berichtes über den Anschlag in Berlin trinkt man halt einen Tee. Das Leben geht weiter. Machen wir uns nichts vor, diejenigen, die unsere Kultur vor dem Untergang sehen und Gegensteuern anmahnen, sind eine kleine Minderheit. Bis daraus eine Mehrheit wird, ist es zu spät. Dennoch halte ich es mit Luther: „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen“

Dieter Franke / 20.12.2016

Die Parallelen sind in der Tat erschreckend. Spätere Generationen von Politologen und Soziologen haben genug Forschungsmaterial, wie sich ein einst demokratischer Staat in kurzer Zeit zu einer Diktatur mit grünem Antlitz wandeln konnte. Es gibt zwei Unterschiede zur DDR: Noch dürfen wir ausreisen, und die Schnüffler tragen Outdoor-Klamotten statt lange Ledermäntel.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Vera Lengsfeld / 11.03.2024 / 16:00 / 20

Wie rettet man eine Demokratie?

Warum lässt die schweigende Mehrheit zu, dass unter dem Schlachtruf, die Demokratie und das Grundgesetz zu verteidigen, beides ausgehöhlt wird? Was man ganz einfach tun…/ mehr

Vera Lengsfeld / 10.03.2024 / 16:00 / 9

Eine Schulung im Denken

Denken ist ein Menschenrecht, aber wer beherrscht die Kunst des Denkens? Warum ist Propaganda so wirksam und für viele Menschen so schwer zu durchschauen? Volker…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.02.2024 / 12:00 / 38

Wie man Desinformation umstrickt – und noch schlimmer macht

Wenn man gewisse „Qualitätsmedien" der Fehlberichterstattung und Manipulation überführt, werden die inkriminierten Texte oft heimlich, still und leise umgeschrieben. Hier ein aktuelles Beispiel.  Auf diesem Blog…/ mehr

Vera Lengsfeld / 04.02.2024 / 15:00 / 20

Die Propaganda-Matrix

Die öffentlich-rechtlichen Medien und die etablierten Medien leiden unter Zuschauer- und Leserschwund, besitzen aber immer noch die Definitionsmacht. Das erleben wir gerade wieder mit einer Propaganda-Welle. …/ mehr

Vera Lengsfeld / 02.02.2024 / 06:05 / 125

Wie man eine Desinformation strickt

Am 30. Januar erschien bei „praxistipps.focus.de“ ein Stück mit dem Titel: „Werteunion Mitglied werden: Was bedeutet das?“ Hier geht es darum: Was davon kann man davon…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.01.2024 / 06:25 / 73

Tod eines Bundesanwalts

Als ich noch in der DDR eingemauert war, hielt ich die Bundesrepublik für einen Rechtsstaat und bewunderte ihren entschlossenen Umgang mit den RAF-Terroristen. Bis herauskam,…/ mehr

Vera Lengsfeld / 29.12.2023 / 13:00 / 17

FDP #AmpelAus – Abstimmung läuft noch drei Tage

Die momentane FDP-Führung hatte offenbar die grandiose Idee, die Mitgliederbefragung unter dem Radar über die Feiertage versanden zu lassen. Das Online-Votum in der FDP-Mitgliedschaft läuft…/ mehr

Vera Lengsfeld / 28.12.2023 / 10:00 / 124

Wolfgang Schäuble – Tod einer tragischen Figur

Wolfgang Schäuble, die große tragische Figur der deutschen Nachkriegspolitik und gleichzeitig ein Symbol für das Scheitern der Parteipolitik, wie sie sich in Deutschland entwickelt hat…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com