Es war eine historische Entscheidung. Erstmals in der Geschichte der EU hat das Europäische Parlament entgegen der Empfehlung des Rechtsausschusses abgestimmt. 318 Abgeordnete votierten gegen die Beschlussvorlage, mit der der Entwurf zur EU-Richtline zur Urheberrechtsreform, einschließlich der automatischen Upload-Filter, eigentlich schnell durchgewinkt werden sollte. 278 Mandatsträger stimmen der Vorlage zu, 31 enthielten sich.
Dass gerade die Etablierung automatischer Uploadfilter vorerst aufgeschoben wurde, ist eine gute Nachricht. Allerdings sollte sie einen an diesem heißen Sommertag nicht dazu verführen, sich entspannt zurückzulehnen, denn schon in wenigen Wochen, im September, geht die Auseinandersetzung in eine nächste Runde.
Zwischen dem 10. und dem 13. September wird die Richtlinie voraussichtlich erneut zur Abstimmung stehen. Bis dahin bekommen die Abgeordneten Zeit, Änderungsanträge auszuarbeiten. Zugelassen werden dabei aber nur Korrekturwünsche, die aus dem Rechtsausschuss kommen, welcher schon dem vorliegenden Papier zugestimmt hatte, oder Anträge, die von mindestens 38 Abgeordneten eingebracht werden. Die Rechte von EU-Parlamentariern sind halt streng reglementiert.
Es kann allerdings auch sein, so mutmaßen Medien-Berichterstatter aus dem Europäischen Parlament, dass Änderungsvorschläge auch zunächst den Rechtsausschuss passieren müssen. Hier bewege sich das Europaparlament auf ungewohntem Terrain. Weil es einen solchen Fall noch nie gab, gibt es auch keine klaren Regeln, wie man mit ihm umgehen solle. Mit so spontanem demokratischen Handeln durch die Parlamentarier hat offenbar bislang nie jemand gerechnet.
Böse Worte noch schöner vernebeln?
Es wird also viel passieren in den Sommerwochen, und die Lobbyisten aus heimischen Monopol-Rechte-Verwaltungs-Institutionen und Verleger-Verbänden werden sich bemühen, die für die freien kleinen Mitbewerber verheerenden Regelungen besser zu verstecken und wieder in die Richtlinie hinein zu formulieren. Möchtegern-Netz-Blockwarte werden sich darum kümmern, Uploadfilter und automatische Kontrollmöglichkeiten in der Richtlinie verankert zu lassen und dabei auch auf gefälligere Wortwahl setzen, die die bösen Worte schöner vernebeln.
Es ist nur eine Momentaufnahme, dass diese Institutionen und Verbände sich darauf beschränken, Klagelieder über die vermeintlich falschen Entscheidungen zu singen. Nur in den ersten Stunden nach der Entscheidung haben die getroffenen Hunde kurz aufgejault.
"Heute ist ein schlechter Tag für Europas Kultur- und Kreativwirtschaft", hat der Vorstandsvorsitzende der GEMA, Dr. Harald Heker, die Entscheidung kommentiert, um dann das ganz große Register zu ziehen: "Der Beschluss des Europäischen Parlaments schwächt die Stellung aller Kreativschaffenden. Eine beispiellose Desinformationskampagne hat für Verunsicherung gesorgt und das kulturelle Wertegerüst zum Einsturz gebracht."
„Das kulturelle Wertegerüst zum Einsturz gebracht“? Nur weil keine Netz-Vorzensur-Pflicht für Plattformbetreiber eingeführt wurde? Nur weil Rechteverwerter immer noch erst nach der Tat eines Urheberrechtsverstoßes aktiv werden können? Nur weil weiterhin nach den im heimischen Recht verankerten Regeln zitiert werden darf, also online wie offline?
Nein, der Beschluss schwächt die Stellung der meisten „Kreativschaffenden“ nicht. Ihre Stellung ist schon schwach, weil viele von ihnen nur in weitgehender Abhängigkeit von diversen Institutionen ihr Geld verdienen können. Weil es, wie im Falle der GEMA, de facto Rechteverwaltungs-Monopole gibt. Dass sich manche Kreativschaffenden im Netz ein paar Oasen jenseits dieser Institutionen und auch großer Sendeanstalten, Verlagshäuser und dergleichen geschaffen haben, hat sicher kaum einen armen Künstler reicher gemacht. Aber freier in ihrer Arbeit, weshalb manche bewusst diesen Weg wählten.
Monopol-Erben von Joseph Goebbels
Und die Produktionen und Publikationen aus diesen kleinen Medien-Oasen finden zunehmend Zuspruch, während die Gremien-, Institutions- und Verwaltungsapparate-Kultur in vielen Bereichen abnehmendes Interesse registriert. Letztere möchten natürlich jede Art der Regulierung fördern, die professionelle Produktionen außerhalb des eigenen Herrschaftsgebietes erschwert.
Das Argument der EU-Richtlinien-Befürworter, dass die Plattform-Giganten im Netz eine unverhältnismäßig große Macht gegenüber all den Kreativen haben und diese deshalb kaum Chancen haben, für die Nutzung ihrer Werke eine angemessene Vergütung zu bekommen, ist ja nicht falsch. Nur löst man dieses Problem nicht damit, dass man überlebten Institutionen ihre alte Macht auch in der neuen Netz-Welt per Gesetz sichert. Doch im Überleben von Umbrüchen ist ja so manche Institution gut geschult.
Beispielsweise verdankt die GEMA ihre marktbeherrschende Stellung immer noch dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels.
Am 28. September 1933 bekam die Staatlich genehmigte Gesellschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte (STAGMA) das Monopol zur Wahrnehmung von Musikaufführungsrechten erteilt. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte die STAGMA ihre Arbeit fort, ab dem 24. August 1947 allerdings als Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA). Zwar gab es nun kein gesetzlich vorgeschriebenes Monopol mehr, doch de facto lief fast der gesamte musikalische Rechteverwertungsbetrieb über die Gesellschaft.
Ein geerbtes Monopol wirkt lange fort. Im Netz allerdings mit seinen vielen Angeboten an freien Lizenzen und schnell möglichen direkten Vereinbarungen sah sich der schwerfällige GEMA-Tanker nun von vielen kleinen Schiffen ausmanövriert. Da ist jede Regelung, die für die Akteure möglichst verwaltungsintensiv ist, hoch willkommen. Die bereinigt den Markt. Die kleinen Kreativen verschwinden oder ordnen sich den großen Verwaltern unter. Es wird spannend, wer es in den nächsten Wochen schafft, etwas in die Änderungsanträge zur vorerst gescheiterten Richtlinie hineinzuschreiben.
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